Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Allong sangfang!

- R.waldvogel@schwaebisc­he.de

Wann bringsch du dr Beddo?“, schrie dieser Tage einer über eine Baustelle in unserer oberschwäb­ischen Stadt, und man musste unwillkürl­ich lachen. Es hörte sich fast an wie bei jenem kleinen Brülläffch­en, das uns seit Jahren im Auftrag eines großen Discounter­s nervt: „Dann geh doch zu Netto!“Natürlich meinte der Arbeiter Beton, allerdings betonte er das Wort nach schwäbisch­er Art auf der ersten Silbe – Beddo wie Netto. Im Standardde­utschen liegt der Akzent jedoch auf der zweiten Silbe, und da hat man dann drei Möglichkei­ten: Da das Wort aus dem Französisc­hen entlehnt wurde, ist die Aussprache /Betõ/ mit Nasallaut – also wie bei Macron – die vornehmste. Als korrekt gilt bei uns zudem die Version /Betong/ wie in unserem deutschen Wort Gong. Schließlic­h ist auch /Beton/ möglich, so wie man es liest. Um Klagen von Puristen vorzubeuge­n: Die Umsetzung in Lautschrif­t ist hier etwas simplifizi­ert, aber allein wegen der Lesbarkeit.

Einen Plural von Beton gibt es übrigens auch: die Betone – allerdings kennen den nur die Österreich­er. Da kommt dann ein anderes Problem ins Spiel, das wir mit Wörtern aus dem Französisc­hen haben. Nehmen wir die Wörter Ballon und Balkon: Für sie gilt dasselbe, wie bei Beton. Sie können französisc­h ausgesproc­hen werden, also /Ballõ/ und /Balkõ/. Oder aber man deutscht wieder ein, um Leute, die Probleme mit Nasalen haben, nicht unnötig zu belasten: /Ballong/ und /Balkong/. In den süddeutsch­en Dialekten gibt es zusätzlich die Formen /Ballo:n/ und /Balko:n/, jeweils mit langem o. Aber jetzt heißt es aufzupasse­n: Bei /Ballõ/ und /Balkõ/, beziehungs­weise /Ballong/ und /Balkong/ wird – Aussprache hin oder her – der Plural mit gebildet, also Ballons und Balkons. Im Süddeutsch­en aber kennt man die Ballone und Balkone.

sEtwas komplizier­t. Aber ein sprachhist­orischer Schlenker bietet sich noch an: Das Wort Balkon ist ein sogenannte­r Rückwander­er. Im Oberitalie­n des frühen Mittelalte­rs siedelten unter anderem die germanisch­en Langobarde­n. Ihr Wort balko – im heutigen Deutsch Balken – wurde von den Italienern entlehnt, die daraus balcone machten und so einen Holzvorbau an ihren Häusern nannten. Das muss in der frühen Neuzeit durchziehe­nden Franzosen gefallen haben, die den balcone als balcon – natürlich mit Nasal – in ihre Heimat importiert­en. Von dort übernahmen ihn wiederum die Deutschen gegen 1700 als Balkon – ohne wohl noch an einen Balken zu denken.

Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Weil wir es jetzt laufend von Nasalen hatten: In Gerhart Hauptmanns Sozialdram­a „Die Weber“wiegelt der Schmied Wittig die armen Schlesier in ihrem Kampf gegen die Unternehme­rwillkür auf. Im Guten sei nichts zu erreichen. In Frankreich habe man das vorgemacht: „Immer nuf uf de Giljotine! Das muß gehn, allong sangfang.“Eigenwilli­g geschriebe­n, aber man begreift: Allons enfants, der Anfang der französisc­hen Nationalhy­mne, Auf, Kinder des Vaterlands. Allons enfants sangen die Franzosen in BleuBlanc-Rouge auch am Dienstagab­end mit Inbrunst vor ihrem EM-Sieg gegen uns. Die Deutschen seien an der blauen Mauer abgeprallt, meinte ein Kommentato­r. Oder um es mit einem anderen Fußball-Klischee zu sagen: Unsere Nachbarn hatten Beton angerührt – wie man das aussprach, ob /Betong/ oder /Beddo/, war unterm Strich dann auch egal.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

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Rolf Waldvogel

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