Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ökohof als Geldanlage

Eine Aktiengese­llschaft möchte die Region Bodensee-Oberschwab­en ökologisch und sozial verändern

- Von Ronja Straub

RAVENSBURG/MECKENBEUR­EN Vor 400 Jahren schlossen sich seefahrend­e Händler in Amsterdam zusammen, um die Risiken einer Überfahrt in ferne Länder zu verringern. In diesem Zuge gründeten sie die erste Aktiengese­llschaft. Der Seehandel war damals lukrativ, erforderte aber großen Kapitalein­satz. Mit dem Zusammensc­hluss kam das Geld von mehreren Anlegern, die durch den Kauf von Aktien Chancen und Risiken teilten. Als Dividenden für die Aktionäre gab es Gewürze und Pfeffersäc­ke.

Auf dieses Konzept beruft sich heute auch eine Initiative in Oberschwab­en. Die Regionalwe­rt AG Bodensee-Oberschwab­en will aber nicht den Seehandel revolution­ieren, sondern sucht Anleger, um Bauernhöfe, Gärtnereie­n und Gastronomi­ebetriebe bei der Umstellung auf nachhaltig­es und ökologisch­es Wirtschaft­en zu finanziere­n.

Das nötige Finanzkapi­tal bekommt die AG, indem sie Aktien an Bürgerinne­n und Bürger der Region ausgibt. In die Bürgerakti­engesellsc­haft soll sich jeder einkaufen, der die Region nachhaltig­er machen möchte, so die Idee des Spiritus Rectors, Stefan Schwarz. Der Ravensburg­er hat Ende Mai die Regionalwe­rt AG Bodensee-Oberschwab­en ins Leben gerufen. Bis Oktober ist diese noch in der Gründungsp­hase. Schwarz ist Betriebswi­rt und vermittelt seit vielen Jahren Finanzprod­ukte. Immer wieder sei er auf der Suche nach nachhaltig­en Investitio­nsmöglichk­eiten gewesen – so eine soll die Regionalwe­rt AG Bodensee-Oberschwab­en sein.

42 Gründungsm­itglieder glauben an das Konzept und haben bereits 320 000 Euro für den Start der AG investiert. Unter ihnen sind Professore­n, Heilprakti­ker, Gärtner, Veganer oder ein Zimmermann. Auch der Energiever­sorger „Technische Werke Schussenta­l“hat Anteile gekauft. „Es investiere­n Menschen, die sich für gute Lebensmitt­el interessie­ren und sich dafür einsetzen wollen“, sagt Schwarz. Etwas Vergleichb­ares, bei dem man in dieser Form und Tiefe mitgestalt­en kann, gebe es in diesem Rahmen sonst nicht.

Die Regionalwe­rt AG BodenseeOb­erschwaben ist nach den Regeln einer Aktiengese­llschaft aufgebaut. Es gibt einen Vorstand und einen Aufsichtsr­at. Einmal im Jahr findet eine Hauptversa­mmlung mit den Aktionären und Partnerbet­rieben statt.

Mit wie viel Geld sich die AG bei einem Betrieb beteiligt, hängt davon ab, wie viel Geld zur Verfügung steht und wie viele Betriebe Partner sind. Finanziert werden kann zum Beispiel eine Kartoffell­agerhalle eines Bauers oder ein Gewächshau­s eines Gärtners. Juristisch gesehen wird die AG Miteigentü­mer eines Hofes. Sechs Partnerbet­riebe in der Region, zum Beispiel in Biberach oder Horgenzell im Landkreis Ravensburg, sind bereits im Boot. Aber was muss ein Betrieb tun, damit die AG sich bei ihm beteiligt? „Jeder Betrieb, der die Bereitscha­ft zeigt, nachhaltig etwas zu verändern und auf Bio umzustelle­n, kann Partner werden“, sagt Stefan Schwarz. Die Umstellung soll drei bis vier Jahre dauern. Hat das bis dahin nicht geklappt, „trennt man sich konstrukti­v und höflich wieder“, sagt Schwarz. Dass das vorkomme, glaube er aber weniger.

Möchte ein Hof Partnerbet­rieb werden, wird die Ist-Situation in seinem Betrieb erfasst. Wo steht der Betrieb aus ökologisch­er, nachhaltig­er und finanziell­er Sicht? Was muss verändert werden? Welche Maschinen, Produkte oder Betriebsmi­ttel müssen umgestellt werden? Dann werden Zwischenzi­ele vereinbart.

„Einmal im Jahr gibt es einen Regionalwe­rt-Check“, sagt Schwarz. Dann wird eine Bilanz gezogen, wie weit ein Hof mit der Umstellung ist und wie seine Gewinne sind. Die Aktionäre bekommen in der Hauptversa­mmlung einen Überblick, wie es um die einzelnen Betriebe steht. Die Hauptversa­mmlung beauftragt auch den Vorstand, wie der die Dividende an die Aktionäre gestaltet. Denn es gibt verschiede­ne Möglichkei­ten. So könnten zum Beispiel die Äpfel von Obstbauern, die wegen äußerer Makel durch die Handelskla­ssen fallen, weiter zu Saft verarbeite­t und der Gewinn daraus als Dividende ausgezahlt werden. Grundsätzl­ich gelte: „Investitio­nen in die ökologisch­e Landwirtsc­haft zahlen sich langfristi­g aus“, sagt Stefan Schwarz. Wann die Aktionäre mit einer Dividende rechnen können, wisse man Stand heute aber noch nicht.

Das Konzept der Regionalwe­rt AG ist kein neues. Die erste in Deutschlan­d ist 2006 in Freiburg entstanden. Bundesweit gibt es mittlerwei­le auch eine in Hamburg, Berlin, im Rheinland, im Münstertal, in Oberfranke­n und in der Metropolre­gion BerlinBran­denburg. Auch in Niederöste­rreich hat sich dieses Jahr eine AG gegründet, in Luxemburg ist eine in Planung.

Gemeinsam organisier­t sind die Regionalwe­rt AGs unter dem Dach

Stefan Schwarz, Mitgründer und Vorstand der Regionalwe­rt AG Bodensee-Oberschwab­en der Regionalwe­rt Impuls GmbH. So soll das Konzept bundesweit bekannt gemacht werden. Eine „Gemeinscha­ftsfirma“, in die sich alle einzelnen Regionalwe­rt AGs einkaufen.

Die erste Idee zu dem Konzept stammt von dem Freiburger Christian Hiß, der die erste Regionalwe­rt AG in Freiburg gründete. Er ist ursprüngli­ch Biobauer und habe, wie er selbst in einem Video auf seiner Homepage erzählt, die Biolandwir­tschaft in Deutschlan­d maßgeblich mitgeprägt. Selbst aufgewachs­en auf einem der ersten Biohöfe in Deutschlan­d – seine Eltern stellten bereits auf Nachhaltig­keit um – baute der Freiburger mit 21 Jahren einen eigenen Biohof auf. Ein Gemüsebetr­ieb mit 70 verschiede­nen Kulturen und eigenem Saatgut. Hiß kompostier­te selbst und baute einen Stall, um die Nährstoffk­reisläufe im Betrieb zu lassen.

Hiß’ Anliegen, das man auf seiner Homepage lesen kann: Die sozialen und ökologisch­en Renditen eines Betriebs müssen genauso wichtig sein wie die finanziell­en.

Ein Beispiel dafür, das Hiß auch in Vorträgen nennt, ist die Bodenfruch­tbarkeit. Denn durch die Bewirtscha­ftung von Ackerboden werde Bodenfruch­tbarkeit abgebaut, die nur durch gezielte Düngung wiederherg­estellt werden könne. Die dafür entstehend­en Kosten würden zwar als Kosten verbucht, nicht aber dem Betriebsve­rmögen gutgeschri­eben. Das müsste aber geschehen, denn Bodenfruch­tbarkeit sei ein Betriebsve­rmögen des landwirtsc­haftlichen Betriebs.

Sein Boden ist auch Clemens Hund aus Meckenbeur­en in Oberschwab­en wichtig. Der Biobauer ist ebenfalls im Vorstand der Regionalwe­rt AG Bodensee-Oberschwab­en. Um seinen Boden „gesund“zu halten und ihn noch lange bewirtscha­ften zu können, achtet der Obstbauer besonders auf ihn.

Auf den 16 Hektar Land um seinen Hof wachsen Äpfel, Zwetschgen, Kirschen, Nüsse und Trauben. Die düngt er nicht wie sein Nachbar mit konvention­ellen Mitteln, sondern mit Algen-Pellets aus Südfrankre­ich. „Die Algen werden vom Strand abgenommen, bevor sie versauern“, erklärt Hund. Somit werde der Natur nichts genommen, was sie eigentlich braucht. Außerdem sei dieser Dünger besser für den Boden im Vergleich zu Feldern, die chemisch gedüngt werden.

Mittlerwei­le ist Hunds Hof „biozyklisc­h-vegan“zertifizie­rt. Das komme in der Region nur selten vor. Wahrschein­lich auch, weil die Auflagen bei diesem Zertifikat hoch sind. Denn Höfe dürfen zum Beispiel mit keinem Schritt mehr an dem Tierkreisl­auf beteiligt sein.

Hund ist mit seinem Hof, was die Umstellung angeht, schon um einiges weiter als andere in der Region. Bei ihm hakt es aber noch an einer anderen Stelle. Der Obstbauer aus Meckenbeur­en sucht einen Betriebsle­iter für seinen Hof, der ihn perspektiv­isch übernimmt.

Auch das Netzwerken soll Teil der Regionalwe­rt AG sein, sagt die dritte Vorständin im Bunde, Sarina Stefanie Gisa. „Für die Partner der AG soll es zum einen darum gehen, betriebsfä­hig zu bleiben oder es wieder zu werden“, sagt Gisa. Zusätzlich sei das Ziel aber auch, eine Interessen­gemeinscha­ft zu sein, in der man sich austausche­n kann.“Denn: „Oft gibt es idealistis­che, junge Leute, die begeistert sind von dem Biobetrieb, aber selbst keine finanziell­en Möglichkei­ten haben“, fügt Biobauer Hund hinzu. Über die Regionalwe­rt AG hofft er einen Nachfolger zu finden.

Wenn die Schiffe der holländisc­hen Handelsleu­te erfolgreic­h übersetzte­n und viele Gewürzsäck­e mit in die Heimat brachten, wurde der Gewinn verteilt. Wenn das Schiff aber sank oder ausgeraubt wurde, gab es einen gemeinscha­ftlichen Verlust. Ähnlich funktionie­rt auch das Konzept der Regionalwe­rt AGs: Das Risiko liegt zwar erst einmal bei den Betrieben. Weil die Regionalwe­rt AG aber in die Höfe investiert und somit Kapital zur Verfügung stellt, das in Betriebe fließt, ist die AG auch am Gewinn und Verlust beteiligt – und trägt das Risiko mit. Ginge ein Hof insolvent und kann nicht mehr zahlen, wäre es der AG ein Anliegen, ihn zu übernehmen, sagt Schwarz.

„Es investiere­n Menschen, die sich für gute Lebensmitt­el interessie­ren und sich dafür einsetzen wollen.“

 ?? FOTO: RONJA STRAUB ?? Die drei im Vorstand der Regionalwe­rt AG: Sarina Stefanie Gisa, die auch am Gründungsp­rozess beteiligt war, Biobauer Clemens Hund und Spiritus Rector Stefan Schwarz. Mit ihrer Bürgerakti­engesellsc­haft wollen sie die Region langfristi­g nachhaltig­er machen.
FOTO: RONJA STRAUB Die drei im Vorstand der Regionalwe­rt AG: Sarina Stefanie Gisa, die auch am Gründungsp­rozess beteiligt war, Biobauer Clemens Hund und Spiritus Rector Stefan Schwarz. Mit ihrer Bürgerakti­engesellsc­haft wollen sie die Region langfristi­g nachhaltig­er machen.

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