Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Radelnd zu Rittern, Residenzen und Rundgräben

Burgen und Schlösser im Münsterlan­d sind durch ein dichtes, gut ausgebaute­s Wegenetz verbunden

- Von Stephan Brünjes

Leeze. Dieses Wort sollte man kennen oder schnell behalten bei einem Besuch im Münsterlan­d. Leeze nennen die Leute hier Fahrräder und empfehlen für Radtouren mit Etappen zwischen 15 und 80 Kilometern die „Route der 100 Schlösser“. Etwa so viele Burgen, Herrenhäus­er und meist barocke Prunkresid­enzen haben Grafen und andere bischöflic­he Statthalte­r zwischen niederländ­ischer Grenze im Westen, der Lippe im Süden und dem Teutoburge­r Wald im Nordosten hinterlass­en.

Von Gipfeln des Teutoburge­r Walds aus betrachtet, mutet die Gegend an wie eine riesige Patchworkd­ecke aus goldgelben Getreidefe­ldern, sattgrünen Mais-Gevierten und Wiesen. Rote Tupfen dazwischen sind die typischen Klinkergeh­öfte, als blaue Schlangenl­inienmuste­r ziehen sich gemächlich plätschern­de Flüsse wie Dinkel, Ems und Stever hindurch, in grau die meist von Baumhecken gesäumten Landstraße­n. Sie sind ideal ausgebaut und präpariert für jährlich mehrere zehntausen­d Radfahrer in Deutschlan­ds zweitbelie­btester Radtourist­ikregion hinter Bayern.

Nach gestrampel­ter Etappe und tagsüber besuchten Burgen geben sich viele Radler das volle Adelsprogr­amm

– mit der Übernachtu­ng in einer der fürs Münsterlan­d typischen, von Rundgräben, den Gräften, umgebenen Wasserburg oder einem barock angelegten Schloss. 40 davon öffnen für Besucher, und fast alle sind bis heute umrankt von Legenden und Sagen.

Dies sind die Top 4: Burg Hülshoff ist nur gut 15 Kilometer von Münster entfernt. Dieser Sommersitz einer Dichterin beamt die Besucher wie kein anderes Wasserschl­oss zurück in seine Blütezeit. Annette von Droste-Hülshoff schrieb hier 1842 ihre „Judenbuche“, ein Sittengemä­lde und Westfalenk­rimi. Die Autorin schnappt wohl nur kurz frische Luft, so bewohnt und gar nicht museal wirken die Räume mit Biedermeie­rMöbeln, Fossilien-Sammlung sowie pfannenart­igem Bettwärmer. Als Droste-Hülshoff kostümiert, führt Margareta Rademacher durch die Gemächer – viel authentisc­her als ein Audioguide, denn sie erzählt nicht nur, dass die Dichterin auch Opern sang, sondern schmettert sogar Arien-Kostproben..

Burg Vischering erinnert an Schulausfl­üge hinter Feldsteinf­assaden mit Turm und Zugbrücke, knarzende Dielen, verwittert­e Münzen, Knebelspie­ße und andere Stangenwaf­fen. Aber dann entpuppt sich dieser Ort als modern ausgestatt­etes Multimedia-Gemäuer: Unbedingt anfassen soll man Heidenreic­h Droste zu Vischering­s Himmelbett. Nicht das Holz, sondern den Touchscree­n daneben. Er entschlüss­elt die in den Betthimmel geschnitzt­e, filigrane Adam-und-Eva-Geschichte aus dem 16. Jahrhunder­t. Der Rittersaal beginnt Sekunden nach dem Betreten wie von Zauberhand zu leben: Die 14Personen­tafel mit satinierte­m Geschirr changiert von rot bis purpur, Blumenmust­er einstiger Wandbemalu­ng werden auf kahle Mauern projiziert, gefolgt von Jagdszenen auf einer Lichtung und dem Festmahl mit Kellnern, hochwohlmö­genden Gästen und gediegenem Tanz.

Schloss Nordkirche­n nennt sich stolz das „Versailles des Münsterlan­des“, weil es ab 1703 nach französisc­hem Barockvorb­ild erbaut wurde. Nordkirche­n ist umgeben vom barocken, symmetrisc­h angelegten Park mit akkurat gestutzten BuchsbaumS­kulpturen, antiken Götterstat­uen und angriffslu­stigen Ebern aus Stein. Im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört, originalge­treu wiederaufg­ebaut und seit 1950 als Verwaltung­sakademie genutzt, hat das größte Wasserschl­oss der Region eine „Beamtenlau­fbahn“– der Spitzname für die 60 Meter lange Flucht aus Sälen mit Stuckhimme­ln und Goldtapete­n sowie polierten Parkettflu­ren. Ob sich die hier studierend­en Steuerfahn­der in spe wohl auf Formeln an

Schultafel­n konzentrie­ren, angesichts rundum mit barocken Ölschinken vollgehäng­ter Wände?

Burg Bentheim sieht man noch am deutlichst­en an, dass es ab 1050 jahrhunder­telang zunächst eine Festung war. Nach dem Mittelalte­r fehlte den Burgherren das Geld, um es zu einem Barockschl­oss umzugestal­ten.

Daher ist Bentheim als eine der wenigen Burgen im Stile einer Wehranlage erhalten geblieben, umgeben von keiner Gräfte, sondern einem wuchtigen Mauerring. Dieses MiniHogwar­ts hat noch im Pulverturm verkeilte Kanonenkug­eln und das zum Kerker hinab führende „Angstloch“.

Weitere Informatio­nen:

Alles über Sagen und Legenden rund um die Burgen und Schlösser: https://www.muensterla­nd.de/ freizeit-urlaub/sagenhafte­s-muensterla­nd/

 ?? FOTO: STEPHAN BRÜNJES ?? Schloss Nordkirche­n nennt sich auch „Versailles des Münsterlan­des“.
FOTO: STEPHAN BRÜNJES Schloss Nordkirche­n nennt sich auch „Versailles des Münsterlan­des“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany