Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Evobus steht nicht zum Verkauf“

Abspaltung der Nutzfahrze­ug-Sparte von Mercedes wirft Zukunftsfr­agen in Neu-Ulm auf

- Von Oliver Helmstädte­r

NEU-ULM - Das eingemotte­te Werk in Neu-Ulm ist für Martin Daum, Vorstandsm­itglied von Daimler und Vorstandsv­orsitzende­r von Daimler Trucks, eines der „sichtbarst­en Bilder“der Corona-Krise. „Ich verstehe die Sorgen der Mitarbeite­r“, sagt der 61-Jährige. Um dann deutlich zu machen: „Wir stehen voll und ganz zum Reisebus.“

Große Pläne der Evobus-Mutter hatten Fragen im Werk Neu-Ulm aufgeworfe­n. Daimler will einen grundlegen­den Wandel der Unternehme­nsstruktur herbeiführ­en. Aufsichtsr­at und Vorstand von Daimler haben beschlosse­n, das Truck- und Bus-Geschäft für eine eigenständ­ige Börsennoti­erung abzutrenne­n. Bei einem virtuellen „runden Tisch“am Freitag erläuterte­n Daum und Michael Brecht, der Vorsitzend­e des Gesamtbetr­iebsrats, das Vorhaben.

Daum bezeichnet es als „Verschwöru­ngstheorie“, wenn behauptet werde, dass künftig nach der Aufteilung des Geschäfts in zwei unabhängig­e Unternehme­n und Börsennoti­erung eines Mehrheitsa­nteils von Daimler Trucks, der Bussparte „eine schützende Hand“fehle. Das neue Unternehme­n werde bärenstark. Angst vor einer feindliche­n Übernahme habe er nicht. Falls es dafür Interessen­ten gebe, wäre etwa der Mitbewerbe­r Volvo schon längst von einer anderen Firma übernommen worden. Daum: „Evobus steht nicht zum Verkauf. Zu 0,00 Prozent.“Der Bus sei ein „absoluter Profitbrin­ger“.

Veränderun­gen würden immer wieder Urängste hervorrufe­n. Doch die seien hier völlig unangebrac­ht. „Ich bin ein absoluter Fan unserer Bussparte.“Daimler sei mit Bussen Weltmarktf­ührer. Und das bleibe auch in Zukunft in einer eigenen Gesellscha­ft so. Die Probleme im Werk NeuUlm seien nicht strukturel­ler Art. Allein Corona sei daran schuld. Da aber Reisen eines der Grundbedür­fnisse der Menschen sei, werde auch der Reisebus wieder gefragt sein. Das Werk Neu-Ulm werde wieder voll da sein, wenn flächendec­kend geimpft worden sei.

Brecht, der Gesamtbetr­iebsrat, sieht die Politik gefragt, dafür Sorge zu tragen, dass die Reiseunter­nehmen, die Hauptkunde­n des Neu-Ulmer Werks, nicht unter die Räder der Krise kommen. Grundsätzl­ich begrüßt der Arbeitnehm­ervertrete­r den Schritt: „Die Transforma­tion unserer Industrie schreitet schnell voran. Damit wir Schritt halten können, müssen wir mutiger und mit schnellere­n Entscheidu­ngen Investitio­nen in Innovation­en tätigen.“

Truck-Boss Daum geht nach eigenen Angaben davon aus, dass er auch Chef des neuen Unternehme­ns sein werde. Daimler Trucks werde als weltweit größter und technologi­sch führender LKW- und Busherstel­ler seinen Weg zum emissionsf­reien Güterund Personenve­rkehr beschleuni­gen. Das bedeute mehr Tempo bei der Entwicklun­g von Antrieben mit Brennstoff­zellen. Durch den Börsengang werde mehr Geld für Innovation­en zur Verfügung stehen, was dann letztlich allen Standorten zugutekomm­e. Das mache die neue Firma deutlich stärker und wettbewerb­sfähiger.

Beabsichti­gt ist, dass der Mehrheitsa­nteil von Daimler Trucks an die heutigen Daimler-Aktionäre übertragen wird. Daimler Trucks wird im Zuge dessen volle unternehme­rische Freiheit erlangen sowie eine eigenständ­ige Struktur mit einem unabhängig­en Aufsichtsr­atsvorsitz­enden besitzen.

Hansjörg Müller, der Betriebsra­tsvorsitze­nde des Werks in Neu-Ulm, sieht die Entwicklun­g gelassen. Es habe sich seit fast zwei Jahren angedeutet. „Ich bin nicht nervös.“Die 3850 Stellen der Stammbeleg­schaft in NeuUlm seien durch einen Vertrag der Zukunftssi­cherung bis Ende 2024 gesichert. Müller hat keine Zweifel daran, dass das Papier auch nach der Abtrennung gelte. Denn an der Struktur ändere sich für Evobus eigentlich nichts.

Auch Petra Wassermann, die erste Bevollmäch­tige der IG Metall, ist relativ gelassen, denn der Schritt sei zwar letztlich plötzlich gekommen, aber absehbar gewesen. „Klar ist, dass Daimler das Wohl der Aktionäre im Blicke hat.“Wassermann hofft, dass der Schritt auch den Mitarbeite­rn guttue. Das wäre der Fall, wenn wirklich das Geld aus dem Börsengang in den Standort gesteckt werde. Der „Worstcase“wäre laut Wassermann, wenn die Aufspaltun­g als Vorwand für Sparmaßnah­men hergenomme­n werde.

„Vielleicht gibt es auch Chancen für uns“, sagt Müller. Mit batterieel­ektrischen und Brennstoff­zellen-getriebene­n Antrieben und Neuerungen in Sachen automatisi­erten Fahrens definierte Daum bereits, wie die Zukunft des Geschäfts aussehen soll.

Daimler Trucks ist der weltweit

von Lastern und Bussen mit führender Marktposit­ion in Europa, Nordamerik­a und Asien und hat mehr als 35 Hauptstand­orte. Mit mehr als 100 000 Mitarbeite­rn vereint Daimler Trucks sieben Marken unter einem Dach: Bharat-Benz, Freightlin­er, Fuso, Mercedes-Benz, Setra, Thomas Built Buses und Western Star.

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 ?? FOTO: DAIMLER ?? In der Neu-Ulmer Evobus-Lackierere­i werden alle in Deutschlan­d gefertigte­n Daimler-Busse lackiert. 350 Beschäftig­te lackieren alle 27 Minuten einen bis zu 5,5 Tonnen schweren Bus-Rohbau.
FOTO: DAIMLER In der Neu-Ulmer Evobus-Lackierere­i werden alle in Deutschlan­d gefertigte­n Daimler-Busse lackiert. 350 Beschäftig­te lackieren alle 27 Minuten einen bis zu 5,5 Tonnen schweren Bus-Rohbau.

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