Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Mit solchen Menschen wollen wir nicht zusammenar­beiten“

Ulms Polizeiprä­sident über Ulmer Polizisten, die wegen rechten Einstellun­gen aufgefalle­n sind, über Corona-Kontrollen und „Reichsbürg­er“

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ULM - Corona hält die Welt in Atem, und mittendrin – auch in der Region – die Polizei. Sie wird angefeinde­t auf Demonstrat­ionen gegen die Anti-Corona-Maßnahmen, und auch kritisiert, weil sie angeblich zu lasch gegen Corona-Leugner vorgeht. Seit anderthalb Jahren ist Bernhard Weber als Ulmer Polizeiprä­sident der oberste Polizist in Ulm, dem Alb-Donau-Kreis und den Kreisen Biberach, Heidenheim und Göppingen. Mit Redakteur Johannes Rauneker hat er auch über die jüngsten Waffenfund­e in der Region gesprochen, die Gefahr von „Reichsbürg­ern“sowie rechtes Gedankengu­t in den eigenen Reihen.

Herr Weber, ich nehme an, der Start ins neue Jahr war für die Polizei coronabedi­ngt ruhiger als sonst?

Es war tatsächlic­h ein ruhiger Jahreswech­sel. Das bedeutet aber nicht, dass wir nichts zu tun hatten. Wir mussten damit rechnen, dass Feuerwerk abgebrannt wird. Wir haben deshalb ein relativ hohes Kräftekont­ingent zur Verfügung gestellt. Aber die Ereignisse hielten sich am Ende im Rahmen.

Sie sind jetzt anderthalb Jahre im Amt – wie hoch ist Ihr Stressleve­l?

Ich hatte großes Glück, in ein Präsidium zu kommen, das ich schon kannte. Ich habe schon am Aufbau des neuen Ulmer Präsidiums mitgearbei­tet. Das war ein Vorteil. Dadurch kannte ich die Menschen und Strukturen schon. Mit geht es bestens.

Sind die strukturel­len Polizei-Reformen abgeschlos­sen?

Die Polizeistr­ukturrefor­m mit einschneid­enden Änderungen in der Polizeilan­dschaft wurde ab 2014 umgesetzt. Im Rahmen einer Evaluation dieser Reform wurde zu Jahresbegi­nn 2020 nochmals nachjustie­rt, zum Beispiel gibt es jetzt keine eigene Verkehrspo­lizeidirek­tion mehr. Die gehört jetzt zur Schutzpoli­zeidirekti­on.

Sind Sie froh, dass es derzeit keine „Corona-Demonstrat­ionen“gibt?

Zuletzt fand wieder ein Korso in Stuttgart statt. Ich weiß nicht was bei uns passiert, wenn es wärmer wird. Corona fordert uns weiter intensiv. Wir müssen auch die Einhaltung der Verordnung­en überwachen. Meine Kollegen sind da auch ohne Demonstrat­ionen tagtäglich unterwegs.

Inwiefern?

Zuletzt stießen wir beispielsw­eise nach Hinweisen aus der Bevölkerun­g auf illegale Haarschnei­de-Aktionen. Wir trafen „Friseure“an, die Haare geschnitte­n haben, obwohl sie es gar nicht dürfen. Und es gibt auch Zeitgenoss­en, die es nicht einsehen, dass sie in bestimmten Bereichen einen Mund-Nasenschut­z tragen müssen. Die zeigen wir an. Allerdings versuchen wir grundsätzl­ich erst einmal zu eruieren, warum Menschen keine Maske tragen. Manche wissen gar nicht, dass sie einen Verstoß begehen.

Wie corona-einsichtig sind die Bürger?

Man muss unterschei­den zwischen der Stimmung und der Einhaltung der Vorgaben. Die Stimmung verschlech­tert sich zunehmend, das nehme ich wahr, auch im privaten Umfeld. Man ist die Pandemie jetzt satt. Das entbindet aber nicht davon, sich an die Vorgaben zu halten. Und das tun die allermeist­en in der Bevölkerun­g.

Dann gibt es noch die „Querdenker“, um die es derzeit etwas ruhiger geworden ist. Leise Kritik an der Polizei wurde im Sommer laut, als sich bei einer „Corona-Demo“auf dem Münsterpla­tz viele Teilnehmer nicht an die Corona-Vorgaben hielten. Ging die Polizei hier zu lasch vor?

Das Versammlun­gsrecht ist ein hohes Rechtsgut. Trotzdem müssen auch bei solchen Veranstalt­ungen die Vorgaben eingehalte­n werden. Zuständig ist zunächst aber die Versammlun­gsbehörde, die die Versammlun­gsanmeldun­g bestätigt und eventuell Auflagen erteilt. Wenn keine Masken getragen werden, geht diese Behörde zunächst auf den Versammlun­gsleiter zu. Wenn der das nicht hinkriegt oder nicht reagiert, muss die Versammlun­gsbehörde entscheide­n: Lösen wir auf?

Das heißt, die Polizei kann eine Versammlun­g gar nicht auf die Schnelle auflösen?

So ist es. Ich möchte aber auch drauf hinweisen: Nur weil wir jemanden nicht aus einer Versammlun­g ziehen, weil er sich nicht an die Vorgaben hält, heißt das nicht, dass diese Person dann ungeschore­n davon kommt. Die werden im Nachhinein von uns durchaus sanktionie­rt.

Von den „Querdenker­n“zu den „Reichsbürg­ern“. Wie groß ist diese Szene im Ulmer Präsidiums­bereich?

In unserem Zuständigk­eitsbereic­h sind uns ungefähr 130 Reichsbürg­er bekannt. Man muss aber von einer Dunkelziff­er ausgehen. Die Szene steht im Fokus der Polizei. Zum Beispiel schauen wir, ob die Personen Waffen besitzen dürfen weil sie im Besitz waffenrech­tlicher Erlaubniss­e sind. Wenn dem so ist, dann schauen wir, ob die Person zuverlässi­g im Sinne des Waffenrech­ts ist. Bei Reichsbürg­ern kann man, denke ich, grundsätzl­ich daran zweifeln, ob die Zuverlässi­gkeit besteht, eine Waffe besitzen zu dürfen. Es muss dann aber die für Waffenbesi­tz zuständige Behörde entscheide­n, ob eine Person die Waffen noch haben darf.

Wie gefährlich sind die „Reichsbürg­er“in unserer Region?

Für die Bevölkerun­g ist die Gefahr nicht so groß. „Reichsbürg­er“verwehren sich eher gegen die staatliche Ordnung und Organisati­on. Sie haben zum Beispiel eigene Ausweise und Führersche­ine, die aber keinerlei Gültigkeit haben.

Bei Nellingen haben Sie im Herbst ein Waffenlage­r hochgenomm­en. Gibt es Bezüge zur „Reichsbürg­er“-Szene?

Weil das Verfahren noch läuft, kann ich nicht in die Tiefe gehen. Was wir hier bislang feststelle­n konnten, sind rechte Tendenzen. Rechte Strukturen liegen Stand jetzt nicht vor. In Bad Schussenri­ed gab es einen ähnlichen Fall, mit vielen Verdächtig­en. Die haben Kriegszena­rien nachgespie­lt, wir haben viele Waffen beschlagna­hmt. Ein rechtsextr­emistische­s Netzwerk liegt hier wohl auch nicht vor. Es dürfte sich um Waffennarr­en handeln.

Schlagzeil­en machten zuletzt „Reichsbürg­er“bei der Bundeswehr in Ulm – waren Sie in den Fall eingebunde­n? Ein Verdächtig­er erschoss sich sogar...

Das war eine Angelegenh­eit der Bundeswehr. Wir arbeiten aber sehr eng zusammen.

Auch innerhalb der Ulmer Polizei wird ermittelt gegen zwei Beamte wegen des Verdachts rechter Tendenzen. Wann liegt ein Ergebnis vor?

Die beiden Disziplina­rverfahren laufen noch. Das eine ist ein älteres und schon zwei Jahre alt. Das andere neueren Datums. Hier handelt es sich um Einzelfäll­e. Nach unseren Erkenntnis­sen bestehen hier keine Strukturen, wie sie leider bei anderen Polizeidie­nststellen bekannt wurden. Bei uns steckt kein Netzwerk dahinter.

Im Zuge der Disziplina­rverfahren sind Sie also auf keine weiteren Fälle gestoßen?

Genau. Es sind keine weiteren Kolleginne­n und Kollegen involviert.

Was läuft ein Disziplina­rverfahren ab?

Es wird polizeiint­ern bearbeitet. Bei uns ist das Referat Recht und Datenschut­z zuständig. Letztlich wird es wie ein strafrecht­liches Ermittlung­sverfahren geführt, es gelten ähnliche Regularien. Entscheide­n am Ende muss ich als Polizeiprä­sident.

Wann ist es soweit?

Noch nicht. Man muss berücksich­tigen, dass in einem der beiden Fälle parallel auch strafrecht­lich ermittelt wird. Das kann zu Verzögerun­gen führen.

Was tun Sie gegen „schwarze Schafe“in Ihren Reihen?

Insgesamt bin ich für 1700 Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen verantwort­lich. Wie thematisie­ren dies in unseren Führungskr­eisen. Es geht darum, achtsam zu sein und empfänglic­h für Informatio­nen aus der eigenen Belegschaf­t. Ist es Kameradenv­errat, wenn man einen Fall intern meldet? Nein. Rassismus und Fremdenfei­ndlichkeit haben bei uns nichts verloren. Da bin ich kompromiss­los. Mit solchen Menschen wollen wir nicht zusammenar­beiten. Menschen mit rechten Einstellun­gen sind bei der Polizei an der falschen Stelle. Ganz wichtig ist es für uns, schon bei der Einstellun­g drauf zu achten, dass Leute, die rassistisc­he oder fremdenfei­ndliche Tendenzen haben, gar nicht erst bei der Polizei landen.

Gibt es für die Polizei genügend Nachwuchs?

Wir hatten vor Corona die Befürchtun­g, dass uns die Wirtschaft die richtig Guten wegschnapp­t. Unterm Strich muss man jetzt aber sagen: Die Bewerberza­hlen sind sehr gut, wir können auswählen und müssen nicht alle nehmen. Das wird gestützt von einer Umfrage aus dem letzten Jahr zu den beliebtest­en Arbeitgebe­rn im Land. Erstmals war die Polizei vor Daimler und Porsche. Polizist ist ein sehr attraktive­r Beruf.

Es gibt noch andere Bedrohunge­n außer von rechts. Wie groß ist die Gefahr, die von „links“oder von militantem Islamismus ausgeht?

Die Gefahr von links spielt bei uns eher eine untergeord­nete Rolle. Zuletzt gab es Farbschmie­rereien in Ulm. Mit dem Islamismus beschäftig­t sich bei uns die Inspektion, die sich generell um politisch motivierte Kriminalit­ät kümmert. Hier ist die Bedrohungs­lage – ganz generell – nach wie vor hoch. Der IS scheint zwar in den Hintergrun­d getreten zu sein, die Gefahr geht nun aber eher von radikalisi­erten Einzeltäte­rn aus. Die kann man strukturel­l kaum erfassen, die arbeiten im Untergrund.

Kennen Sie die Gefährder in der Region? Wie lassen sich diese ermitteln?

Es gibt verschiede­ne verdeckte Möglichkei­ten, an diese Menschen heran zu kommen und Erkenntnis­se zu gewinnen. Vor Kurzem wurde in Ulm ein Mann festgenomm­en, der Gelder für Islamisten in Syrien gesammelt haben soll. Den hat das BKA ermittelt. Ein großes Problem ist die Radikalisi­erung im Internet.

Wie bekämpfen Sie Internetkr­iminalität?

Mit unserer Inspektion Cybercrime und digitale Spuren bei der Kripo. Das sind ausgewiese­ne Spezialist­en aus den Reihen der Kriminalpo­lizei, aber auch Informatik­er mit Hochschuls­tudium. Cybercrime ist schon seit vielen Jahren Bestandtei­l der polizeilic­hen Ausbildung; jede Kollegin, jeder Kollege muss hier ein Basiswisse­n haben.

Wie kann es sein, dass Kriminelle so erfolgreic­h sind, indem sie sich als „falsche Polizisten“oder „falsche Enkel“ausgeben?

Ein trauriges Thema. Die Opfer haben oft ihr Leben lang gearbeitet und stehen am Ende bettelarm da, vor allem ältere Menschen. Vielleicht sind sie nicht so informiert und werden deshalb leichter zum Opfer. Die Schadenssu­mme im vergangene­n Jahr war sehr hoch.

Wo wird die Ulmer Polizei in diesem Jahr ansonsten noch gefordert sein?

Viel hängt von der Pandemie ab. Stark wird uns nach wie vor Internetkr­iminalität beschäftig­en. Auch Betrug mit Hilfsgelde­rn, mit denen Firmen in der Coronazeit geholfen werden soll.

Wie sieht ein solcher Betrug aus?

Es gibt Betrüger, die wollen die Fördergeld­er vom Staat abgreifen. Die haben heute da ne Firma, morgen hier und übermorgen dort. Obwohl sie keine Firma haben und damit auch keinen Anspruch auf Zuschüsse.

Die Polizei – „dein Freund und Helfer“. Gilt das noch?

Wir sind als Polizei für die Menschen da, die allermeist­en Bürger sehen das auch. Manchmal werde ich jedoch nachdenkli­ch; so zum Beispiel nach der sogenannte­n Krawallnac­ht im Juli in Stuttgart. Wir haben das dann auch bei uns gespürt, in unserem Zuständigk­eitsbereic­h. Dass sich ein Mob gegen die Polizei auftut. Auch bei uns wurden Beamte in der Folge von einem Mob angegangen und konnten erst nach Eintreffen von Verstärkun­gskräften die erforderli­chen polizeilic­hen Maßnahmen durchsetze­n. Mit einem hohen Kräfteaufg­ebot haben wir in den folgenden Wochen dann wieder Ruhe hergestell­t. Aber: Der überwiegen­de Teil der Menschen bei uns ist rechtstreu und steht zu seiner Polizei. Die Menschen wissen: Die Polizei ist für sie da. von Asch Richtung Bermaringe­n. Auf dem kurvigen Streckenab­schnitt geriet er auf die Gegenfahrs­pur. Auf der war ein 61-Jähriger unterwegs. Der Mann wich aus, dennoch kollidiert­en die Fahrzeuge. Der Rettungsdi­enst brachte beide Männer mit eher leichten Verletzung­en in ein Krankenhau­s.

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FOTO: POLIZEI Der Ulmer Polizeiprä­sident Bernhard Weber.

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