Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Das Bankgeheimnis
Gegen Frankreich fehlte der DFB-Elf die Wucht im Angriff – Wer Abhilfe schaffen könnte
HERZOGENAURACH - Helm auf, Kamera ab: Das Motiv für die Kameras ist nahezu jeden Tag dasselbe, dennoch sehr beliebt: Den Weg aus ihren Vierer-Bungalows Richtung Trainingsplatz legen die Nationalspieler mit blauen E-Bikes zurück. Manch einer trägt Schlappen, andere Laufschuhe. Wieder andere viel Hoffnung in sich. Auf einen Einsatz bei dieser EM.
15 Spieler aus seinem 26er-Kader hat Bundestrainer Joachim Löw bisher eingesetzt beim 0:1 zum Auftakt gegen Frankreich. Doch keiner der vier Einwechselspieler konnte dem Spiel gegen den Weltmeister noch einen Kick, gar eine entscheidende Wendung geben. Geduld ist gefragt bei einem Turnier. Geduld gepaart mit dem Kramer-Faktor. Den hat Löw bereits im Vorfeld beschworen als es um die Perspektive der Reservisten ging – im Mannschaftssprech aus motivatorischen Gründen stets „wertvolle Alternativen“genannt. Der Bundestrainer hinterlegte in den Köpfen seiner
Auserwählten: „Alle wissen: Wir müssen sofort und zu jeder Zeit bereit sein. Wie 2014 Christoph Kramer, der auf den letzten Drücker ins Aufgebot kam und dann im Finale auf dem Platz stand, weil er die Intensität immer hochgehalten hat.“Dass Kramer dann im Endspiel der WM gegen Argentinien nach einem Zusammenprall kurzzeitig nicht mehr wusste, dass er im Endspiel der WM gegen Argentinien auf dem Platz stand, tut nichts mehr zur Sache. Es geht um Leidensfähigkeit. Das Pech des einen könnte das Glück des anderen sein. Das ist das Bankgeheimnis einer jeden Mannschaft. „Die Aufstellung wird sich im Turnier einige Male ändern, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche“, prognostizierte Löw aus der Erfahrung seiner bisher sechs EM- oder WM-Turniere als Chefcoach.
Doch wie viel Qualität steckt in diesem Kader? Wer könnte zum unerwarteten Helden werden wie 1996 Oliver Bierhoff, der im EM-Endspiel gegen Tschechien das Golden Goal erzielte? Eine Analyse:
Leon Goretzka: Der BayernProfi, gegen Frankreich nicht im erlaubten 23er-Kader, ist für Löw gegen Portugal „eine gute Option im Laufe des Spiels“. Am Donnerstag konnte der Mittelfeldspieler mit dem zuletzt vermissten Drang zum Tor voll mittrainieren. Seine Wucht und Körperlichkeit sowie das Spielverständnis mit den Teamkollegen aus München könnten ein wertvoller Faktor sein.
Timo Werner: „Im Moment bin ich hintendran an der Startelf“, sagte der Chelsea-Stürmer schon vor dem Turnierstart und beteuerte: „Ich setze mich aber nicht mit verschränkten Armen auf die Tribüne und schmolle. Das Turnier ist lang, jeder wird gebraucht. Es ist ein Teamturnier. Man stellt sich in den Dienst der Mannschaft.“Gegen Frankreich verlor er nach seiner Einwechslung viele Bälle, blieb komplett wirkungslos.
Emre Can: Der Dortmunder gilt als Teamplayer, ist im Mannschaftskreis beliebt. ARD-Experte Bastian Schweinsteiger forderte bereits dessen Einsatz gegen Portugal. „Mich macht es stolz, wenn einer wie Schweinsteiger sagt, dass ich spielen soll“, erklärte Can und beteuerte: „Ich versuche, im Training und im Spiel Gas zu geben, wenn ich reinkomme.“
Leroy Sané: Wenn aus der eigenen Mannschaft ein Fürsprecher kommt, ist das noch wertvoller. Ilkay Gündogan sprach sich bereits für den Außenstürmer aus: „Leroy ist ein Spieler, der sich nicht immer leichttut, die letzten 20 Minuten zu kommen. Er muss das Selbstverständnis haben, ständig zu spielen. Wenn er dieses Gefühl hat, ist er unglaublich.“Was zu beweisen wäre. Sowohl nach seiner Einwechslung gegen Frankreich als auch im Training zeigte Sané wenig Gier auf einen Startplatz.
Kevin Volland: Der Stoßstürmer von der AS Monaco musste gegen Frankreich auf der linken Außenbahn helfen, auch defensive Aufgaben verrichten. Nicht sein Ding. Der Allgäuer braucht den Geruch des Strafraums, sucht den Abschluss. Womöglich der wichtigste Joker, wenn es Last-Minute-Wucht braucht.