Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Radelnd zu Rittern, Residenzen und Rundgräben
Burgen und Schlösser im Münsterland sind durch ein dichtes, gut ausgebautes Wegenetz verbunden
Leeze. Dieses Wort sollte man kennen oder schnell behalten bei einem Besuch im Münsterland. Leeze nennen die Leute hier Fahrräder und empfehlen für Radtouren mit Etappen zwischen 15 und 80 Kilometern die „Route der 100 Schlösser“. Etwa so viele Burgen, Herrenhäuser und meist barocke Prunkresidenzen haben Grafen und andere bischöfliche Statthalter zwischen niederländischer Grenze im Westen, der Lippe im Süden und dem Teutoburger Wald im Nordosten hinterlassen.
Von Gipfeln des Teutoburger Walds aus betrachtet, mutet die Gegend an wie eine riesige Patchworkdecke aus goldgelben Getreidefeldern, sattgrünen Mais-Gevierten und Wiesen. Rote Tupfen dazwischen sind die typischen Klinkergehöfte, als blaue Schlangenlinienmuster ziehen sich gemächlich plätschernde Flüsse wie Dinkel, Ems und Stever hindurch, in grau die meist von Baumhecken gesäumten Landstraßen. Sie sind ideal ausgebaut und präpariert für jährlich mehrere zehntausend Radfahrer in Deutschlands zweitbeliebtester Radtouristikregion hinter Bayern.
Nach gestrampelter Etappe und tagsüber besuchten Burgen geben sich viele Radler das volle Adelsprogramm
– mit der Übernachtung in einer der fürs Münsterland typischen, von Rundgräben, den Gräften, umgebenen Wasserburg oder einem barock angelegten Schloss. 40 davon öffnen für Besucher, und fast alle sind bis heute umrankt von Legenden und Sagen.
Dies sind die Top 4: Burg Hülshoff ist nur gut 15 Kilometer von Münster entfernt. Dieser Sommersitz einer Dichterin beamt die Besucher wie kein anderes Wasserschloss zurück in seine Blütezeit. Annette von Droste-Hülshoff schrieb hier 1842 ihre „Judenbuche“, ein Sittengemälde und Westfalenkrimi. Die Autorin schnappt wohl nur kurz frische Luft, so bewohnt und gar nicht museal wirken die Räume mit BiedermeierMöbeln, Fossilien-Sammlung sowie pfannenartigem Bettwärmer. Als Droste-Hülshoff kostümiert, führt Margareta Rademacher durch die Gemächer – viel authentischer als ein Audioguide, denn sie erzählt nicht nur, dass die Dichterin auch Opern sang, sondern schmettert sogar Arien-Kostproben..
Burg Vischering erinnert an Schulausflüge hinter Feldsteinfassaden mit Turm und Zugbrücke, knarzende Dielen, verwitterte Münzen, Knebelspieße und andere Stangenwaffen. Aber dann entpuppt sich dieser Ort als modern ausgestattetes Multimedia-Gemäuer: Unbedingt anfassen soll man Heidenreich Droste zu Vischerings Himmelbett. Nicht das Holz, sondern den Touchscreen daneben. Er entschlüsselt die in den Betthimmel geschnitzte, filigrane Adam-und-Eva-Geschichte aus dem 16. Jahrhundert. Der Rittersaal beginnt Sekunden nach dem Betreten wie von Zauberhand zu leben: Die 14Personentafel mit satiniertem Geschirr changiert von rot bis purpur, Blumenmuster einstiger Wandbemalung werden auf kahle Mauern projiziert, gefolgt von Jagdszenen auf einer Lichtung und dem Festmahl mit Kellnern, hochwohlmögenden Gästen und gediegenem Tanz.
Schloss Nordkirchen nennt sich stolz das „Versailles des Münsterlandes“, weil es ab 1703 nach französischem Barockvorbild erbaut wurde. Nordkirchen ist umgeben vom barocken, symmetrisch angelegten Park mit akkurat gestutzten BuchsbaumSkulpturen, antiken Götterstatuen und angriffslustigen Ebern aus Stein. Im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört, originalgetreu wiederaufgebaut und seit 1950 als Verwaltungsakademie genutzt, hat das größte Wasserschloss der Region eine „Beamtenlaufbahn“– der Spitzname für die 60 Meter lange Flucht aus Sälen mit Stuckhimmeln und Goldtapeten sowie polierten Parkettfluren. Ob sich die hier studierenden Steuerfahnder in spe wohl auf Formeln an
Schultafeln konzentrieren, angesichts rundum mit barocken Ölschinken vollgehängter Wände?
Burg Bentheim sieht man noch am deutlichsten an, dass es ab 1050 jahrhundertelang zunächst eine Festung war. Nach dem Mittelalter fehlte den Burgherren das Geld, um es zu einem Barockschloss umzugestalten.
Daher ist Bentheim als eine der wenigen Burgen im Stile einer Wehranlage erhalten geblieben, umgeben von keiner Gräfte, sondern einem wuchtigen Mauerring. Dieses MiniHogwarts hat noch im Pulverturm verkeilte Kanonenkugeln und das zum Kerker hinab führende „Angstloch“.
Weitere Informationen:
Alles über Sagen und Legenden rund um die Burgen und Schlösser: https://www.muensterland.de/ freizeit-urlaub/sagenhaftes-muensterland/