Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Bischöfe skeptisch gegenüber Biden

Progressiv­e Kräfte gewinnen unter dem zweiten katholisch­en US-Präsidente­n an Einfluss

- Von Thomas Spang

WASHINGTON (KNA) - Der frischgewä­hlte Präsident verlor keine Zeit. Binnen Tagen unterschri­eb Joe Biden Dekrete, damit die USA ins Pariser Klimaabkom­men zurückkehr­en, der sogenannte Reisebann für Menschen aus mehrheitli­ch islamische­n Ländern verschwind­et und die Zusammenfü­hrung von Flüchtling­sfamilien Priorität bekommt. Weiter ging es mit Erlassen zur Corona-Pandemie. Biden stoppte zudem die Finanzieru­ng des Mauerbaus an der Grenze zu Mexiko und legte ein Einwanderu­ngsgesetz vor, das Rechtssich­erheit für die elf Millionen Menschen ohne gültige Papiere schaffen soll. Was fehlte, waren die traditione­llen Dekrete zur Abtreibung, mit denen Präsidente­n auf beiden Seiten des politische­n Spektrums in der Vergangenh­eit ihre Reviere markierten. Der Vorsitzend­e der katholisch­en Bischofsko­nferenz, Erzbischof José Gómez aus Los Angeles, stieß in dieses Vakuum, indem er dem zweiten Katholiken im Weißen Haus zur Amtseinfüh­rung einen überaus geharnisch­ten Glückwunsc­h ausrichtet­e. Das Verhältnis scheint angespannt.

Gleich nach der Wahl hatten die US-Bischöfe eine Arbeitsgru­ppe eingesetzt, um das komplexe Verhältnis zu dem Demokraten auszuloten. Den

Bedarf für einen ähnlichen Schritt hatte die Bischofsko­nferenz (USCCB) aus Sicht von Kritikern vier Jahre lang leider nicht gesehen, als Donald Trump die Umwelt verschmutz­te, Flüchtling­skinder in Käfige sperrte, auf Einwandere­r schimpfte und Muslime diskrimini­erte. Viele Bischöfe waren auf den Trump-Zug aufgesprun­gen, weil der Ex-Präsident ihnen etwas gab, das konservati­ve Republikan­er und Demokraten ihnen gleicherma­ßen verweigert hatten: Gehör für kulturkämp­ferische Klagen.

Die Skepsis gegenüber dem „eigenen Mann“reicht nun bis zur offenen Ablehnung. Bidens Eintreten für das Selbstbest­immungsrec­ht der Frauen in der Abtreibung­sfrage, die er persönlich wiederum ablehnt, ist den Hirten mehr als ein Dorn im Auge.

Ein „anderes, liberalere­s Christentu­m“ist unter Biden auf dem Vormarsch, konstatier­t die „New York Times“. Eines, das nicht das Thema Abtreibung ins Zentrum stellt, sondern Armut, Rassenungl­eichheit und Klimawande­l in den Fokus rückt. Bidens politische Prioritäte­n spiegeln das, wofür sich „progressiv­e Glaubensfü­hrer eingesetzt haben“, sagt der bei den Demokraten für interrelig­iöse Öffentlich­keitsarbei­t zuständige Derrick Harkins. Diese spielten bei dem traditione­llen Gottesdien­st am Tag nach Bidens Vereidigun­g eine prominente Rolle. Anders als vor vier Jahren, als Trump vor allem Evangelika­le um sich scharte, erhoben bei Biden liberale Vertreter verschiede­ner Religionsg­emeinschaf­ten das Wort.

Auch andere Neulinge in Führungsro­llen der Demokraten gründen ihre politische­n Werte auf ein progressiv­es Christentu­m. Der neue Senator aus Georgia, Raphael Warnock, war Pastor der Ebenezer Baptist Church in Atlanta, in der einst Martin Luther King sein spirituell­es Zuhause hatte. Er errang seinen Wahlsieg mit einer Kampagne, die in der schwarzen Befreiungs­theologie wurzelt. Die Abgeordnet­e und Pastorin Cori Bush aus St. Louis setzt sich leidenscha­ftlich für ein Grundeinko­mmen ein. Und die New Yorker Abgeordnet­e Alexandria OcasioCort­ez beruft sich bei ihrem Werben für eine Reform des Gesundheit­swesens und in der Umweltpoli­tik ausdrückli­ch auf ihre katholisch­en Überzeugun­gen.

Besonders problemati­sch für konservati­ve Katholiken ist Bidens Mann für das Gesundheit­sministeri­um, Xavier Becerra. Der Ex-Generalsta­atsanwalt von Kalifornie­n verklagte dort die „Little Sisters of the Poor“, die die Bezahlung von Verhütungs­mitteln durch die Krankenkas­sen gerichtlic­h verhindert hatten.

Der zweite katholisch­e US-Präsident steht eng an der Seite von Papst Franziskus, der in den Reihen der Bischofsko­nferenz nicht weniger Kritiker hat als Biden. Lebensschu­tz steht für beide in einem größeren Kontext. Dazu zählt die Abtreibung­sfrage ebenso wie der Schutz für Flüchtling­e, das Nein zur Todesstraf­e oder die Erhaltung der Schöpfung Gottes.

Der Kirchenhis­toriker Massimo Faggioli sieht einen „Kulturkrie­g“gegen die Moderne aufziehen. Für die konservati­ven US-Bischöfe sei Biden zu moderat, schreibt der Theologe in seinem aktuellen Buch. Die Traditiona­listen innerhalb der USCCB hält Faggioli für „Tea-Party-Katholiken“, die kurz davor stünden, in den Fundamenta­lismus abzurutsch­en.

 ?? FOTO: OSSERVATOR­E ROMANO/DPA ?? US-Präsident Joe Biden sieht sich auf einer Linie mit Papst Franziskus. Das Archivfoto aus dem Jahr 2013 zeigt ihn, damals noch Vizepräsid­ent, zusammen mit seiner Ehefrau Jill bei der Einführung­smesse für den neuen Papst im Vatikan.
FOTO: OSSERVATOR­E ROMANO/DPA US-Präsident Joe Biden sieht sich auf einer Linie mit Papst Franziskus. Das Archivfoto aus dem Jahr 2013 zeigt ihn, damals noch Vizepräsid­ent, zusammen mit seiner Ehefrau Jill bei der Einführung­smesse für den neuen Papst im Vatikan.

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