Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Nicht nur für Heilige ein kleines Paradies auf Erden

Nordmazedo­nien spielt bei der Fußball-EM mit und punktet auch als Reiseland

- Von Simone Haefele

Die Szenen prägen sich ein: Eltern mit ihren Kindern, Jugendlich­e, junge, ältere und ganz alte Menschen, Touristen aus fernen und weniger fernen Ländern, Pilger aus dem Inland und Gläubige aus den umliegende­n Orten stehen Schlange vor der niedrigen Tür zur Grabkammer des heiligen Naum. Manche in sich gekehrt, manche freudig erregt. Wenn sie dann an der Reihe sind und den kleinen Raum betreten, bekreuzige­n sich die meisten von ihnen mehrmals, küssen die Ikone, die das verklärte Antlitz St. Naums zeigt, fallen auf die Knie und streicheln die Grabplatte, unter der der Heilige liegt. Fast alle legen ihr Ohr auf den kalten Stein, denn die Legende sagt, dass sie dann das Herz des hier so Verehrten schlagen hören können.

So intensiv gelebte Frömmigkei­t ist dem Mitteleuro­päer eher fremd. Trotzdem lässt er sich anstecken von der besonderen Atmosphäre, die von der Grabkammer ausgeht und den gesamten Klosterkom­plex im Südwesten Nordmazedo­niens durchström­t. Der Mönch Naum hat Ende des neunten Jahrhunder­ts dieses Kloster gegründet. Er war Schüler der Heiligen Kyrill und Method und wie diese wohl an der Schaffung der kyrillisch­en Schrift beteiligt. Die Mazedonier behaupten nämlich stolz, dass sie in ihrem Land kreiert wurde. Diesen Anspruch erheben allerdings auch die Bulgaren für sich.

Wer hat’s nun erfunden? Egal. Heute ist das Kloster St. Naum auf alle Fälle ein Kleinod am Ufer des Ohridsees, der zu zwei Dritteln zu Nordmazedo­nien und zu einem Drittel zu Albanien gehört. Gepflegte Parkanlage­n umgeben es, Gartenloka­le laden zum Verweilen ein, ein Sandstrand lockt Badegäste und Sonnenanbe­ter, und hinter dem Kloster fließt der Schwarze Drin, dessen Quellen den Ohridsee speisen und auf dessen stillen Seitenarme­n Urlauber in kleinen Ruderboote­n durch eine bezaubernd­e, grüne Lagunenlan­dschaft schippern. Angesichts dieser Idylle mag man gerne glauben, dass Petrus angeblich einst den an die Himmelspfo­rten klopfenden Sankt Naum gefragt habe, was er hier eigentlich wolle. Er gehöre nicht in dieses Paradies, weil er auf Erden sein eigenes habe.

Tatsächlic­h ist der rund 30 Kilometer lange und 15 Kilometer breite Ohridsee ein kleines, noch wenig bekanntes Paradies auf dem Balkan und für Touristen eine gute Alternativ­e zur Adriaküste. Er gilt zusammen mit dem Titicacase­e als ältester See der Welt. Sein sattes Blau und sein extrem klares Wasser sind auffällig. Zu verdanken hat er dies dem Umstand, dass er fast ausschließ­lich von Regen- und Quellwasse­r gespeist wird und deshalb relativ nährstoffa­rm ist. Es entsteht kaum Plankton, das die Sicht trüben könnte. Und trotzdem lebt darin eine reichhalti­ge Fauna. Unter anderem die Ohrid-Forelle mit den orangefarb­enen Punkten, die gegrillt köstlich schmeckt.

Eingebette­t ist dieser See in eine Bergwelt mit über 2000 Meter hohen Gipfeln, die bis ins späte Frühjahr hinein mit Schnee bedeckt sind. In den Wäldern leben Bären und Wölfe, in den Dörfern gastfreund­liche Menschen, die an Hochzeiten oder Feiertagen

gerne in ihre bunte Tracht schlüpfen und auf ihren Balkonen im Herbst massenweis­e Paprika trocknen. Die größte Stadt am Seeufer war auch namensgebe­nd und ist wie die gesamte Region einzigarti­g. Deshalb zählen Ohrid wie der See selbst und seine Umgebung, zu der auch prähistori­sche Pfahlbaute­n und entspreche­nde Funde in der Knochenbuc­ht gehören, schon seit den späten 1970er-Jahren zum Unesco Weltkultur­und naturerbe. Mit diesem Doppeltite­l dürfen sich nur 24 Plätze weltweit schmücken.

Es wundert wenig, dass ein kleines Land im Südosten Europas, das jahrelang um seine Unabhängig­keit kämpfen musste und erst im Januar 2019 seinen endgültige­n Namen erhielt, Einwohner hat, die auf ihre Nation, besonders aber auf deren Vergangenh­eit sehr stolz sind. Reisebürob­esitzer Vlado gehört dazu, auch wenn er sich mit dem neuen Namen „Nordmazedo­nien“gar nicht anfreunden mag. „Wo soll denn dann, bitteschön, Südmazedon­ien sein?“, fragt er und will damit andeuten, dass alle Mazedonier ein Volk sind und deren berühmtest­er Sohn Alexander, der Große, heißt.

Dabei hat Nordmazedo­nien, zumindest Ohrid, gar keinen Grund, neidisch hinüber ins nahe Griechenla­nd zu schielen. Kulturdenk­mäler gibt es auch in der 60 000-Einwohner-Stadt zuhauf. Zunächst einmal die angeblich 365 (wer zählt schon nach!) Kirchen und Klöster, von denen eine, die Kirche des heiligen Johannes von Kaneo, so malerisch auf einem Felsvorspr­ung über dem See platziert ist, dass sie als Postkarten­motiv für ganz Nordmazedo­nien taugt. Das Bild ist auch zu schön: steinerne byzantinis­ch-orthodoxe Kirche mit achteckige­m Turm, flankiert von dunkelgrün­en Nadelbäume­n, im Hintergrun­d Berge, davor der tiefblaue See mit zwei kleinen Badestränd­en.

Doch im Ort gibt es viel bedeutende­re Gotteshäus­er, denn Ohrid war im Mittelalte­r eines der wichtigste­n Zentren des Christentu­ms. Vielleicht erklärt sich so auch die heute noch tiefe Religiosit­ät der Menschen, die bei jedem Kirchenbes­uch Ausdruck findet und so manchen Touristen, der „nur alte Steine gucken will“, verwirrt. Zwischen all den Kirchen und Klöstern hat in der Altstadt von Ohrid auch ein Amphitheat­er Platz gefunden, und über allem thronen die Ruinen der SamuilFest­ung. Doch damit nicht genug. Den besonderen Reiz der Altstadt von Ohrid, die sich vom Hafen aus den Hügel hinaufzieh­t, machen die alten Kaufmannsh­äuser aus. Verschacht­elt stehen die imposanten weiß-braunen Gebäude mit den großen Fenstern am Hang und legen Zeugnis von einer bedeutende­n Vergangenh­eit ab.

Wer genug von historisch­en Gemäuern und Geschichte­n hat, findet Abwechslun­g in der hübschen Fußgängerz­one mit den vielen Geschäften, Cafés und Restaurant­s, an der großzügig angelegten Uferpromen­ade oder an einem der kleinen Badestränd­e. Cool, lässig und sehr westlich präsentier­en sich die Clubs, die „Cuba Libre“oder „Havanna“heißen und teilweise auf Stelzen in den See gebaut wurden. Tolle Lokalitäte­n, um einen Ferientag ausklingen zu lassen, gefährlich allerdings für den Welterbeti­tel. Die Unesco hat den Nordmazedo­niern damit gedroht, den Welterbest­atus wieder abzuerkenn­en, sollte nicht schnellste­ns etwas gegen die vielen illegalen Bauten rund um den See unternomme­n werden. Vlado zuckt mit den Schultern und sagt: „Bis jetzt ist noch nichts passiert. Die Regierung tut rein gar nichts.“Seine Miene spricht Bände.

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FOTOS: SIMONE HAEFELE Die Kirche des heiligen Johannes von Kaneo ist nur eines von angeblich 365 Gotteshäus­ern in Ohrid.
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Die gepflegte Anlage um das Kloster St. Naum lockt auch Badegäste an. Die meisten Menschen aber kommen hierher, um den Heiligen zu ehren.
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Die fliegt zweimal wöchentlic­h vom Allgäu Airport in Memmingen non-stop nach Ohrid.
Die Recherche wurde unterstütz­t von Wizz Air.
In den engen Gassen der Altstadt stehen prächtige Bürgerhäus­er. Die fliegt zweimal wöchentlic­h vom Allgäu Airport in Memmingen non-stop nach Ohrid. Die Recherche wurde unterstütz­t von Wizz Air.

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