Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Mit Schlagbäumen gegen Mutationen
Ab Sonntag gelten wegen hoher Verbreitung der Corona-Varianten Einreisebeschränkungen für Tirol und Tschechien – FDP-Innenexperte Strasser fordert neue Teststrategie
BERLIN/RAVENSBURG - Seit den unkoordinierten Schlagbaumschließungen und kilometerlangen Staus vor einem Jahr gelten EU-Grenzkontrollen als allerletztes Mittel im Kampf gegen das Virus. Trotzdem sollen sie jetzt ausgeweitet werden.
Was ist geplant?
Deutschland hatte am Donnerstag wegen des verstärkten Auftretens mutierter Coronaviren Tschechien und das österreichische Bundesland Tirol als Virusmutationsgebiete eingestuft. Das Bundesinnenministerium ordnete ab Sonntag Grenzkontrollen an, um die damit verbundenen Beförderungs- und Einreiseverbote durchzusetzen, auch für die Slowakei gilt ein Beförderungsverbot. Was das für Einreisende aus Tschechien und Tirol genau bedeutet, steht aber noch nicht fest. Im Großen und Ganzen werde man sich wohl an den Regelungen orientieren, die es für Einreisen aus anderen Virusmutationsgebieten wie Portugal oder Großbritannien gibt, hieß es. Von dort dürfen im Prinzip nur noch Deutsche, Ausländer mit Wohnsitz in Deutschland sowie medizinisches
Personal und – unter bestimmten Voraussetzungen – Transitpassagiere einreisen. Auch Lieferverkehr soll erlaubt bleiben, womöglich aber verbunden mit der Verpflichtung für Lastwagenfahrer, einen negativen Test vorzuweisen.
Die Züge der Deutschen Bahn (DB) und der Bayerischen Regiobahn (BRB) fahren wegen der neuen Corona-Regelungen bereits bis auf Weiteres nicht mehr nach Tirol.
Wieso kann man im SchengenRaum die Grenzen schließen?
Grundsätzlich sind die Binnengrenzen zwischen den beteiligten Staaten quasi abgeschafft. Das heißt aber nicht, dass Grenzkontrollen unmöglich oder verboten wären: Vielmehr ist im Schengen-Kodex geregelt, dass die Mitgliedstaaten vorübergehend und in Ausnahmefällen solche Kontrollen einführen können. Das wurde auch immer wieder gemacht – beispielsweise, um Randalierer von Fußballspielen oder Gipfeltreffen fernzuhalten. Auch in der Flüchtlingskrise wurden von einigen Staaten, darunter Deutschland, Grenzkontrollen eingeführt. Sie gelten teilweise bis heute, obwohl die Maßnahme eigentlich nur temporär genutzt werden soll. Gänzlich geschlossen werden die Grenzen dabei allerdings nicht, nur kontrolliert.
Was ist daran problematisch?
Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser erinnert an die negativen Folgen der Beschränkungen für Familien und Wirtschaft. „Deutschland, Österreich und die Schweiz sind in unserer Region eng verwoben“, sagte Strasser der „Schwäbischen Zeitung“. Die Grenzschließungen seien daher eine emotionale Belastung für viele Menschen und die regionalen Unternehmen gewesen.
In einem Positionspapier fordert er Maßnahmen zur Vermeidung von Grenzschließungen. Das Papier liegt der „Schwäbischen Zeitung“exklusiv vor. Landes- und Bundesregierungen müssen demnach eine Teststrategie für „berufs- und familienbedingte Pendler“auflegen. Die Zahl der Tests sollte erhöht werden. Dafür sollte die Regierung die Hersteller bei der Zertifizierung der neuen Selbsttests unterstützen und erwägen, ihren Erwerb zu bezuschussen. Von den Landesregierungen fordert er zudem, Testzentren für die verlässlicheren PCR-Tests in grenznahen Regionen zu errichten.
Sollten weitere Grenzkontrollen notwendig werden, dürften Logistikketten nicht unterbrochen werden. Bund und Länder müssten Vorkehrungen für die digitale Übermittlung von Fahrerdaten treffen. „PrioritätsSpuren“an den Kontrollstellen könnten den Warenfluss gewährleisten.
Die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner warnt jedoch vor „Chaos“, wenn beispielsweise Pendler erst an der Grenze auf Corona getestet werden oder dort ihre negativen Ergebnisse vorzeigen müssen. Sie fordert „praktikable Lösungen vor Ort zum Schutz der Menschen und zum Erhalt des Lebens in unseren Grenzregionen“, beispielsweise Tests direkt am Arbeitsplatz. „Die offenen Grenzen in Europa sind und bleiben ein hohes Gut, das es auch in dieser Krise weiter zu schützen gilt“, betonen die SPD-Europapolitiker Achim Post und Dirk Wiese und fordern „Augenmaß“.
Welches Land ist als nächstes dran?
Ob es zu Einreisebeschränkungen im Grenzverkehr mit anderen Nachbarländern kommt, hängt an der jeweiligen Corona-Lage. Die ist unterschiedlich. Alle Länder um Deutschland herum sind als Risikogebiete eingestuft. Von den Nachbarländern gelten allerdings zurzeit nur Tschechien und das österreichische Bundesland Tirol als Virusmutationsgebiete. Damit gemeint sind Gegenden, in denen Mutationen des Coronavirus stark um sich greifen.
In Polen sind Geschäfte geöffnet, und seit Freitag dürfen auch Hotels und Gaststätten, Kinos und andere Einrichtungen wieder Gäste empfangen. Allerdings gelten hier im Grenzverkehr Einreisebeschränkungen. Wer von dort ohne einen höchstens 48 Stunden alten negativen CoronaTest nach Deutschland einreist, muss für zehn Tage in Quarantäne oder kann sich nach fünf Tagen mit einem negativen Corona-Test freikaufen. Auch Tschechien plant trotz hoher Infektionszahlen am Wochenende Lockerungen des Lockdowns.