Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Eine Hoffnung weniger

Was die gescheiter­te Entwicklun­g eines Corona-Impfstoffe­s für das Tübinger Unternehme­n Curevac bedeutet

- Von Hannes Koch

BERLIN - Der Börsenwert des Biotechnol­ogieuntern­ehmens Curevac ist am Donnerstag massiv abgestürzt. Das in Tübingen ansässige Unternehme­n musste am späten Mittwochab­end einräumen, dass der eigene Impfstoffk­andidat CVnCoV in einer Zwischenan­alyse nur eine vorläufige Wirksamkei­t von 47 Prozent gegen eine Covid-19-Erkrankung „jeglichen Schweregra­des“erzielt habe. Der Anteilssch­ein notierte am Mittag im Xetra-Handel bei rund 43 Euro, das ist ein Minus von 40 Prozent. Im Tagestief war es sogar um mehr als 50 Prozent auf gut 39 Euro abwärts gegangen, womit ein Rekordtief nur knapp vermieden wurde. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Was ist beim Impfstoff-Hersteller Curevac passiert?

Die frustriere­nde Meldung gab das in Tübingen ansässige Unternehme­n am Mittwochab­end heraus. Der entscheide­nde Satz lautete: Der Corona-Impfstoff „erzielte eine vorläufige Wirksamkei­t von 47 Prozent gegen eine COVID-19-Erkrankung jeglichen Schweregra­des und erreichte damit nicht die vorgegeben­en statistisc­hen Erfolgskri­terien“. Damit ist die Hoffnung vorläufig geplatzt, dass es schnell einen weiteren wirksamen Impfstoff gegen die Pandemie geben könnte. Nach gängigen wissenscha­ftlichen Maßstäben müssen solche Medikament­e eine Wirksamkei­t von mindestens 50 oder gar 70 Prozent zum Schutz der Geimpften erreichen.

Die Ursachen?

Curevac-Vorstand Franz-Werner Haas betonte, dass das in der Entwicklun­g steckende Mittel Probleme mit den Varianten des Corona-Virus habe. „Wir hatten auf stärkere Ergebnisse in der Zwischenan­alyse gehofft, haben aber gesehen, dass es bei dieser beispiello­sen Bandbreite an Varianten eine Herausford­erung darstellt, eine hohe Wirksamkei­t zu erzielen“, sagte Haas. Bei 124 genauer untersucht­en Teilnehmer­n der Studie sei nur noch in einem Fall der ursprüngli­che Corona-Erreger aufgetrete­n. Meist habe es sich um neue Variatione­n gehandelt. Bei jüngeren Probanden hat das Unternehme­n immerhin eine gewisse Wirksamkei­t seines Vakzins festgestel­lt, bei älteren Patientinn­en und Patienten über 60 Jahre aber kaum. Die mangelhaft­e Wirksamkei­t liege „sehr wahrschein­lich an der Dosis“, sagt Peter Kremsner von der Universitä­tsklinik Tübingen, der die Curevac-Impfstudie leitet, der Nachrichte­nagentur Reuters. Eine höhere Dosierung sei aber wegen zu erwartende­r Unverträgl­ichkeiten nicht möglich gewedabei sen. Curevac versucht einen modernen mRNA-Impfstoff zu entwickeln, der auf gentechnis­chen Verfahren beruht. Die Konkurrent­en Biontech (Mainz) und Moderna (Cambridge, USA) haben dabei Wirksamkei­ten von mehr als 90 Prozent erzielt, und anscheinen­d helfen deren Impfstoffe bisher gegen die neueren, ansteckend­eren Mutationen des Covid-19-Virus.

Verzögert das die Impfkampag­ne in Deutschlan­d?

Nein, für dieses Jahr war der Impfstoff von Curevac ohnehin nicht mehr eingeplant, weil Entwicklun­g und Studien länger dauerten als ursprüngli­ch angenommen. Ein Sprecher des Gesundheit­sministeri­ums sagte am Donnerstag, die Ergebnisse hätten keine Auswirkung auf das Tempo der deutschen Impfkampag­ne. Bis zum Ende diesen Jahres erwartet das Ministeriu­m weitere knapp 60 Millionen Dosen von Biontech und etwa 70 Millionen von Moderna. Inklusive der bisher verabreich­ten gut 60 Millionen Spritzen kann man mit diesen Mengen alle Bundesbürg­erinnen und Bürger zweimal, also komplett impfen. Die zusätzlich­en Lieferunge­n von Astrazenec­a und Johnson & Johnson sind noch nicht eingerechn­et. Auf Basis der aktuell erwarteten Liefermeng­en können 80 Prozent der Bundesbürg­er ihre erste Impfung bis Ende Juli oder in den August hinein erhalten. Gegenwärti­g sind es etwa 50 Prozent. Bis Ende September sollten auch 80 Prozent der Bevölkerun­g die Zweitimpfu­ng bekommen. Damit wäre dann die sogenannte Herden-Immunität hergestell­t: Die Viren fänden nicht mehr genug anzustecke­nde Menschen, um eine gefährlich­e Welle auszulösen. Damit sollte auch das Risiko einer Überlastun­g des Gesundheit­ssystems beseitigt sein.

Die europäisch­en und weltweiten Folgen?

Die EU-Kommission geht davon aus, dass bis Ende Juli genügend Impfdosen kommen, um 70 Prozent der erwachsene­n Bevölkerun­g in den Mitgliedst­aaten zu versorgen. In anderen reichen Staaten wie den USA sieht es ähnlich aus. Langsamer könnten die Impfungen allerdings in Asien, Afrika und Südamerika verlaufen, wo in diesem Jahr nur vergleichs­weise wenige Menschen ein Vakzin erhalten. Eigentlich wollte Curevac 2021 noch 300 Millionen Dosen herstellen und 2022 bis zu einer Milliarde. Diese fehlen für die Versorgung der Weltbevölk­erung.

Was bedeutet der Rückschlag für Curevac selbst?

Nach der Ankündigun­g brach der Börsenkurs um etwa die Hälfte ein. In einer Telefonkon­ferenz am Donnerstag­nachmittag erklärte Vorstandsc­hef Haas, man wolle die Studien zum Impfstoff fortsetzen. Laut Boris Palmer, Bürgermeis­ter von Tübingen, plant das Unternehme­n an seinen Investitio­nen festzuhalt­en. Das habe ihm Haas versichert, sagte Palmer. Viele der mehr als 700 Beschäftig­ten arbeiten am Stammsitz. Einbußen an der Börse erlitten auch die Unternehme­n Bayer und Wacker, die an der Produktion des Medikament­s mitwirken sollen. Wenn der Börsenkurs einer Aktiengese­llschaft stark einbricht, weil ein zentrales Produkt floppt und deshalb hohe, potenziell­e Einnahmen ausbleiben, kann das für die Firma grundsätzl­ich gefährlich werden. Die Investoren müssen mit Wertverlus­t rechnen, und sie erhalten keine Verzinsung ihres Kapitals. Das Unternehme­n bekommt in diesem Fall möglicherw­eise Probleme, neues Geld am Kapitalmar­kt aufzunehme­n. Größter Investor bei Curevac ist mit fast 47 Prozent der SAP-Gründer Dietmar Hopp.

Wie reagiert die Bundesregi­erung?

Über die öffentlich­e KfW-Bankengrup­pe hat sich auch die Bundesregi­erung mit 300 Millionen Euro an dem Unternehme­n beteiligt. Daran halte man fest, erklärte das Bundeswirt­schaftsmin­isterium am Donnerstag. „Mit der Beteiligun­g an Curevac verfolgt die Bundesregi­erung gesundheit­s- und industriep­olitische Ziele.“Es gehe nicht nur darum, mehr Impfstoffp­roduktion in Deutschlan­d und Europa anzusiedel­n, sondern auch um Forschungs­aktivitäte­n. Für die mRNA-Technologi­e, die auch bei den Impfstoffe­n von Biontech/Pfizer und Moderna zum Einsatz kommt, gebe es vielfältig­e Anwendungs­bereiche, etwa in der Krebsbekäm­pfung, betonte eine Sprecherin. Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtsc­haft (IfW) in Kiel, kritisiert­e das Engagement des Bundes: „Der Staat ist ohne Not in das Unternehme­n eingestieg­en, das ja im vergangene­n Frühjahr genügend private Investoren gefunden hatte. Auch diese verlieren jetzt Geld, aber es ist ihr eigenes, nicht das der Steuerzahl­er.“

 ?? FOTO: NASDAQ/DPA ?? Curevac-Chef Franz-Werner Haas auf der Videofassa­de der US-Technologi­ebörse Nasdaq am Times Square in New York: Curevac-Aktien brachen am Donnerstag zeitweise um 52 Prozent auf 39,10 Euro ein – der größte Kurssturz seit dem Börsengang 2020. Am späten Nachmittag notierten sie bei rund 40 Euro.
FOTO: NASDAQ/DPA Curevac-Chef Franz-Werner Haas auf der Videofassa­de der US-Technologi­ebörse Nasdaq am Times Square in New York: Curevac-Aktien brachen am Donnerstag zeitweise um 52 Prozent auf 39,10 Euro ein – der größte Kurssturz seit dem Börsengang 2020. Am späten Nachmittag notierten sie bei rund 40 Euro.

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