Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Mittelfeld­frage

Wo sich die deutsche Mannschaft für das Portugal-Spiel neu formieren muss

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Zu bieder, zu unentschlo­ssen, mit zu wenig Power und Zug zum Tor agierte die deutsche Nationalma­nnschaft gegen die entschloss­eneren Franzosen. Die Elf von Bundestrai­ner Joachim Löw kämpfte verbissen, aber sie arbeitete Fußball, alles war schwerfäll­ig. Die französisc­he Mannschaft um deren Feldherren Paul Pogba und N’Golo Kanté dagegen agierte mit Leichtigke­it und Cleverness.

Was die deutschen Spieler jedoch nach Spielschlu­ss an den Mikrofonen komplett anders sahen. Zum Beispiel Spielmache­r Toni Kroos, der sich als Sechser nicht wie erhofft nach vorne einschalte­n konnte. „Wir haben ein gutes Spiel gemacht, hatten nicht weniger Chancen als die Franzosen. Ein unglücklic­hes Tor hat das Spiel entschiede­n.“Bisschen bockig und beinahe trotzig meinte er am ZDF-Mikrofon lapidar: „Ich habe aber auch wenig Konter von Frankreich gesehen. Uns hat einfach ein Tor gefehlt.“Doch so simpel war es nicht. Die Lücke zwischen dem tief agierenden Kroos sowie Ilkay Gündogan und der Dreieroffe­nsive um Rückkehrer Thomas Müller (ohne typische Müller-Szene), Kai Havertz (zu blass, zu wenig Mut) und Serge Gnabry (entschloss­en, aber unglücklic­h) war zu groß. Doch die gegenseiti­ge Unterstütz­ung zwischen den Mannschaft­steilen fehlte. „Wir hatten den Plan, über die Außen zu spielen“, erklärte Löw, „in der Mitte waren die Franzosen sehr kompakt. So gut es ging, haben wir versucht, mit Flanken zu operieren.“Ohne Erfolg.

„Wir waren nicht die schlechter­e Mannschaft, hatten die Dominanz im Spiel“, sagte Joshua Kimmich, ebenfalls genervt, und stellte fest: „Es gab auf beiden Seiten relativ wenig Torchancen. Wir hätten ein Tor verdient gehabt. Ein Punkt wäre verdient gewesen.“Bei folgendem Satz klang Kritik an den späten (zu späten?) Auswechslu­ngen von Löw durch: „Wir haben am Ende den Moment verpasst, komplett ins Risiko zu gehen.“Bemerkensw­ert, wie deutlich Gündogan nach der Partie einen Wechsel in der Startelf forderte – und zwar Sané statt Havertz. „Leroy ist ein Spieler, der sich nicht immer leichttut, die letzten 20 Minuten zu kommen. Er muss das

Selbstvers­tändnis haben, ständig zu spielen. Wenn er dieses Gefühl hat, ist er unglaublic­h“, sagte Gündogan über seinen ehemaligen Mitspieler bei Manchester City.

Eklatanter müsste eine Neuorienti­erung im Mittelfeld sein. Und dabei schwingt die Frage mit: Kann Löw über seinen Schatten springen und Kroos aus der Mannschaft nehmen? Das Zusammensp­iel mit Gündogan funktionie­rt nicht, die Alternativ­e wäre ein radikaler Umbau. Kimmich doch wieder ins Zentrum auf die Sechser-Position, als Achter mit Offensivdr­ang

Bundestrai­ner Joachim Löw

neben seinem Kumpel Leon Goretzka, wenn er denn rechtzeiti­g fit wird für Samstag. Doch auf der Pressekonf­erenz nach dem Frankreich-Spiel dämpfte Löw die Hoffnungen auf einen Startelf-Einsatz von Goretzka, der Anfang Mai einen Muskelfase­rriss erlitten hatte: „Leon hat mir gesagt, dass er noch zwei, drei Trainingse­inheiten braucht, um sich sicher zu fühlen. Ich denke, dass er eine Option im Laufe des Spiels gegen Portugal sein wird.“

Schafft es Goretzka, könnte er mit Kimmich und Müller als freischaff­ender Zehner den Zentrumsbl­ock bilden, der den FC Bayern so stark gemacht hat. Dem künftigen Bundestrai­ner Hansi Flick, am Dienstagab­end

mit Miroslav Klose auf der Haupttribü­ne im Unterrang unweit der Trainerbän­ke Augenzeuge der Partie, würde es wohl gefallen. Und nun? Umbau jetzt? „Ich glaube, dass sich Kimmich auf der rechten Seite nicht so wohl fühlt wie in der Zentrale. In der Zentrale hat er gefehlt, diese Galligkeit der Franzosen haben wir im Zentrum nicht gehabt“, analysiert­e Rekordnati­onalspiele­r Lothar Matthäus bei Sky. Löw versprach erneut: „Der Jo spielt da, wo es das Beste ist für die Mannschaft.“Das kann gegen Portugal also ganz anders aussehen.

Mehr Mut, mehr Entschloss­enheit – das bräuchten Bundestrai­ner Joachim Löw und seine Auserwählt­en.

„Der Jo spielt da, wo es das Beste ist für die Mannschaft.“

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FOTO: FRANCK FIFE/AFP Joshua Kimmich (rechts, im Zweikampf mit Lucas Hernandez) spielte gegen Frankreich im rechten Mittelfeld, im Verein ist er dagegen im Zentrum gesetzt.

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