Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Freispruch für den Schuldigen
Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump scheitert – Jetzt kommen Strafverfahren auf den Ex-Präsidenten in den USA zu
WASHINGTON - Als Mitch McConnell ans Rednerpult tritt, ist der Freispruch für Donald Trump bereits beschlossene Sache. 57 der 100 Senatoren haben den Ex-Präsidenten für schuldig befunden, mehr als erwartet, aber nicht annähernd die Zweidrittelmehrheit, die für eine Verurteilung notwendig gewesen wäre. Der Republikaner spricht vor leeren Sitzreihen, vor leeren MahagoniTischen, die meisten seiner Kollegen haben den Saal längst verlassen. Und McConnell klingt, als wollte er noch einmal besonders prägnant zusammenfassen, was die Anklage gegen Trump vorzubringen hatte.
„Es steht außer Frage, dass Präsident Trump praktisch und moralisch verantwortlich ist, die Ereignisse jenes Tages provoziert zu haben“, sagt der Politikveteran aus Kentucky. Der Mob habe das Kapitol gestürmt, nachdem er vom mächtigsten Mann der Welt mit Lügen gefüttert worden sei, von einem Mann, der wütend war, weil er eine Wahl verloren hatte. Niemand außer Trump, so McConnell, hätte „die Kriminellen, die seine Flagge hissten und sich ihre Treue zu ihm aus dem Leib schrien“, stoppen können. Statt einzugreifen, habe der Präsident seine Pflichten auf schändliche Weise verletzt. Und doch, fügt der Fraktionschef der Republikaner hinzu, habe er ihn nicht schuldig sprechen können. Denn an dem Tag, an dem der Impeachment-Prozess begann, sei Donald Trump schon nicht mehr im Amt gewesen.
Sieben der 50 Republikaner der Kammer – Richard Burr, Bill Cassidy, Susan Collins, Lisa Murkowski, Mitt Romney, Ben Sasse und Patrick Toomey – haben das anders gesehen. Sie waren nicht nur von Trumps Schuld überzeugt, sie verzichteten auch darauf, sich des Arguments eines vermeintlich verfassungswidrigen Verfahrens zu bedienen, mit dem sich McConnell aus der Affäre zog. Toomey, ein Senator aus Pennsylvania, spricht hinterher von den Gründern der Republik, die das ImpeachmentInstrument nur deshalb in die Verfassung aufnahmen, weil sie genau das fürchteten, was sich nach dem Votum im vergangenen November abspielte. Einen Amtsinhaber, der versucht, nach seiner Niederlage den Übergang der Macht zu blockieren.
Toomey hat bereits angekündigt, bei der nächsten Senatswahl im Herbst 2022 nicht mehr anzutreten. Es kann ihm egal sein, wenn Trump die Parteibasis aufruft, bei den nächsten Vorwahlen jedem das Vertrauen zu entziehen, der es wagte, sich gegen ihn zu stellen. Es betrifft ihn nicht mehr. Auch Burr, ein 65-Jähriger aus North Carolina, verabschiedet sich in zwei Jahren aus dem Senat. Cassidy, Collins und Sasse wurden gerade für sechs Jahre gewählt, sodass auch sie weniger Rücksicht auf die Trumpisten an der Basis nehmen müssen. Über Romneys Sitz wird erst 2024 das nächste Mal entschieden. Mit Ausnahme Murkowskis, deren Mandat 2022 neu zu vergeben ist, waren die sieben Republikaner, die für ein Impeachment plädierten, relativ frei von politischen Zwängen, die manche ihrer Kollegen bewogen, den Spagat zu versuchen – Kritik an Trump, aber letztlich ein Freispruch für ihn.
57 zu 43, das ist durchaus ein Erfolg für die Demokraten. Kein Amtsenthebungsverfahren der jüngeren Vergangenheit, betont denn auch Jamie Raskin, der Chefankläger, ist derart überparteilich zu Ende gegangen, mit einer so hohen Zahl von Volksvertretern, die sich mit der Gegenseite verbündeten. Vor zwölf Monaten war Romney noch der einzige Republikaner, der Trump für schuldig befand. Diesmal wagt sich, neben den sieben Senatoren, auch Nikki Haley aus der Deckung, eine konservative Hoffnungsträgerin, von der alle erwarten, dass sie 2024 fürs Oval Office kandidiert. Einst Trumps UN-Botschafterin,
bricht sie nun mit ihm. „Wir hätten ihm nicht folgen, wir hätten nicht auf ihn hören dürfen“, sagt sie, auf die Manöver nach der Abwahl anspielend. „Und wir dürfen nicht zulassen, dass so etwas jemals wieder passiert.“
Vor einem Jahr inszenierte der Freigesprochene eine Siegesfeier im Weißen Haus, die darin gipfelte, dass er ein Exemplar der von ihm sonst so innig gehassten „Washington Post“präsentierte. „Trump acquitted“, war auf der Titelseite zu lesen, eine Zeile, die der ausgelassen Triumphierende sichtlich genoss. Diesmal meldete er sich, seines Sprachrohrs bei Twitter beraubt, mit einem schriftlichen Statement aus seinem Strandclub in Florida zu Wort. Von einer Hexenjagd ist darin die Rede und davon, dass vor ihm noch kein Präsident auch nur ansatzweise Ähnliches durchmachen musste. Und zwar nur, weil seine Gegner nicht vergessen könnten, dass 75 Millionen Amerikaner für ihn gestimmt hätten, die höchste Zahl, die jemals für einen amtierenden Präsidenten votierte. In Wahrheit waren es 74,2 Millionen, wobei Trump einmal mehr verschwieg, dass sein Widersacher Joe Biden sieben Millionen Stimmen mehr bekam.
Und nun? Was an Strafverfahren noch auf ihn zukommen kann, etwa in New York, wo der Staatsanwalt Cyrus Vance seine Steuererklärungen der letzten Jahre unter die Lupe nimmt, hat McConnell, am Samstagabend im Senat, in lakonischer Kürze zusammengefasst. Präsident Trump, sagte er, sei immer noch, auch als Privatmann,
haftbar für alles, was er im Amt getan habe. Ungestraft davongekommen sei er noch nicht.
Seinen dramatischsten Moment hatte der Prozess nur wenige Stunden vor der Entscheidung erlebt. Es ging um die Frage, wann Trump am 6. Januar klar wurde, dass sein Stellvertreter Mike Pence in höchster Gefahr schwebte. Was er unternahm, als es ihm klar geworden sein musste. In den Stunden zuvor hatte er vom Vizepräsidenten verlangt, die fällige Zertifizierung des Wahlergebnisses zu verhindern. Als der sich weigerte, reagierte der draußen versammelte Mob mit Todesdrohungen, mit der Parole „Hängt Mike Pence!“. Um 14.12 Uhr – die ersten Marodeure waren gerade ins Kapitol eingedrungen – musste Pence aus der Senatskammer evakuiert werden, da der Secret Service um seine Sicherheit fürchtete.
Zwölf Minuten darauf griff ihn Trump auf Twitter erneut an. Als schließlich Kevin McCarthy, der führende Republikaner im Repräsentantenhaus, mit dem Präsidenten telefonierte und ihn anflehte, endlich einzugreifen, soll er erwidert haben, das seien nicht seine Leute, das sei die Antifa, die gerade das Kapitol stürme. McCarthy widersprach, worauf der Mann im Oval Office ungerührt erwiderte: „Nun, Kevin, ich schätze, dass diese Leute wütender über die Wahl (deren Ausgang – Red.) sind als du.“
Jaime Herrera Beutler, eine republikanische Abgeordnete, die der Lokalpresse ihres Bundesstaats Washington bereits vor Wochen von dem Gespräch erzählte, sollte, so beschloss es der Senat in einer überraschenden Wendung, in den Zeugenstand gerufen werden. Kurz darauf folgte am Samstagmittag der Rückzieher, das Ergebnis eines eilends ausgehandelten Kompromisses zwischen beiden Parteien. Die Vernehmung von Zeugen hätte das Verfahren in die Länge gezogen, die Kammer wäre womöglich über Wochen damit beschäftigt gewesen, wäre es nicht bei der einen Zeugin geblieben.
Über dringende Gesetzesvorhaben der Regierung Biden hätte sie in dieser Zeit wohl kaum entscheiden können. Letztlich schreckten auch die Demokraten vor einem solchen Szenario zurück – offensichtlich in der Annahme, dass auch eine Verlängerung nichts geändert hätte am Stimmverhalten der Republikaner.