Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Aufrappeln nach dem Absturz
Der Tuttlinger Maschinenbauer Chiron wirbt mit neuen Produkten um neue Kunden und will sich so aus der Krise arbeiten
RAVENSBURG/TUTTLINGEN Feinste chirurgische Instrumente, medizinische Implantate, filigrane Teile für Uhren – alles gefräst aus Metall, hochpräzise und mikrometergenau. Für den Tuttlinger Maschinenbauer Chiron, einen Spezialisten für computergesteuerte Frässysteme, ist das bis vor Kurzem eine große Herausforderung gewesen. Denn für die Maschinen, die das Unternehmen sonst so für die Medizintechnik-, die Auto- und die Luftfahrtindustrie baut, waren die Bauteile, die Uhren zum Laufen bringen oder die Krankenhauszulieferer für ihre Instrumente benötigen, in der Regel zu groß und ungelenk.
Mit der Übernahme des Schweizer Werkzeugherstellers Mecatis und der neu entwickelten Anlage „Micro 5“hat sich das geändert. Damit will das Traditionsunternehmen bald auch verstärkt Kunden aus der Schmuck- und Uhrenindustrie gewinnen. „Die richtig kleinen Maschinen
hatten wir bislang eben nicht so richtig parat“, erläutert Chiron-Vertriebsingenieur Johann Redl, als er am Donnerstag Besucher durch die virtuelle Hausmesse des Maschinenbauers
führt. Stolz zeigt Redl dann aber auch die Gegenstücke zur kleinen Micro 5: Bearbeitungszentren, die in großen Stückzahlen die für Elektroautos so wichtigen Batterieund Motorkästen herstellen können.
Die neuen Produkte mit Codenamen wie DZ 22 W oder MT 715 genauso wie die Micro-5-Anlage sollen den Maschinenbauer wieder aus der Krise führen, in die Chiron nach den Rekordumsätzen im Jahr 2018 gerutscht war. Und das neue Management um den seit Frühjahr amtierenden Vorstandschef Carsten Liske betonte in einem Pressegespräch am Donnerstag immer wieder, dass die schwierige Zeit vorbei sei. „Wir haben die Krise genutzt und das Innovationsprogramm konsequent fortgesetzt“, erklärte Liske. „Wir starten aus der Kurzarbeit direkt in die Vollauslastung und werden die Herausforderungen meistern.“
Wie hart Chiron die Maschinenbaukrise und die anschließende Pandemie getroffen hat, zeigt der Absturz nach dem Rekordjahr: 2018 erzielte Chiron einen Umsatz von fast 500 Millionen Euro, der 2019 auf 443 Millionen Euro zurückging. Im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“äußerte Finanzchefin Vanessa Hellwing im Juli 2020 die Prognose, dass Chiron auf einen Jahresumsatz von etwa 288 Millionen Euro kommen werde. Hellwing hatte das Unternehmen nach dem überraschenden Rücktritt von Liskes Vorgänger Markus Flick Ende 2019 kommissarisch geführt. Schon damals hatte Hellwing die Neustrukturierung und ein „deutlich reduziertes Beschäftigungsniveau“angekündigt.
Bei der Neustrukturierung meldete Liske Vollzug: Chiron operiere künftig als operative Einheit und nicht mehr als Holding der Töchter
Stama und CMS sowie der gleichnamigen Tochter Chiron. Die drei Unternehmen seien nun als Marken eingegliedert. Ansonsten gaben sich der neue Chef und das gesamte Management wortkarg. Fragen nach dem Umsatz 2020 und danach, ob Chiron im vergangenen Geschäftsjahr schwarze Zahlen geschrieben habe, beantwortete Liske genauso wenig wie die Frage, ob Chiron das laufende Geschäftsjahr profitabel abschließen werde. Ebenfalls offen blieb, wie viele von den rund 2100 im Jahr 2019 beschäftigten Mitarbeitern das Unternehmen im Zuge der Restrukturierung abgebaut hat und wie viele betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen wurden. Positiv hat sich zumindest nach Angaben von Vertriebschef Bernd Hilgarth der Auftragseingang in den ersten fünf Monaten 2021 entwickelt. „Und auch der Juni sieht nicht schlecht aus“, erläuterte Hilgarth. Möglicherweise liegt das auch an der neuen Micro-5-Anlage und den neuen Kunden aus der Uhren- und Schmuckindustrie.