Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Corona bringt Deutschland ins Klimaziel
Weniger Autofahrten und Flugreisen verbessern Bilanz – CO2-Reduktion im Energiebereich
BERLIN - Die gute Nachricht zuerst: Deutschland hat seine Klimaziele für 2020 erreicht. Allerdings nur, weil die Corona-Pandemie dazu geführt hat, dass weniger Auto gefahren und Strom verbraucht wurde. Das war die weniger erfreuliche Botschaft, die Umweltministerin Svenja Schulze und Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), am Dienstag in Berlin zu verkünden hatten. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr rund 739 Tonnen Millionen Treibhausgase freigesetzt, das waren 70 Millionen Tonnen weniger als 2019. Hier die wichtigsten Fakten zur Klimabilanz 2020.
Welche Klimaziele verfolgt die Bundesregierung?
Um internationale Klimaschutzvereinbarungen wie das Kyoto-Protokoll einhalten zu können, hat die Bundesregierung im Jahr 2014 einen Aktionsplan Klimaschutz verabschiedet, da sich abzeichnete, dass nach wie vor zu viel CO2 emittiert wird. Bis zum Jahr 2020 sollten 40 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen werden als 1990. Ein Ziel, das 2018/2019 kaum erreichbar schien. Nun hat es doch geklappt – die Reduzierung lag sogar bei 40,8 Prozent, wie Ministerin Schulze mitteilte. Dieser Erfolg ist allerdings nicht nur auf Regierungshandeln zurückzuführen, auch die Corona-Pandemie wirkte sich aus. Nach Angaben von UBA-Präsident Messner beruht ein Drittel des Emissionsrückgangs auf dem Corona-Effekt.
Wie sieht die Entwicklung im Verkehrssektor aus?
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), der diesen Sektor verantwortet, hat mit Blick auf die Emissionswerte ohne eigenes Zutun am stärksten von der Corona-Pandemie profitiert. Da wegen des Lockdowns weniger Autos und Lastwagen unterwegs waren und auch deutlich weniger geflogen wurde, gingen die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Vorjahr um 11,4 Prozent zurück. Doch ein wirklich positives Signal konnte Messner darin nicht erkennen. Denn der Anteil der Reduktion, der sich auf eine Modernisierung der Fahrzeugflotte oder andere Kraftstoffe zurückführen ließe, ist vergleichsweise gering. „Ich vermute, der Minister versteht, dass dringend etwas getan werden muss“, sagte Messner. Um schneller weniger Treibhausgase im Verkehrssektor zu emittieren, empfahl er ein Endausstiegsdatum für Verbrenner spätestens im Jahr 2030.
Wie kommen die Erfolge im Energiesektor zustande?
Die Energiewirtschaft hat im vergangenen Jahr 38 Millionen Tonnen weniger Treibhausgase freigesetzt. Die geringeren Emissionen in der Energiewirtschaft seien aber Sondereffekte, die nicht unmittelbar auf das Handeln der Bundesregierung zurückzuführen seien, sagt Hauke Hermann vom Öko-Institut, zuständig für den Bereich Energie und Klimaschutz, der „Schwäbischen Zeitung“. Infolge der hohen CO2-Preise im europäischen Emissionshandel sei weniger Kohle verstromt worden. Zugleich habe die geringere Nachfrage in der Corona-Pandemie dazu beigetragen, dass in diesem Sektor weniger CO2 ausgestoßen worden sei. Bemerkbar machte sich 2020 auch, dass im Herbst 2019 Braunkohle-Kraftwerke in die sogenannte Sicherheitsbereitschaft überführt wurden. Die im Zuge des Kohleausstiegs vereinbarten Abschaltungen
von weiteren Braun- und Steinkohlekraftwerken Ende 2020 werden sich aber erst in der Klimabilanz 2021 auswirken. Schulze spricht von „strukturelle Veränderungen“in der Energiewirtschaft, die auch nach der Corona-Pandemie fortwirkten. Dennoch gebe es zum Ausruhen keinen Grund, so die Ministerin.
Wo läuft es nicht so gut im Energiebereich?
Der Ausbau der erneuerbaren Energie müsste schneller vorangehen, derzeit liegt ihr Anteil bei 45 Prozent. Das Tempo des Ausbaus müsste in diesem Jahrzehnt verdoppelt werden, sagte Schulze. Deutschland steht unter Druck, weil die Europäische Union im Dezember 2020 ihr Klimaziel noch einmal verschärft hat. Bis zum Jahr 2030 sollen nun 55 Prozent – statt vorher 40 Prozent – weniger Treibhausgase als 1990 ausgestoßen werden. Das Umweltbundesamt hält hierzulande bis zu 70 Prozent für erreichbar.
Welche Wirkung hat das Klimaschutzgesetz ?
Das Klimaschutzgesetz, das im Dezember 2019 in Kraft getreten ist, wirkt sozusagen in die Ministerien hinein. Zuständig für das Erreichen der Klimaschutzziele ist nun jedes Ministerium – so etwa Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) für die Landwirtschaft oder Horst Seehofer (CSU) für die Gebäude. Das fällt Seehofer, der neben dem Inneren auch für Bau und Heimat zuständig ist, in diesem Jahr auf die Füße. Denn der Gebäudesektor hat als einziger die Klimaziele für 2020 nicht erreicht. Dies hat zur Folge, dass Seehofer gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium in den kommenden Monaten ein Sofortprogramm zur Minderung der CO2-Emissionen vorlegen muss. Durch das neue Gesetz sei „jedes Kabinettsmitglied zum Klima-Minister“geworden, sagen Schulze und Messner. Dies sei eine entscheidende Stellschraube, um die Klimaziele in Deutschland voranzutreiben.
Wie reagieren Verbände auf die Bilanz?
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kritisiert, dass die „jetzigen Emissionsminderungen kein Erfolg aktiver Klimaschutzpolitik“seien. Da die CoronaPandemie ein entscheidender Faktor für die positive Bilanz 2020 sei, müsse befürchtet werden, „dass die Emissionen wieder steigen werden“, sobald der Lockdown vorbei sei. „Echte Klimaschutzpolitik droht so eher behindert zu werden“, teilt DIW-Ökonomin Claudia Kemfert mit. Die DIW-Liste mit Forderungen an die Politik ist lang: Neben dem schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien gehört auch eine Elektroautoquote für Neuwagen und die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen dazu. Auch eine Gruppe von 29 CDUBundestagsabgeordneten hatte sich am Dienstag für ein Ende der Subventionen für Diesel und Kerosin stark gemacht. Christiane Averbeck, Geschäftsführerin der Klima-Allianz, einem Bündnis mit 140 Mitgliedsorganisationen, fordert mehr Tempo beim Klimaschutz und „eine Nachschärfung des Klimaschutzgesetzes“. Ansonsten werde es Deutschland bis zum Jahr 2030 nicht gelingen, die EUKlimaziele zu erfüllen.
Daten-Grafiken zu Deutschlands Klimabilanz gibt es online unter www.schwaebische.de/klimagrafik