Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Der Gedanke an Mehrheiten jenseits der Union treibt nicht nur Markus Söder um
Was aus dem Votum im Südwesten gefolgert wird – für die Kanzler-Frage oder mögliche Koalitionen auf Bundesebene
BERLIN - Neue Koalitionsoptionen, die Bedeutung von Amtsinhabern, Corona-Konsequenzen und diverse K-Fragen: Die Wahlergebnisse von Mainz und Stuttgart haben vielfältige Folgen auch für den Bund.
Welche Auswirkung hat das schlechte Abschneiden der CDU auf die Kanzlerkandidatenfrage der Union?
„Keine.“So lautet jedenfalls die Antwort von Parteichef Armin Laschet, da sei er sich auch „mit Markus Söder einig“. Kurzfristig mag das sogar zutreffen, am vereinbarten Zeitplan für die Entscheidung soll jedenfalls nicht gerüttelt werden. Doch natürlich haben die mageren Ergebnisse den Druck erhöht. Und prompt werden weitere Risse zwischen Laschet und Söder sichtbar: Während der Bayer umgehend Personalfragen zumindest ganz allgemein auf die Tagesordnung setzt mit seiner Forderung, nun „Teams für die Zukunft“zu bilden, will Laschet zunächst an den Inhalten für das Wahlprogramm feilen. Bislang war er als Chef der größeren Partei strukturell im Vorteil. Doch der Wahlabend hat die Bedeutung von Beliebtheit erhöht. Auf eine zweite Lehre allerdings weist Söder selbst hin: die Möglichkeit von
„Mehrheiten jenseits der Union“nämlich. Ungewisse Siegchancen können auch abschreckend wirken; auf einen bayerischen Ministerpräsidenten womöglich noch ein bisschen mehr.
Und die Grünen? Müssen zumindest die jetzt ihre K-Frage schneller entscheiden?
Nein, sagen die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck unisono. Zwischen Ostern und Pfingsten wollen die Spitzen verkünden, wer für das Kanzleramt kandidieren soll. Die Entscheidung darüber wollen die Vorsitzenden unter sich ausmachen und damit einen offenen Machtkampf vermeiden. Daran hätten auch die Erfolge bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nichts geändert. Warum sollten sich die Parteichefs auch hetzen? Inhaltlich sind Baerbock und Habeck auf einer Linie, ein Geschacher um Posten ist in der Wählerschaft verpönt. Sie können sich Zeit lassen. „Das Programm der Grünen passt fantastisch zu uns beiden. Wir haben gemeinsam die Partei weiterentwickelt“, sagt Baerbock durchaus mit Stolz. Am Ende wird entscheidend sein, wer von beiden es auch wirklich machen will, wer dem Druck standhalten kann. In der Partei gilt Baerbock vielen mittlerweile als Favoritin, doch offen aussprechen will das kein Funktionär so deutlich.
Könnten die Grünen zur Volkspartei werden?
Die Grünen haben in Baden-Württemberg gezeigt, dass sie eine breite Wählerschicht anziehen. Ihr bestes Ergebnis holten sie bei den über 60Jährigen. Für den Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin ist das noch kein Grund, die Grünen zu einer Volkspartei
zu erklären. Die Partei profitierte im Südwesten von Landesvater Winfried Kretschmann, der parteiübergreifend beliebt sei und für konservative Werte stehe. Dies könne man nicht auf den Bund übertragen. „Habeck und Baerbock müssen Rücksicht auf den linken Flügel nehmen. Die Grünen vertreten wirtschafts- und gesellschaftspolitisch linke Positionen und bedienen ein junges, urbanes Klientel. Sie sind daher keine Volkspartei“, sagt der Politologe.
Wie gehen die Regierungsparteien in Berlin nun miteinander um?
CDU und SPD gehen spürbar auf Distanz zueinander und schalten ein gutes halbes Jahr vor der Entscheidung im Bund auf Wahlkampf um. Führende Politiker der gebeutelten Union attackierten am Montag die SPD. Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet forderte die Sozialdemokraten zu mehr Disziplin im Kabinett auf und kritisierte insbesondere Finanzminister Olaf Scholz für dessen Ankündigung von bis zu zehn Millionen Impfungen gegen Corona pro Woche. Natürlich sei Wahlkampf. Aber die Menschen erwarteten in der Pandemie, dass das Gemeinwohl im Vordergrund stehe „und nicht parteipolitische Sperenzchen“. CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte nach einer Schaltkonferenz des CSU-Vorstands in München: „Es wäre gut, wenn sich die SPD stärker auf die Regierungsarbeit konzentriert. Ich habe den Eindruck, an den meisten Tagen, man hat innerlich schon die Koalition aufgekündigt.“SPD-Chef Norbert Walter-Borjans zog im Deutschlandfunk aus den Wahlergebnissen den Schluss: „Es gibt Mehrheiten diesseits von CDU und CSU, und es gibt auch gute Chancen für Olaf Scholz, der Kandidat der stärksten dieser Parteien zu sein.“SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil betonte im Bayerischen
Rundfunk: „Die Ampel ist möglich, und dafür kämpfen wir jetzt.“Scholz analysierte: „Das Wahlergebnis, ganz besonders natürlich das in Rheinland-Pfalz, verleiht der Sozialdemokratischen Partei Flügel.“Die SPD wolle den Aufwind jetzt nutzen.
Wie realistisch ist eine Ampel im Bund?
Aus Sicht von Olaf Scholz und weiten Teilen seiner SPD wäre eine Ampelkoalition die Lösung aller Probleme. Man könnte, wenn Rot bei dieser Ampel tatsächlich ganz oben stünde, nicht nur den Kanzler stellen, sondern wäre auch die schwierige Debatte über eine Liaison mit der Linkspartei los. SPD-Parteichefin Saskia Esken erklärt, für ihre Partei sei es entscheidend, „dass unser Kanzler Olaf Scholz eine progressive Koalition anführt“. Dass darunter neuerdings auch eine „progressive Regierung“unter Einschluss der FDP denkbar ist, hat Eskens Co-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans klar zum Ausdruck gebracht. Bei der FDP herrscht hinsichtlich eines Bündnisses mit den Grünen größere Skepsis. Aber wenn die Inhalte stimmen, so heißt es aus dem Genscher-Haus, dann würde man sich dem Regieren nicht verweigern. Allerdings befürchten die Liberalen, dass SPD und Grüne am Ende doch ein größeres Herz für die Linken haben.