Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Die Mittelfeldfrage
Wo sich die deutsche Mannschaft für das Portugal-Spiel neu formieren muss
MÜNCHEN - Zu bieder, zu unentschlossen, mit zu wenig Power und Zug zum Tor agierte die deutsche Nationalmannschaft gegen die entschlosseneren Franzosen. Die Elf von Bundestrainer Joachim Löw kämpfte verbissen, aber sie arbeitete Fußball, alles war schwerfällig. Die französische Mannschaft um deren Feldherren Paul Pogba und N’Golo Kanté dagegen agierte mit Leichtigkeit und Cleverness.
Was die deutschen Spieler jedoch nach Spielschluss an den Mikrofonen komplett anders sahen. Zum Beispiel Spielmacher Toni Kroos, der sich als Sechser nicht wie erhofft nach vorne einschalten konnte. „Wir haben ein gutes Spiel gemacht, hatten nicht weniger Chancen als die Franzosen. Ein unglückliches Tor hat das Spiel entschieden.“Bisschen bockig und beinahe trotzig meinte er am ZDF-Mikrofon lapidar: „Ich habe aber auch wenig Konter von Frankreich gesehen. Uns hat einfach ein Tor gefehlt.“Doch so simpel war es nicht. Die Lücke zwischen dem tief agierenden Kroos sowie Ilkay Gündogan und der Dreieroffensive um Rückkehrer Thomas Müller (ohne typische Müller-Szene), Kai Havertz (zu blass, zu wenig Mut) und Serge Gnabry (entschlossen, aber unglücklich) war zu groß. Doch die gegenseitige Unterstützung zwischen den Mannschaftsteilen fehlte. „Wir hatten den Plan, über die Außen zu spielen“, erklärte Löw, „in der Mitte waren die Franzosen sehr kompakt. So gut es ging, haben wir versucht, mit Flanken zu operieren.“Ohne Erfolg.
„Wir waren nicht die schlechtere Mannschaft, hatten die Dominanz im Spiel“, sagte Joshua Kimmich, ebenfalls genervt, und stellte fest: „Es gab auf beiden Seiten relativ wenig Torchancen. Wir hätten ein Tor verdient gehabt. Ein Punkt wäre verdient gewesen.“Bei folgendem Satz klang Kritik an den späten (zu späten?) Auswechslungen von Löw durch: „Wir haben am Ende den Moment verpasst, komplett ins Risiko zu gehen.“Bemerkenswert, wie deutlich Gündogan nach der Partie einen Wechsel in der Startelf forderte – und zwar Sané statt Havertz. „Leroy ist ein Spieler, der sich nicht immer leichttut, die letzten 20 Minuten zu kommen. Er muss das
Selbstverständnis haben, ständig zu spielen. Wenn er dieses Gefühl hat, ist er unglaublich“, sagte Gündogan über seinen ehemaligen Mitspieler bei Manchester City.
Eklatanter müsste eine Neuorientierung im Mittelfeld sein. Und dabei schwingt die Frage mit: Kann Löw über seinen Schatten springen und Kroos aus der Mannschaft nehmen? Das Zusammenspiel mit Gündogan funktioniert nicht, die Alternative wäre ein radikaler Umbau. Kimmich doch wieder ins Zentrum auf die Sechser-Position, als Achter mit Offensivdrang
Bundestrainer Joachim Löw
neben seinem Kumpel Leon Goretzka, wenn er denn rechtzeitig fit wird für Samstag. Doch auf der Pressekonferenz nach dem Frankreich-Spiel dämpfte Löw die Hoffnungen auf einen Startelf-Einsatz von Goretzka, der Anfang Mai einen Muskelfaserriss erlitten hatte: „Leon hat mir gesagt, dass er noch zwei, drei Trainingseinheiten braucht, um sich sicher zu fühlen. Ich denke, dass er eine Option im Laufe des Spiels gegen Portugal sein wird.“
Schafft es Goretzka, könnte er mit Kimmich und Müller als freischaffender Zehner den Zentrumsblock bilden, der den FC Bayern so stark gemacht hat. Dem künftigen Bundestrainer Hansi Flick, am Dienstagabend
mit Miroslav Klose auf der Haupttribüne im Unterrang unweit der Trainerbänke Augenzeuge der Partie, würde es wohl gefallen. Und nun? Umbau jetzt? „Ich glaube, dass sich Kimmich auf der rechten Seite nicht so wohl fühlt wie in der Zentrale. In der Zentrale hat er gefehlt, diese Galligkeit der Franzosen haben wir im Zentrum nicht gehabt“, analysierte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus bei Sky. Löw versprach erneut: „Der Jo spielt da, wo es das Beste ist für die Mannschaft.“Das kann gegen Portugal also ganz anders aussehen.
Mehr Mut, mehr Entschlossenheit – das bräuchten Bundestrainer Joachim Löw und seine Auserwählten.
„Der Jo spielt da, wo es das Beste ist für die Mannschaft.“