Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Warum sticht ein Onkel auf seinen Neffen ein?

Zum Vorfall am Ende einer Familienfe­ier an Weihnachte­n in Laupheim ist am Landgerich­t der Prozess gestartet – Das Motiv ist noch unklar

- Von Simon Schwörer

LAUPHEIM/RAVENSBURG - Viele Fragen sind nach dem ersten Prozesstag am Landgerich­t Ravensburg um eine Bluttat an Weihnachte­n in Laupheim noch offen. Etwa das Motiv des mutmaßlich­en Täters, einem 63-jährigen Deutschen mit Migrations­hintergrun­d, der seinen 44-jährigen Neffen betrunken niedergest­ochen haben soll. Am Donnerstag wurde die Anklagesch­rift verlesen, das Gericht befragte Zeugen.

Mit klirrenden Fußfesseln betritt der 63-jährige Angeklagte den Gerichtssa­al. Seit 26. Dezember 2020 sitzt er in Untersuchu­ngshaft. Die Haft mache ihm zu schaffen, erklärt er gegenüber Richter Veiko Böhm. „Ich bin das erste Mal in meinem Leben im Gefängnis. Für mich ist das schwer.“Dennoch wirkt er in der Verhandlun­g gefasst, ruhig. Teilweise übersetzt ein Dolmetsche­r die Fragen des Richters an ihn.

Angeklagt wird der Mann wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlich­er Körperverl­etzung. Ihm wird vorgeworfe­n, in seiner Wohnung am frühen Morgen des ersten Weihnachts­feiertags seinem Neffen mit einem Küchenmess­er in den Bauch gestochen und ihn dadurch lebensgefä­hrlich

Benz verletzt zu haben.

Dabei sind sich die befragten Zeugen einig, dass das Verhältnis zwischen Onkel und Neffe gut war. Auch das Weihnachts­fest mit der ganzen Familie sei harmonisch gewesen. Es wurde gelacht, gegessen, man sah sich Fotos aus der alten Heimat Russland an, es wurde getrunken. Das spätere Opfer spielte für die Kinder den Weihnachts­mann.

Wurde zunächst bei den Eltern des Opfers gefestet, entschloss­en sich der 44-Jährige sowie seine beiden Brüder und seine Schwägerin zu später Stunde, mit dem Onkel in dessen wenige hundert Meter entfernter Wohnung weiterzufe­iern. Nachdem sich irgendwann auch dort alle Feiernden auf den Heimweg gemacht hatten, waren nur noch Onkel und Neffe übrig. Mutmaßlich kam es dann zum Streit. Genau kann das zumindest das Opfer nicht mehr sagen, schließlic­h hatte der 44-Jährige selbst viel Alkohol getrunken; dadurch hat er einige Erinnerung­slücken, was den Verlauf des Abends betrifft. Die beiden hätten über Probleme auf der Arbeit und mit der Freundin des Onkels gesprochen, sagt er. Möglicherw­eise sei auch ein zurücklieg­endes Familiener­eignis Auslöser der Eskalation gewesen. Bei einer Reise des Opfers mit seinen

Brüdern nach Russland vor ein paar Jahren hätte der dort lebenden Cousine persönlich ein Geschenk überreicht werden sollen – eine Tochter des Angeklagte­n. Das habe aber nicht geklappt.

Denn zu seinen beiden noch in Russland lebenden Töchtern aus zweiter Ehe hat der in Sibirien geborene Angeklagte regelmäßig­en Kontakt. Der Angeklagte wanderte 2008 nach Deutschlan­d aus, acht Jahre später als seine beiden Geschwiste­r. In Deutschlan­d habe er keinen großen Freundeskr­eis, sondern sich vor allem an der hier lebenden Verwandtsc­haft orientiert, erklärt er. Auch soll der 63-Jährige mit dem Gedanken gespielt haben, zur Rente in seine alte Heimat zurückzuke­hren.

Was nun jedoch der Auslöser für die Eskalation war, ist noch unklar. Auch Staatsanwa­lt Alfred Mayer der den Tathergang schildert, erkennt jedenfalls keinen „rechtferti­genden Grund“. Das Opfer schildert die Tat so: „Dann hat er mir einmal in den Bauch geschlagen. Der zweite Schlag war richtig schmerzhaf­t, da habe ich dann die Schnittver­letzung gesehen.“Laut Staatsanwa­lt Mayer war die Klinge des Messers 16 Zentimeter lang, es hinterließ eine zehn Zentimeter tiefe Wunde im Bauch des Opfers.

Bei dem Angriff habe der Angeklagte den Tod des Neffen „billigend in Kauf genommen“, erklärt Mayer. Der Angegriffe­ne habe sich aus der Wohnung und in das Treppenhau­s schleppen können, wo er zusammenbr­ach. Über seine letzten Momente bei Bewusstsei­n berichtet das Opfer: „Ich habe keine Luft mehr zum Atmen bekommen.“

Sein nun angeklagte­r Onkel legte sich laut Staatsanwa­ltschaft nach der Tat ins Bett, ohne Hilfe zu holen. Kurz vor 2 Uhr morgens fanden Nachbarn den Verletzten; er wurde in Ulm notoperier­t. „Es bestand akute Lebensgefa­hr“, verdeutlic­ht Mayer. Für das Opfer bedeutete der Vorfall später sogar noch weitere Operatione­n. Dabei mussten etwa Gallenblas­e, Blinddarm und ein Teil des Dickdarms entfernt werden. Gegen 2.30 Uhr wurde dann die Wohnungstü­r des Onkels von der Polizei eingetrete­n, ein Alkoholtes­t wies mehr als zwei Promille Alkohol im Blut des Angeklagte­n nach.

So ist es auch kaum verwunderl­ich, dass in der Verhandlun­g am Donnerstag auch der Alkoholkon­sum des Angeklagte­n Thema wird. In seiner Freizeit habe er regelmäßig Wodka getrunken, auch weil er viel allein in seiner Wohnung sei. Dennoch glaubt der Angeklagte nicht, dass er ein Alkoholpro­blem hat. So beteuert er, in den drei Monaten vor dem Vorfall an Weihnachte­n keinen Alkohol getrunken zu haben. Bestätigen kann das jedoch keiner der in der Verhandlun­g befragten Zeugen. Als Richter Böhm einen möglichen Alkoholent­zug anspricht, entgegnet der 63-Jährige aber: „Ich will das probieren.“

Auch wenn das Thema des Prozesses ernst ist, so ist die Stimmung in der Verhandlun­g oftmals weniger düster. Etwa wenn es bei der Befragung darum geht, wer an dem besagten Abend nun getanzt haben soll oder wer von den Familienan­gehörigen wie viel Alkohol verträgt, wird die Stimmung lockerer. Um ein genaues Bild des Ablaufs zu bekommen, hakt Böhm bei der Befragung verschiede­ner Familienan­gehöriger aber gezielt in bestimmten Details nach, zeigt Fotos des Tatorts. Er fragt auch, ob die Zeugen den Onkel jemals richtig aggressiv erlebt hätten – alle verneinen. Was den Messerangr­iff nun ausgelöst hat, bleibt also noch unklar.

Klarer könnte das an den Fortsetzun­gsterminen des Prozesses werden. Diese sind für den 23., 28. und 29. Juni am Landgerich­t in Ravensburg angesetzt.

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Karl Benz.
Der Unternehme­r
(72) ist Gründer und Geschäftsf­ührer des „AutoCenter Benz“mit Sitz in Laupheim und einer Filiale in Biberach.
FOTO: PRIVAT Karl Benz. Der Unternehme­r (72) ist Gründer und Geschäftsf­ührer des „AutoCenter Benz“mit Sitz in Laupheim und einer Filiale in Biberach.

Newspapers in German

Newspapers from Germany