Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Bischöfe skeptisch gegenüber Biden
Progressive Kräfte gewinnen unter dem zweiten katholischen US-Präsidenten an Einfluss
WASHINGTON (KNA) - Der frischgewählte Präsident verlor keine Zeit. Binnen Tagen unterschrieb Joe Biden Dekrete, damit die USA ins Pariser Klimaabkommen zurückkehren, der sogenannte Reisebann für Menschen aus mehrheitlich islamischen Ländern verschwindet und die Zusammenführung von Flüchtlingsfamilien Priorität bekommt. Weiter ging es mit Erlassen zur Corona-Pandemie. Biden stoppte zudem die Finanzierung des Mauerbaus an der Grenze zu Mexiko und legte ein Einwanderungsgesetz vor, das Rechtssicherheit für die elf Millionen Menschen ohne gültige Papiere schaffen soll. Was fehlte, waren die traditionellen Dekrete zur Abtreibung, mit denen Präsidenten auf beiden Seiten des politischen Spektrums in der Vergangenheit ihre Reviere markierten. Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Erzbischof José Gómez aus Los Angeles, stieß in dieses Vakuum, indem er dem zweiten Katholiken im Weißen Haus zur Amtseinführung einen überaus geharnischten Glückwunsch ausrichtete. Das Verhältnis scheint angespannt.
Gleich nach der Wahl hatten die US-Bischöfe eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um das komplexe Verhältnis zu dem Demokraten auszuloten. Den
Bedarf für einen ähnlichen Schritt hatte die Bischofskonferenz (USCCB) aus Sicht von Kritikern vier Jahre lang leider nicht gesehen, als Donald Trump die Umwelt verschmutzte, Flüchtlingskinder in Käfige sperrte, auf Einwanderer schimpfte und Muslime diskriminierte. Viele Bischöfe waren auf den Trump-Zug aufgesprungen, weil der Ex-Präsident ihnen etwas gab, das konservative Republikaner und Demokraten ihnen gleichermaßen verweigert hatten: Gehör für kulturkämpferische Klagen.
Die Skepsis gegenüber dem „eigenen Mann“reicht nun bis zur offenen Ablehnung. Bidens Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen in der Abtreibungsfrage, die er persönlich wiederum ablehnt, ist den Hirten mehr als ein Dorn im Auge.
Ein „anderes, liberaleres Christentum“ist unter Biden auf dem Vormarsch, konstatiert die „New York Times“. Eines, das nicht das Thema Abtreibung ins Zentrum stellt, sondern Armut, Rassenungleichheit und Klimawandel in den Fokus rückt. Bidens politische Prioritäten spiegeln das, wofür sich „progressive Glaubensführer eingesetzt haben“, sagt der bei den Demokraten für interreligiöse Öffentlichkeitsarbeit zuständige Derrick Harkins. Diese spielten bei dem traditionellen Gottesdienst am Tag nach Bidens Vereidigung eine prominente Rolle. Anders als vor vier Jahren, als Trump vor allem Evangelikale um sich scharte, erhoben bei Biden liberale Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften das Wort.
Auch andere Neulinge in Führungsrollen der Demokraten gründen ihre politischen Werte auf ein progressives Christentum. Der neue Senator aus Georgia, Raphael Warnock, war Pastor der Ebenezer Baptist Church in Atlanta, in der einst Martin Luther King sein spirituelles Zuhause hatte. Er errang seinen Wahlsieg mit einer Kampagne, die in der schwarzen Befreiungstheologie wurzelt. Die Abgeordnete und Pastorin Cori Bush aus St. Louis setzt sich leidenschaftlich für ein Grundeinkommen ein. Und die New Yorker Abgeordnete Alexandria OcasioCortez beruft sich bei ihrem Werben für eine Reform des Gesundheitswesens und in der Umweltpolitik ausdrücklich auf ihre katholischen Überzeugungen.
Besonders problematisch für konservative Katholiken ist Bidens Mann für das Gesundheitsministerium, Xavier Becerra. Der Ex-Generalstaatsanwalt von Kalifornien verklagte dort die „Little Sisters of the Poor“, die die Bezahlung von Verhütungsmitteln durch die Krankenkassen gerichtlich verhindert hatten.
Der zweite katholische US-Präsident steht eng an der Seite von Papst Franziskus, der in den Reihen der Bischofskonferenz nicht weniger Kritiker hat als Biden. Lebensschutz steht für beide in einem größeren Kontext. Dazu zählt die Abtreibungsfrage ebenso wie der Schutz für Flüchtlinge, das Nein zur Todesstrafe oder die Erhaltung der Schöpfung Gottes.
Der Kirchenhistoriker Massimo Faggioli sieht einen „Kulturkrieg“gegen die Moderne aufziehen. Für die konservativen US-Bischöfe sei Biden zu moderat, schreibt der Theologe in seinem aktuellen Buch. Die Traditionalisten innerhalb der USCCB hält Faggioli für „Tea-Party-Katholiken“, die kurz davor stünden, in den Fundamentalismus abzurutschen.