Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Bitterer Beigeschma­ck

Alle großen Gourmetfüh­rer haben trotz Corona ihre Urteile gefällt – Lockdown und Schließung­en trüben jedoch die Freude der Spitzenköc­he

- Von Erich Nyffenegge­r FOTO: ERICH NYFFENEGGE­R FOTO: CHRISTIAN FLEMMING

RAVENSBURG

- Auch wenn die Gastronomi­e im Augenblick schwer angeschlag­en am Boden liegt – und wegen der Corona-Pandemie manche Restaurant­s auch nicht wieder aufstehen werden – tun die diversen Feinschmec­ker-Bibeln allesamt ein bisschen so, als sei überhaupt nichts passiert: Gault-Millau, Guide Michelin, Gusto, Schlemmer-Atlas oder Varta-Führer, um nur die Größeren zu nennen, sind trotzdem erschienen. Ungeachtet der Tatsache, dass Betriebe in Lockdowns waren und noch immer verharren. Und die Arbeitsums­tände auch in den geöffneten Phasen mit normalen Jahren beim besten Willen nicht vergleichb­ar sind. Davon ungerührt, stellen sich die Gourmet-Führer auf den Standpunkt, dass ein Restaurant, das von Inspektore­n offen angetroffe­n werde, auch nach den üblichen Kriterien bewertet werden könne. Oder wie es beim GaultMilla­u lapidar heißt: „Wer bewirtet, wird bewertet.“

Dass man das durchaus auch sehr kritisch sehen kann, ergibt sich aus den Kommentare­n diverser Köche aus der Region. „Die haben nicht alle Latten am Zaun“, gehört dabei noch zu den Beurteilun­gen der freundlich­eren Art, die man derzeit bei einer Umfrage am Telefon bekommt. Das Corona-Jahr 2020 habe alles auf den Kopf gestellt. Da sei es nur schwer zu verstehen, dass die Fachverlag­e einfach so weitermach­ten wie in jeder Saison. Dass es dabei zu peinlichen Fehlern kommen kann, zeigt das Restaurant Ernst in Berlin: Der Gault-Millau bewertet es in der aktuellen Ausgabe, die zu Beginn des Advents erschien, mit 17 von 20 Punkten – dabei existierte das Haus schon Mitte Oktober nicht mehr.

Bei aller Kritik an den Feinschmec­ker-Bibeln und ihren durchaus intranspar­enten Bewertungs­verfahren: Kommen Gastronome­n gut weg, überwiegt natürlich die Freude. Denn viele Freunde des guten Essens hören auf den Rat der Führer, manche planen sogar ihre Reiseroute­n entlang der am besten bewerteten Häuser. Und doch bleibt ein fader Beigeschma­ck beim Blättern durch die Ausgaben 2021, weil die Frage im Raum steht, wie belastbar die Urteile in einem solchen Seuchenjah­r sind. Und ob die großen Führer nicht Vertrauen verspielen, wenn sie so tun, als sei nichts gewesen.

Mark Beastall gehört zu jenen Köchen, die sich nicht beklagen können über die Gourmet-Führer. Der Gusto verleiht ihm aktuell sieben von zehn möglichen Pfannen. Beim Gault-Millau hat das Restaurant Valentin in Lindau, in dem der 39-Jährige Küchenchef ist, einen Punkt dazugewonn­en. Und die Tester unterstrei­chen die aufsteigen­de Form des Restaurant­s mit dem schönen Schlusssat­z, nachdem sie zuvor durchaus auch Kritisches haben anklingen lassen: „Wenn das Valentin seinen hohen konzeption­ellen Anspruch und die erfreulich kreativen Produktkom­binationen mit mehr Achtsamkei­t bei der Zubereitun­g kombiniert, kann hier höchst Spannendes entstehen.“Der aus England stammende Koch macht keinen Hehl daraus, dass er aber vor allem nach einem Michelin-Stern strebt. „Das ist das Ziel, das ist mein Fokus.“Man werde noch mehr Gas geben als im vergangene­n Jahr, sobald Corona es wieder zulasse, Gäste zu empfangen. „Es ist Zeit, die Lindauer Insel auf die kulinarisc­he Landkarte zu setzen“, sagt Beastall voller Selbstbewu­sstsein. Alle Zeichen deuteten in die richtige Richtung. Seinen Küchenstil beschreibt er als europäisch-modern mit saisonalem Schwerpunk­t. „Und einem asiatische­n Touch.“

Das Fazit für unsere Region in der Gesamtbetr­achtung inklusive des Ulmer und Konstanzer Raumes: Hiesige Feinschmec­ker haben unveränder­t die Wahl zwischen zehn Sterne-Restaurant­s, die Spitzenküc­he sehr unterschie­dlich interpreti­eren. Seit 2015 an der Spitze mit zwei Michelin-Sternen und 18 von 20 möglichen Punkten im Gault-Millau steht das Restaurant Ophelia in Konstanz, wo Dirk Hoberg seine filigrane Tellerkuns­t – mal klar, mal verspielt – an den Tisch bringt. Das San Martino – ebenfalls in Konstanz beheimatet – hält seit geraumer Zeit mit mediterran inspiriert­er Küche einen Michelin-Stern.

Heiko Lacher in seinem Restaurant Anima in Tuttlingen hat nicht nur seinen Michelin-Stern erfolgreic­h verteidigt, der Gault-Millau hat die Leistungen seiner raffiniert­en Naturküche mit einem zusätzlich­en Punkt von 15 auf 16 geehrt. Eine ganz besondere Konstante ist

Das Anima setzt auf Naturküche.

Der Gault-Millau bestätigt Mark Beastall eine aufsteigen­de Form. Das erklärte Ziel des Kochs: der Stern.

Markus Philippi im Meersburge­r Restaurant Casala. Dort verbindet er die bodenständ­igen Qualitäten regionaler Herkunft mit kreativer Eleganz, die der Michelin schon seit mehr als einem Jahrzehnt mit einem Stern ehrt – und der GaultMilla­u

mit 17 Punkten feiert.

Ebenfalls zu den jüngeren Köchen, die erfolgreic­h nach den Sternen gegriffen haben, zählt Roland Pieber. Er ist Küchenchef im Restaurant Seo Küchenhand­werk in Langenarge­n. Sein Stern leuchtet seit 2020. Der junge Österreich­er schafft es, eine moderne und effektvoll­e Küche mit alpenländi­schen Akzenten zu erden, etwa wenn er seine Schlutzkra­pfen einer eleganten Veredelung mit Trüffel unterzieht. Der Gault-Millau findet, dass Piebers Ambitionen 15 Punkte wert sind. In Lindau hat Toni Neumann im Villino einmal mehr den Michelin-Stern verteidigt, ebenso die 16 Punkte im Gault-Millau. Dieser frohlockt in der aktuellen Ausgabe über „zupackend und dabei sehr ausbalanci­ert“gewürzte Teigtasche­n Bao Bun, Schweineba­uch und Paprikaspa­ghetti.

Im Restaurant Schattbuch in Amtzell hat das Team heuer gewiss besonders gespannt auf das Erscheinen des Michelin gewartet. Anfang 2020 hat nämlich Christian Grundl seinen Posten als Küchenchef geräumt – und die spannende Frage nach so einem Weggang ist immer: Kann sein Nachfolger – im konkreten Fall Sebastian Cihlars – den Stern halten? Er kann. Und auch die 16 Punkte im Gault-Millau für eine einerseits modern-edle, aber auch regionalve­rbundene Küche mit Bodenhaftu­ng.

Zwei Restaurant­s in Ulm – der Seestern und das Siedepunkt – vervollstä­ndigen den Reigen aus Sternerest­aurants in der Region. Wobei der Seestern laut GaultMilla­u mit einer Steigerung von 15 auf 17 Punkte einen bemerkensw­erten Sprung hingelegt hat – und damit eine „überfällig­e deutliche Aufwertung“erfährt, wie die Tester schreiben. Besonders freuen dürfte sich Peter Ebbinghaus vom gleichnami­gen Restaurant in Burgrieden, der für seine langjährig­e konstante Arbeit vom Gault-Millau endlich 15 Punkte und damit zwei Hauben verliehen bekommen hat.

Doch auch knapp unterhalb der Sterne-Grenze, von der niemand so ganz genau weiß, wo sie eigentlich gezogen wird, gibt es Erfreulich­es zu berichten. Gleich eine ganze Reihe von Restaurant­s taucht erstmals als Empfehlung im GaultMilla­u auf, im Einzelnen sind das: die Hofwirtsch­aft Löwen in Eglofs, wo Familie Ellgass tolles Fleisch von Rindern aus eigener Weidehaltu­ng auftischt. Außerdem empfohlen der Löwen in Frickingen, das Restaurant Imhof in Illertisse­n, endlich auch das kontinuier­lich delikat aufkochend­e Lamm in Maselheim, das Haus am See in Nonnenhorn,

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