Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Grenzgänger Coronavirus
Für die Einreise nach Deutschland aus Risikogebieten gelten zahlreiche Regeln – Doch wird ihre Einhaltung auch kontrolliert?
BERLIN - Etwas plötzlich, aber nicht ganz unerwartet hat Deutschland die Grenzen zu Tschechien und zum Bundesland Tirol in Österreich weitgehend dichtgemacht. Wer die Landesgrenzen passieren will, braucht schon einen guten Grund – und einen gültigen negativen Corona-Test. Denn Tschechien und Tirol gelten – wie die Slowakei – als Virusvarianten-Gebiete. Das heißt, dort grassieren bereits vermehrt Varianten des Coronavirus, die als Grenzgänger unerwünscht sind. Doch die Aufregung über kurzzeitige Lkw-Staus und regionale Befindlichkeiten verdeckt, dass die Einreise nach Deutschland schon seit Langem nicht mehr einfach so möglich ist. Ob vom Westen, Norden, Osten oder Süden aus: Hinter allen Grenzen liegen Länder wie Polen, Dänemark, Frankreich und die Schweiz, die von der Bundesregierung als Risikogebiete eingestuft wurden. Wer von dort nach Deutschland einreist – oder als Deutscher zurückkehrt – muss sich ebenfalls an Auflagen halten, sonst drohen Bußen. Die „Schwäbische Zeitung“hat nachgefragt, wie Bayern und Baden-Württemberg damit umgehen.
Wie ist die Ausgangslage für Einreisende aus Risikogebieten?
Wer sich in den vergangenen zehn Tagen in einem Risikogebiet aufgehalten hat und nach Deutschland einreist, muss eine digitale Einreiseanmeldung mit Namen, Datum, Reisemittel und geplantem Aufenthaltsort ausfüllen, die an das RobertKoch-Institut (RKI) geht. Diese Informationen werden laut RKI täglich verschlüsselt dem Gesundheitsamt übermittelt, das für den Aufenthaltsort des Einreisenden zuständig ist. Die Gesundheitsämter sollen so überprüfen können, ob die Quarantänevorschriften nach einem Aufenthalt in einem Risikogebiet eingehalten werden. Stand 18. Februar gingen seit dem 8. November des vergangenen Jahres 1 060 000 Einreiseanmeldungen beim RKI ein. Die Beförderer von Einreisenden aus einem Risikogebiet – Bahn und Fluggesellschaften – haben die Pflicht zu kontrollieren, ob die Passagiere die Einreiseanmeldung ausgefüllt haben.
Und was ist mit den Tests?
Mit der Anmeldepflicht ist es allerdings nicht getan: Die Einreisenden aus einem Risikogebiet müssen bis spätestens 48 Stunden nach dem Grenzübertritt mit einem negativen Testergebnis nachweisen können, dass sie nicht mit dem Coronavirus infiziert sind. Für Einreisende aus Hochinzidenz- oder VirusvariantenGebieten gelten noch strengere Vorgaben: Sie müssen bereits bei der Einreise einen negativen CoronaTest vorweisen können, der nicht älter als 48 Stunden ist. Den Ländern ist es erlaubt, noch schärfere Regeln als die in der Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums vorgesehenen zu erlassen. Wer nach einem Aufenthalt in einem Risikogebiet die Quarantäne-Frist von zehn Tagen abkürzen will, kann nach fünf Tagen freiwillig einen zweiten Test machen – und sich somit, im Falle eines negativen Ergebnisses, freitesten.
Gibt es Ausnahmen für bestimmte Personengruppen?
Ja, die gibt es. Und die spielen vor allem in grenznahen Ländern wie Baden-Württemberg und Bayern eine große Rolle. Im Südwesten sind Durchreisende, Grenzpendler und Grenzgänger, professionelle Transporteure von Personen, Waren und Gütern von der Quarantäne- und Testpflicht ausgenommen. Das Gleiche gilt für Personen, die im Rahmen der 24-Stunden-Regelung aus Grenzregionen einreisen (ausgenommen sind touristische Gründe und Einkaufszwecke), und Besucher von Verwandten ersten Grades und Lebenspartnern, die sich weniger als 72 Stunden in Baden-Württemberg aufhalten. In Bayern gelten ähnliche Ausnahmeregelungen bei der Quarantäne. Allerdings müssen sich im Freistaat Grenzpendler (die in Bayern wohnen und im Risikogebiet arbeiten oder studieren) und Grenzgänger (die aus einem Risikogebiet nach Bayern kommen) mindestens einmal pro Woche auf das Virus testen lassen. Baden-Württemberg hat Anfang Februar beschlossen, die Testkosten von Grenzpendlern zu übernehmen, falls weitere Nachbarländer vom Bund als Hochinzidenzoder Virusvarianten-Gebiet eingestuft würden. „Das ist nicht nur im
Interesse unserer heimischen Wirtschaft in Baden-Württemberg, sondern auch für den gemeinsamen europäischen Lebens- und Wirtschaftsraum von großer Bedeutung“, teilte Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) mit.
Wie viele Grenzpendler reisten vor der Corona-Pandemie täglich nach Bayern und Baden-Württemberg ein?
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit pendeln rund 51 000 Menschen aus dem Ausland nach Bayern (Stand: Juli 2019). Wie ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums mitteilt, stammen 23 440 (46
Prozent) aus Tschechien, 10 150 (19,9 Prozent) aus Österreich, weitere 6500 (12,7 Prozent) aus Polen, 2670 aus Ungarn und 2368 aus der Slowakei. Aus der Schweiz kommen nur 188 Pendler. In Baden-Württemberg arbeiteten 2019 rund 26 400 Grenzpendler. Den höchsten Anteil an Grenzpendlern – mit insgesamt 13 600 Personen – verzeichneten laut Arbeitsagentur drei Kreise an der deutsch-französischen Grenze: der Ortenaukreis, der Kreis Rastatt und Baden-Baden. 77 Prozent aller Grenzpendler im Land stammen aus Frankreich, acht Prozent aus Polen und immerhin noch vier Prozent aus Rumänien.
Wie erklärt sich die 72-StundenRegelung für Lebenspartner und Familienangehörige?
Als Laie könnte man annehmen, in den ersten 72 Stunden nach der Einreise aus einem Risikogebiet sei die Gefahr am größten, dass Corona-Infizierte andere Menschen anstecken. Das baden-württembergische Sozialministerium bewertet dies anders: Man gehe davon aus, „dass die Dauer des Aufenthalts mit der Anzahl infektionsträchtiger Kontakte korreliert“. Für den Zeitraum bis zu 72 Stunden sei eher von einer geringen Infektionswahrscheinlichkeit auszugehen. Das bayerische Gesundheitsministerium verweist auf die Bundesregierung,
die diesen Zeitraum in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Experten und Gremien festgelegt habe.
Wer überprüft, ob die Auflagen wie Einreiseanmeldungen, Tests und Quarantäne eingehalten werden?
In Bayern überprüfen derzeit Bundespolizei und bayerische Grenzpolizei an den Landesgrenzen, ob Einreisende die Vorgaben erfüllen. Laut bayerischem Innenministerium wurden zwischen dem 14. und dem 16. Februar deshalb rund 6700 von insgesamt 48 600 Reisenden gestoppt. Seit Ende Dezember 2020 seien im grenznahen Raum rund 270 000 Kontrollen vorgenommen worden, um die Auflagen zu überwachen. Auch auf lokaler und regionaler Ebene wird kontrolliert, ob Einreiseregeln wie die Quarantäne eingehalten werden. Zuständig seien die Kommunen, genauer die Ortspolizeibehörden, also die Ordnungsämter, teilt das baden-württembergische Sozialministerium mit.
Schaffen es die Gesundheitsämter, den digitalen Reiseanmeldungen, die ihnen vom RKI übermittelt werden, nachzugehen?
Für die Gesundheitsämter ist diese Aufgabe nicht erste Priorität, sondern die Nachverfolgung von Kontaktketten bei Corona-Infektionen und die Bearbeitung von Fällen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Wie beispielsweise das Gesundheitsamt Lindau mitteilt, werden daneben die Einreisevorschriften stichprobenartig bearbeitet, „soweit es die Kapazitäten zulassen“. Die Einreisen aus VirusvariantenGebieten hätten absolute Priorität.
Mit welchen Bußen müssen Quarantänebrecher rechnen, wenn sie erwischt werden?
In Baden-Württemberg drohen Bußgelder zwischen 150 und 5000 Euro – je nach Vergehen. Der Regelsatz liegt bei 300 Euro, wenn die Quarantänepflicht nicht eingehalten wird. In Bayern kosten entsprechende Ordnungswidrigkeiten zwischen 150 und 10 000 Euro, der Regelsatz für einen „Verstoß gegen die häusliche Absonderung“liegt bei 2000 Euro.