Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wie Ali Mohammadi den Neuanfang schaffte

Er kam als unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling nach Laupheim, sprach kein Deutsch – jetzt ist er ausgebilde­ter Elektronik­er

- Von Verena Pauer

LAUPHEIM - Mindestens einmal im Monat isst Familie Liermann afghanisch. Dann hat Pflegesohn Ali Mohammadi sich wieder mit seinem Bruder Mohammad in die Küche gestellt und ein Gericht aus seiner Heimat gekocht. Es gibt zum Beispiel Mantu, afghanisch­e Teigtasche­n, oder Palau, ein Gericht mit Reis, Fleisch und Karotten. Früher kochte Ali Mohammadi einmal in der Woche für seine Pflegeelte­rn – jetzt nur noch einmal im Monat. Alles ist selbst gemacht, angefangen beim Teig. Da dauert das Kochen einen ganzen Nachmittag. Und diese Zeit hat der 21-Jährige aus Afghanista­n nicht mehr, seit er bei der Firma Uhlmann Pac-Systeme seine Ausbildung angefangen hat.

Das war bereits vor dreieinhal­b Jahren. Seit Ende Januar ist Ali Mohammadi nun bei Uhlmann als Elektronik­er für Automatisi­erungstech­nik angestellt. Der Weg dorthin war nicht immer einfach. Als er Ende 2015 als unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling in Deutschlan­d ankam, sprach er kein Deutsch. Fast einen Monat lebte er zu Beginn in Ulm, bevor das Jugendamt seine jetzigen Pflegeelte­rn, Torsten und Sigrid Liermann, fand. An ihre erste Begegnung erinnert sich Mohammadi noch genau. Er klingelte an der Haustür der Liermanns. Sigrid Liermann öffnete die Tür. Das Erste, was sie gesagt habe: „Wir sprechen nur Deutsch.“

Für den damals 16-Jährigen war das zuerst ein Schock. „Ich konnte ein bisschen Englisch und dachte, dass ich vielleicht mit ihnen Englisch reden könnte“, erinnert sich Mohammadi. Doch es habe auch auf Deutsch funktionie­rt. Mit viel Übung schloss er schließlic­h die Schule ab und begann eine Ausbildung bei Uhlmann. In dem Unternehme­n hatte er davor schon ein Praktikum absolviert.

Auch bei seiner Ausbildung­sstelle gab es anfänglich einige Sprachbarr­ieren, erzählt Mohammadi. Denn die Kollegen unterhalte­n sich auf Schwäbisch. Mittlerwei­le bereiten ihm nur noch schwäbisch­e Sprichwört­er Probleme. „Aber wenn ich frage, kriege ich eine Erklärung.“Das Verhältnis zu seinen Arbeitskol­legen beschreibt Mohammadi als sehr gut. Besonders in der Ausbildung habe er Hilfe gebraucht, die er von seine Kollegen bekam.

Besonders die langen Funktionsb­eschreibun­gen der Arbeitsvor­gänge seien problemati­sch gelesen, sagt Matthias Hötzinger, Mohammadis Ausbildung­sleiter: „Die sind schon für einen Mutterspra­chler manchmal schwer zu verstehen. Selbst ich muss manchmal einige Passagen mehrmals lesen.“Als Ausbilder habe er sich deshalb mehr Zeit für diesen Azubi genommen. Auch von der Firma

habe Mohammadi Deutschunt­erricht bekommen. Hötzinger ist sich sicher, dass sich der Mehraufwan­d gelohnt hat. „Alle sind sehr zufrieden. Dass er jetzt einen Arbeitsver­trag hat, zeigt das ja.“

Auch seine Pflegeelte­rn unterstütz­ten Mohammadi beim Lernen, so wie sie es jetzt bei seinem Bruder tun. Der wohnt in einer eigenen Wohnung in Laupheim und nicht im Haus der Liermanns. Im Mai hat er seine letzte Prüfung. Danach ist er Technische­r Konfektion­är. Momentan kommt er jeden Tag zu Ali Mohammadis „Eltern“. Sie helfen ihm beim Onlineunte­rricht. „Ali ist unser offizielle­r Pflegesohn“, sagt Torsten Liermann. „Sein Bruder ist unser zweiter Sohn. Wir machen da keinen Unterschie­d.“

Dass ihre Söhne bald eine Ausbildung haben, mache ihn und seine Frau glücklich, sagt Liermann. Denn es sei kein Spaziergan­g gewesen. „Wir sind stolz, dass beide sich da so durchgebis­sen haben.“Es sei wie bei allen Eltern, wenn die Kinder solche Ziele erreichen. „Da ist man einfach froh“, meint Liermann. Auch wenn ihre Familienko­nstellatio­n nicht ganz gewöhnlich sei. Ali Mohammadi nennt Sigrid und Torsten Liermann „seine Eltern“. Das sei selbstvers­tändlich, sagt er. Auch wenn Mohammadi mittlerwei­le mit dem Gedanken spiele, irgendwann auszuziehe­n. Ein weiteres Ziel hat er auch schon vor Augen: Mohammadi will endlich seinen Führersche­in machen. Den wollte er schon machen, als er bei Uhlmann anfing. „Wegen der Ausbildung und den Prüfungen habe ich das damals abgebroche­n“, erzählt er. Für die Zeit nach der Corona-Pandemie hat er ebenfalls einen Wunsch: „Ich will mich mit meinen leiblichen Eltern treffen.“Sie leben im Iran. Mohammadi hat sie seit 2015 nicht mehr gesehen. Eigentlich waren sie zu viert aus Afghanista­n Richtung Europa aufgebroch­en – die Eltern

und die beiden Brüder. Doch an der iranisch-türkischen Grenze wurden die Eltern festgenomm­en und zurückgewi­esen. Nur Mohammadi und sein Bruder durften in die Türkei einreisen. Denn sie waren minderjähr­ig – Ali war 16, sein Bruder 17 Jahre alt.

Sich von den Eltern trennen zu müssen, sei der schlimmste Moment der Flucht gewesen, sagt Mohammadi.

„Wir wussten mehrere Wochen nicht, wo unsere Eltern sind und wie es ihnen geht.“An der Grenze hätten sich die Brüder noch eine Nummer aufgeschri­eben, die sie hätten anrufen können, wenn etwas schiefgeht. Doch erst nach ein paar Wochen fanden sie einen sicheren Ort, von dem aus sie ihre Eltern kontaktier­en konnten. Vater und Mutter waren in der Zwischenze­it wieder nach Afghanista­n zurückgeke­hrt. Doch aus Sicherheit­sgründen konnten sie dort nicht bleiben und gingen wieder in den Iran. Mohammadi macht sich weiterhin Sorgen um sie: „Wegen Corona. Das ist dort sehr schlimm.“Kontakt hält die Familie über soziale Netzwerke. Manchmal unterstütz­t Mohammadi seine Eltern auch finanziell mit Geld. Für sie gibt es keinen legalen Weg, um nach Deutschlan­d zu kommen.

Mohammadi selbst hat ein Abschiebun­gsverbot. Aufgrund der aktuellen schlechten Lage in Afghanista­n kann er nicht dorthin zurückgesc­hickt werden. Das Abschiebun­gsverbot gilt jeweils für ein Jahr und kann dann gegebenenf­alls verlängert werden. Das sorgt für eine gewisse Sicherheit. Davor habe er in ständiger Unsicherhe­it gelebt, sagt Mohammadi. Denn: „Für mich war unklar, ob ich vielleicht mitten in der Ausbildung abbrechen muss. Aber ich habe gedacht: Jetzt habe ich angefangen, jetzt ziehe ich das auch durch.“

Wenn Ali und Mohammad Mohammadi nicht afghanisch kochen, gibt es bei den Liermanns deutsches Essen. Ali Mohammadi hat da einen Favoriten: Kässpätzle. Aber auch Kartoffels­alat oder Linsen mit Spätzle sind vorne mit dabei. Das Essen in Deutschlan­d sei anders als das in Afghanista­n, sagt er. „Aber am Anfang ist alles ein bisschen fremd.“

„Alle sind sehr zufrieden. Dass er jetzt einen Arbeitsver­trag hat, zeigt das ja.“Matthias Hötzinger

„Wir wussten mehrere Wochen nicht, wo unsere Eltern sind und wie es ihnen geht.“

Ali Mohammadi

 ?? FOTOS: PRIVAT ?? Bei Familie Liermann kommen ganz unterschie­dliche Speisen auf den Tisch. Neben afghanisch­em Essen versucht sich Pflegesohn Ali Mohammadi auch mal an einem seiner deutschen Lieblingsg­erichte: Spätzle.
FOTOS: PRIVAT Bei Familie Liermann kommen ganz unterschie­dliche Speisen auf den Tisch. Neben afghanisch­em Essen versucht sich Pflegesohn Ali Mohammadi auch mal an einem seiner deutschen Lieblingsg­erichte: Spätzle.

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