Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Greenpeace, Kniefall, Autokraten
Die Hochglanzveranstaltung Europameisterschaft bekommt Kratzer
FRANKFURT (SID) - Greenpeace, Kniefall, Autokraten – noch nie zuvor standen so viele politisch heiße Eisen im Brennpunkt einer FußballEuropameisterschaft wie bei der laufenden Endrunde. Die viel diskutierten Themen aus der Mitte der Gesellschaft machen keinen Halt mehr vor der Hochglanzveranstaltung der Europäischen Fußball-Union (UEFA). Und auch der ohnehin schon kritisch beäugte Deutsche FußballBund (DFB) soll sich positionieren.
Das gilt vor allem mit Blick auf die Partie der Nationalmannschaft am Mittwoch in München gegen Ungarn (21 Uhr/ZDF und MagentaTV). Nachdem der rechtsnationalistische Regierungschef Viktor Orban mit Hilfe seiner Fidesz-Partei ein Gesetz gegen „Werbung“für Homosexualität erlassen hat, wird vom DFB ein Zeichen erwartet. Aufrufe dazu werden in den sozialen Netzwerken jedenfalls massenhaft geteilt. Besonders viel Aufmerksamkeit im Netz hat ein Tweet des ARD-Journalisten Georg Restle erregt. „Lieber DFB, in Ungarn soll 'Werbung' für Homosexualität verboten werden. Am 23. Juni spielt Deutschland gegen Ungarn in München bei der EURO“, schrieb der Leiter des Politmagazins Monitor: „Ihr seid doch so für Diversität. Wie wär es: Eine Regenbogenflagge für jeden Fan im Stadion? Dann kriegt das auch Herr Orban mit.“
Tatsächlich wäre dieses Zeichen in Richtung Orbans, dem laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Prüfung seines Gesetzes durch die EU droht, deutlicher als nur die Binde in Regenbogenfarben, die DFB-Kapitän Manuel Neuer zuletzt getragen hat.
Eine klare Haltung der Protagonisten erscheint bei der ersten paneuropäischen Endrunde wichtiger denn je. Schließlich hat die UEFA es verpasst, sich zu positionieren. Dass Ungarn, Russland und Aserbaidschan trotz ihrer latent oder offen autokratischen Regierungen um Orban, Wladimir Putin und Ilham Alijew als EM-Gastgeber auftreten dürfen, ist für viele Kritiker nicht nachvollziehbar. Dazu gehört der Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. „Wir müssen darüber reden, warum in solchen Ländern Sportveranstaltungen stattfinden. Und die Lage der Menschenrechte massiv thematisieren“, sagte Frank Schwabe, der auch Mitglied im Europarat ist: „Sport ist eben nicht unpolitisch. Und war es nie.“
Genau das hat sich in der ersten EM-Woche gezeigt. Die anhaltende Rassismus-Diskussion nach den Kniefällen der englischen und belgischen Auswahl sind genauso ein Beleg dafür wie der Aufschrei nach dem missglückten Klimaschutz-Protest von Greenpeace in München oder die Corona-Debatte angesichts von Zuschauern in den Stadien. Die Rolle der UEFA bleibt bei vielen dieser
Themen umstritten. Zwar hat sich der Verband den Kampf gegen Rassismus, Diskriminierung sowie Homophobie öffentlich auf die Fahnen geschrieben und in der Vergangenheit jede Menge Stars für seine Kampagnen vor Kameras gestellt – die Abläufe hinter den Kulissen werfen allerdings Fragen auf.
So sorgt die enge Verbindung von Orban zur UEFA, der von Verbandsboss Aleksander Ceferin gerne und viel öffentlich gelobt wird, genauso für Kritik wie der frühere MillionenVertrag der UEFA mit dem staatlichen Öl-Konzern Aserbaidschans.
„Wenn es so offensichtlich ist, dass es nicht um den Sport, sondern um das Geschäft und die Show geht, dann ist zumindest die Freude getrübt“, sagte Schwabe: „Ich will gar nicht ein zu enges Maß anlegen. Aber eine Fußball-EM in Baku ist einfach absurd. Es ist weder menschenrechtlich geboten, noch macht es sportpolitisch Sinn.“