Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Riedlinger stirbt fünf Monate nach Abschiebung
Tragisches Ende für Sali K. im Kosovo – Familie hatte um die Rückführung gekämpft
RIEDLINGEN (beß/sz) - Fünf Monate nach seiner Abschiebung aus Riedlingen ist Sali K. im Kosovo gestorben. Das haben das „Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung“und der Flüchtlingsrat BadenWürttemberg am Freitag in einer gemeinsamen Presseerklärung mitgeteilt.
Sali K. ist in der Nacht vom 11. auf den 12. März gestorben. Er war am 12. Oktober gemeinsam mit seiner Frau Mire G. aus Riedlingen in den Kosovo abgeschoben worden (SZ berichtete). Zuvor hatte das Paar fast 29 Jahre in Deutschland gelebt. Die gesamte Familie lebt in Deutschland: sechs Kinder, 17 Enkel, ein Urenkel und die Mutter von Mire G.
Sali K. wurde 62 Jahre alt. Er war dreimal am Herz operiert worden und sei, das bestätigt seine Familie, auf regelmäßige medizinische Betreuung angewiesen gewesen. Den Behörden, der Ausländerbehörde Biberach, den Regierungspräsidien Tübingen und Karlsruhe, sei der Gesundheitszustand bekannt gewesen. Nach der Abschiebung habe sich der Gesundheitszustand von Sali K. massiv verschlechtert.
Gegen die Abschiebung wurde im Dezember 2020 beim Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe ein Antrag auf sofortige Rückholung gestellt. Das RP habe zunächst nicht reagiert, das Innenministerium von Baden-Württemberg das Vorgehen verteidigt, heißt es in der Pressemitteilung. Eine Klage gegen die Abschiebung läuft derzeit noch beim zuständigen Verwaltungsgericht. In einer Onlinepetition forderten knapp 40 000 Menschen die sofortige Rückholung des Ehepaars.
Das „Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung“und der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg kommentieren den Todesfall: „Ohne die Abschiebung, das lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen, wäre Sali K. noch am Leben. Eine adäquate medizinische Behandlung war im Kosovo nicht möglich. Sali K. starb getrennt vom Großteil seiner Angehörigen.“Freiburger Forum und Flüchtlingsrat sehen eine Mitschuld der grün-schwarzen
TRAUERANZEIGEN
Landesregierung an dem Todesfall. Sie fordern Konsequenzen, als erste Maßnahme müsse seiner Frau Mire G. umgehend die Wiedereinreise nach Deutschland ermöglicht werden. Die Abschiebung sei zudem „rechtlich höchst fragwürdig“. Die gesundheitliche Situation sei dabei nicht ausreichend berücksichtigt worden, auch die Verwurzelung und die Schwierigkeiten der Passbeschaffung seien ignoriert worden. „Auch wenn es nichts wiedergutmachen kann, braucht es eine Entschuldigung der Landesregierung bei der Familie“, heißt es in der Mitteilung.
Die Abschiebung traf das Ehepaar am Morgen des 12. Oktober völlig überraschend. „Die Abschiebung war für uns wie eine Herzattacke“berichtete der jüngste Sohn, Emrach G. später. Das von Krankheit gezeichnete Ehepaar sei ohne Medikamente und fast ohne Gepäck noch am selben Abend in ein Flugzeug Richtung Kosovo gesetzt worden. Telefonischer Kontakt war nicht möglich, nur durch Zufall konnte die Familie die beiden nach einigen Tagen ausfindig machen. Die Unterbringung der mittellosen alten Leute sei „katastrophal“, die erforderliche ärztliche Behandlung nur durch Vorkasse möglich. Was ihnen möglich war, versuchten die Kinder aus der Ferne zu organisieren.
Der 28-jährige Emrach G. ist am Boden zerstört. Man habe so sehr um die Heimkehr seiner Eltern gekämpft: „Ich weiß nicht, was wir noch hätten tun können.“Jetzt sei genau das eingetreten, was befürchtet worden und auch zu erwarten gewesen sei. Sein Vater, der nach einer Herzoperation aus gutem Grund jeden Morgen von einem Pflegedienst aufgesucht worden war, sei plötzlich monatelang ohne medizinische Versorgung gewesen. Ein paar Tage habe er wohl sogar noch auf der Intensivstation gelegen. Wegen mehrerer CoronaFälle im selben Zimmer habe er dann aus Sorge das Krankenhaus verlassen. In der Nacht auf Freitag um 4 Uhr morgens sei er vermutlich wegen eines Herzinfarkts verstorben.
Am selben Tag noch, gegen 16 Uhr, wurde Sali K. beerdigt. Neben der Ehefrau nahmen zwei Nachbarn, die sie gerade erst kennengelernt habe, Abschied. Über WhatsApp war auch die Familie in Deutschland live dabei. „Man kann es nicht vergleichen mit einer Beerdigung bei uns“, sagt Emrach G. „Sie machten ein Loch auf, schmissen ihn rein und schütteten Steine drauf.“Sein Vater sei regelrecht „verscharrt“worden, konstatiert der Sohn bitter: Nicht einmal eine anständige Zeremonie sei der Familie am Ende vergönnt gewesen.
Neben der Trauer kommt bei dem 28-Jährigen auch Wut auf: „Wir haben es doch vorausgesehen.“G. spricht von „fahrlässiger Tötung“. Er empfinde es als menschenverachtend und grausam, dass alte, kranke Leute, die ihr halbes Leben an einem Ort verbracht haben und dort verwurzelt sind, mitten während einer Pandemie abgeschoben werden in eine Welt, die ihnen fremd sei. Neben der rein menschlichen Komponente verstoße das auch gegen EU-Recht. Nun wolle man versuchen, wenigstens die an Depressionen leidende Mutter zurück nach Hause zu holen, bevor es zu spät sei: „Das ist eine reale Angst.“