Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Einsame Blütenpracht
ÜBERLINGEN - Der zweite große Anlauf: vorerst gestoppt. Eigentlich hätte die Landesgartenschau in der Bodenseestadt Überlingen am Freitag endlich aufschließen sollen. Immerhin wäre das Öffnen ihrer Pforten bereits im vergangenen Jahr vorgesehen gewesen. Corona ließ die Pläne jedoch damals zu Makulatur werden. Eine Verschiebung auf dieses Jahr sollte retten, was zu retten ist. Die Pandemie könnte ja zu Ende sein, war die frohe Hoffnung. Aber das Virus schlägt eben weiterhin zu.
„Aus Sorge, in einer kritischen Phase der Pandemie noch mehr Menschen als ohnehin schon nach Überlingen zu locken, haben wir schweren Herzens die Eröffnung abgesagt“, hat Oberbürgermeister Jan Zeitler (SPD) kurz vor Ostern aus seinem historischen Rathaus verkündet. Und jetzt? Wie geht es mit der Präsentation des Blütensegens und den Besuchsmöglichkeiten weiter? Dies entscheidet einmal mehr die schwer kalkulierbare Corona-Lage. Weshalb bei der Gartenschau weniges als tatsächlich hundertprozentig gesichert gilt.
Na ja, meinen Spötter vor Ort, zumindest eines sei glasklar: Dass wegen des Verschiebens der Schau um ein Jahr auf 2021 sechs Millionen mehr Kosten veranschlagt werden müssen. Wohlmeinende wenden den Blick auf gesichertes Angenehmeres. Überlingen erhält nämlich nachhaltig ein paar lauschige Plätzchen mehr. „Eine Investition für Generationen“, ließ Stadtoberhaupt Zeitler immer mal wieder von sich hören.
Vom Erbe des Projektes profitieren definitiv auch ein paar gut gelaunte Anlieger. „Zur Straße und Eisenbahn hin ist ein Erdwall entstanden. Der schirmt den Lärm ab“, freut sich ein ergrauter Unternehmer aus Heidelberg. Er ist Zweitwohnungsbesitzer am Eingang zum zentralen Teil der Schau, dem lang gestreckten Uferpark im Westen der Stadt.
Und was ist mit der Gartenschau selbst, dem über lange Jahre vorbereiteten Großevent? In Stein gemeiselt scheint nur die Absicht, das Blumenfest zu feiern – irgendwann in diesem Jahr. „Die Landesgartenschau findet auf jeden Fall statt“, hofft Roland Leitner, der zusammen mit Edith Heppeler die Geschäftsführung des Ganzen innehat. Ein bunter Prospekt verspricht „ein sommerlanges Gartenfest“auf rund elf Hektar Fläche. Das durchaus auch in früheren Jahren beschauliche Überlingen wird darin zur „Gartenstadt“erklärt.
Laut Plan waren für den Blütentraum von Freitag an 192 ambitionierte Besuchertage vorgesehen – bis zum 17. Oktober. „Alles ist bereit“, berichtet Leitner. In den Beeten mit Frühjahrsblumen sind Tulpen, Anemonen oder Narzissen erblüht. Wie der Geschäftsführer erklärt, wurden dazu 40 000 Blumenzwiebeln und 35 000 weitere Pflänzchen mühevoll eingepflanzt – teilweise schon im Herbst. Die im März installierte 120 Quadratmeter große Seebühne wartet auf Leben. Dies gilt ebenso für Ausstellungspavillons für allerlei Themen oder die diversen Gastronomie-Etablissements.
„Jammerschade, wenn wegen Corona alles für die Katz’ wäre“, klagt ein Radler-Pärchen, das sich am Zaun des Uferparks herumdrückt. Es ist schönes Ausflugswetter. Die beiden blinzeln neugierig hinüber ins Gelände. Die Frühjahrssonne lässt den Blumenflor bunt werden. „Schau mal Erika, dort kommen die Tulpen“, sagt Hermann Leipold, ein weiterer Zaungast aus der Überlinger Gegend, zu seiner weiblichen Begleitung.
Wie bei Gartenschauen üblich, geht es aber nicht nur um Blüten. Auf dem Programm stehen zudem 3000 Veranstaltungen – ein bunter Reigen von Gospelgesängen über Autorenlesungen bis hin zum Klären des Geheimnisses der Sibirischen Zedernkiefer.
Wer später im Jahr drankommt, darf sich immerhin noch Chancen auf seinen Auftritt ausrechnen. Andererseits haben Bands bereits im März für sie terminierte Open-AirKonzerte abgesagt. „Da wird die Flinte zu früh ins Korn geworfen“, glaubt der zur Zuversicht verpflichtete Geschäftsführer Leitner. Letztlich müsse immer wieder aufs Neue die aktuelle Situation betrachtet werden. Das heißt, Inzidenzwerte planen kurzfristig mit.
Was dies bedeutet, wurde aktuell deutlich. Überlingen liegt im Bodenseekreis. Vor Ostern stand die Corona-Ampel dort auf Rot. Der Inzidenzwert lag länger als drei Tage über 100. Damit galt, dass unter anderem botanische Gärten geschlossen bleiben müssen. Als solcher zählt die Landesgartenschau.
Über Ostern sank die Inzidenz jedoch fünf Tage lang knapp unter 100. Der Landkreis verkündete deshalb gemäß den Corona-Regeln ab Mittwoch Lockerungen. Theoretisch hätte die Gartenschau also doch noch auf die Schnelle am Freitag öffnen können – um womöglich am Wochenende gleich wieder schließen zu müssen. Dies hat mit der traditionell mangelhaften Erfassung von Corona-Daten über Sonn- und
Feiertage zu tun. Oberbürgermeister Zeitler und die Geschäftsführung der Landesgartenschau spekulierten deshalb, die tatsächliche Inzidenz könnte höher als 100 liegen. Vorsichtshalber lieber zulassen und abwarten statt hü und hott, entschieden sie.
Aber selbst bei einer freitäglichen Öffnung hätte es eine Spaßbremse gegeben: Veranstaltungen wären tabu gewesen. Zudem hätte die Gastronomie bloß Essen und Getränke zum Mitnehmen verkaufen können. Erst von einem Wert von 50 abwärts sind weitere Lockerungen möglich. Was aber im Bodenseeraum für die nächste Zeit wie Science-Fiction klingt.
Überraschend war die bedenkliche Entwicklung kaum. Befeuert durch Virusmutationen baut sich die dritte Corona-Welle seit Ende Februar immer höher auf. Ob es da nicht schlauer gewesen wäre, die Gartenschau nochmals um ein Jahr zu verschieben? Bis zu einer Durchimpfung der Bevölkerung? Ein eher naiver Ansatz, wie Leitner rasch deutlich macht. Die Kosten hätten weiter zugelegt. Gebäude auf dem Gelände der Landesgartenschau seien fürs nächste Jahr schon verpachtet. Mitarbeiter würden schon anderweitig unter Vertrag stehen.
Dann ist da noch der Treffpunkt Baden-Württemberg im neuen, aufwendig gestaltetem Pflanzenhaus der Villengärten, einem weiteren gesonderten Terrain der Schau stadteinwärts. Das Land präsentiert sich darin. Beispielsweise stehen Kräutersonntage, Kindertheater und „Big Band Sound“auf dem Programm. „Im nächsten Jahr ist die Landesgartenschau planmäßig in Neuenburg am Rhein. Dort wird auch der Treffpunkt Baden-Württemberg hinziehen“, erklärt Leitner. Überlingen ginge leer aus.
Als Fußnote der GartenschauGeschichte taucht im Weiteren noch der Wunsch genervter Bürger auf, endlich wieder alle fünf über die Stadt verstreuten Teilbereiche des Events frei betreten zu dürfen – und sei es, um den Hund Gassi zu führen. Dieser Zaunabbau wäre letztlich schon 2020 möglich gewesen – wenn die Gartenschau-Verantwortlichen das Projekt nicht verschoben, sondern mit einem kräftigen Fluch auf Corona einfach sausen hätten lassen.
Aber schon vergangenen Frühling hat die Stadt Überlingen darauf beharrt, dieses Jahr einen neuen Anlauf zu unternehmen. Im Herbst wurde dies schließlich fixgemacht. Neues Spiel, neues Glück. Immerhin geht es auch um Geld – und den Versuch, drohende Defizite durch ausreichend zahlendes Publikum klein zu halten. Jeder offene Tag kann nach Angaben der Geschäftsführung
bis zu 50 000 Euro in die Kassen spülen.
2020 lagen die kalkulierten Kosten bereits bei 28 Millionen Euro. Zwei Drittel trägt das Land, den Rest die Stadt. Wobei 15 Millionen Euro unter Investitionen verbucht sind – also jenen Ausgaben, die zum größeren Teil Bleibendes wie neue städtische Parkanlagen geschaffen haben.
Jedenfalls war vor einem Jahr das meiste schon fertig: Gebäude standen, Spielplätze waren da, Gärtner hatten die Frühlingsblumen gepflanzt. Nur weniges fehlte noch, darunter die Seebühne. Sie lag gerade zerlegt vor, als der Corona-Halt kam. Worauf ihre Teile bis dieses Jahr eingemottet wurden. Alles war bezahlt, alles fürs große Fest bereit. Weshalb sich selbst auf den Gassen der Stadt die Frage stellte: Warum also die Mühen einfach umsonst gewesen sein lassen?
„Seit der Bewerbung um die Landesgartenschau 2009 ist sie ein zentrales Thema in der Stadt“, hat schon die einstige Oberbürgermeisterin Sabine Becker Ende 2017 mit Blick auf ihre damals zu Ende gehende achtjährige Amtszeit attestiert. Sie hat die Veranstaltung immer als großen Wurf für Überlingen gesehen. Nicht alle konnten dem folgen.
Überlingen hat richtiggehend um die Gartenschau gerungen – bis hin zu einem möglichen Bruch in der Bürgerschaft: hier Befürworter, dort Gegner. 2013 war es zum Bürgerentscheid gekommen. Die Blumenvisionen bekamen knapp 60 Prozent der abgegebenen Stimmen. Zwar die Mehrheit, aber dennoch eher ein bescheidenes Ergebnis. Der ablehnende Rest befürchtete hohe Kosten, ein Verkehrschaos und überbordende Touristenmassen.
Die folgenden Jahre waren von einem Gestaltungsstreit überschattet. Es ging um den Uferpark, das heutige zentrale Element der Schau, seinerzeit aber kein Glanzstück. Ein in die Jahre gekommener Campingplatz belegte den hinteren Teil der Fläche. Er lag auf der Abraumfläche des benachbarten Goldberger Stollens, einer unterirdischen Waffenschmiede des Nazireichs. Weiter vorne war eine Gewerbebrache. An ihr vorbei verlief eine holprige Platanenallee. Den Seezugang versperrte über Hunderte Meter eine rund 120 Jahre alte Mauer aus renommiertem Rohrschacher Sandstein.
Bäume wie Mauer wurden von einem Teil der Überlinger unter Führung der Initiative „Bürger für Überlinger Bäume“als höchst wertvoll eingeschätzt. Alles sollte komplett erhalten bleiben. Selbst der örtliche Ferienwohnungseigentümer Ex-Ministerpräsident Erwin Teufel sprach sich dafür aus. Die Planer der
Landesgartenschau hatten hingegen andere Vorstellungen: darunter weniger Allee und keine Mauer mehr.
Zuletzt scheiterte die Bürgerinitiative vor dem Petitionsausschuss des Landtages mit der Platanenrettung. Am Rosenmontag 2017 heulten Motorsägen auf, die teils schon morschen Bäume fielen. Danach schlummerte die Kritik ein. Gartenschau-Kritiker maulten höchstens noch am Stammtisch. Ansonsten hieß es von ihrer Seite: „Man kann ja eh nichts mehr ändern.“Dafür konnte nun die Gartenschau richtig loslegen. Von ihren fünf über die Stadt verstreuten Teilbereichen war am Uferpark am meisten zu tun.
Zuletzt wurde als Gebot der Corona-Zeit noch an Hygienekonzepten gefeilt. So müssen Besucher ein Zeitfenster für ihre Visite buchen. Billetts sollen am besten online erworben werden, um Stoßverkehr an den Kassen zu vermeiden. Über 40 Desinfektionsmittelspender wurden für die Hände der Gäste angeschafft. Wesentlich mehr Shuttlebusse als ursprünglich vorgesehen sollen zwischen Parkplätzen und den Orten der Schau verkehren. Nur eine gewisse Anzahl von Leuten darf gleichzeitig aufs Gelände. Verstärktes Security-Personal ist zur Überwachung des Geschehens vorgesehen. Zusätzliche WC-Container stehen bereit. Maskenund Abstandspflicht gilt sowieso.
„Mit solchen Konzepten hat man auf der Mainau gute Erfahrungen gemacht“, betont Leitner für die Geschäftsführung der Landesgartenschau. In der Tat: Eine Orientierung an der in Sichtweite gelegenen Blumeninsel liegt nahe. Deren adelige Eigentümerfamilie Bernadotte konnte so vergangenes Jahr mit behördlichem Segen Besucher durch ihre botanischen Anlagen schleusen. Für den Moment ist dies aber auch nur eine Erinnerung.
Die Mainau gehört noch zum Landkreis Konstanz. Mitte März ging dort die Corona-Ampel auf Rot. Anstatt zu Ostern den Saisonstart zu feiern, blieb auf der Insel alles zu. „Ein Datum für den Start ins Mainau-Blumenjahr lässt sich noch nicht konkret benennen“, teilte die Pressestelle mit. Willkommen im Club der botanischen Eröffnungsverschieber. Wobei es heuer ja sogar ein blühendes Dreigestirn am Bodensee geben soll. In Lindau ist eine bayerische Landesgartenschau vorgesehen. Hier scheint bisher alles nach Plan zu laufen. Die Eröffnung soll aber erst am 20. Mai sein. Bis dahin ist noch ein wenig Zeit für Bibbern und Hoffen.
Schon das Verschieben der Überlinger Landesgartenschau von 2020 auf dieses Jahr hat für zusätzliche Millionenkosten gesorgt – Wegen Corona ist nun aber erneut unklar, wann Besucher erstmals auf das Gelände dürfen