Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Heißmacher in der bayerischen Hitze
Löw fordert gegen Portugal vollen Einsatz und mehr Gefahr im Angriff – Eine Statistik macht Mut
MÜNCHEN - Gegen Portugal? Geht's auch ohne Joachim Löw – nein, nicht erschrecken. Kein neuerlicher Hantelunfall, kein Verbrühen beim geliebten Espresso. Der Bundestrainer wird dabei sein gegen den Titelverteidiger am Samstag in Münchens EM-Arena (18 Uhr/ ARD und MagentaTV). War schon mal anders. Damals, 2008 in Basel. Weil Löw im letzten Vorrundenspiel gemeinsam mit Österreichs Nationalcoach Josef Hickersberger wegen zu viel Trara und Blabla an der Seitenlinie vom Schiedsrichter auf die Tribüne verbannt und für eine Partie gesperrt wurde, durfte er das EM-Viertelfinale gegen Portugal nur hinter Glas verfolgen. Auf der Tribüne, mit einer Fluppe in der Hand. Das Löw-Team gewann auch ohne seinen Chef mit 3:2. Rauch von gestern.
Diesmal ist der mittlerweile 61Jährige wieder dabei. Und wird sich womöglich seinem Laster – den Gelegenheitszigaretten – hingeben. Gerade in diesen stressreichen EM-Tagen kann er der Versuchung nicht widerstehen, ähnlich wie der Vorliebe für Dreierketten. Mal hört er auf damit wie bereits 2019, mal wird er rückfällig. Bei beidem. Ganz und gar menschlich.
Beim Abschlusstraining am Freitagvormittag im sonnenüberfluteten Adi-Dassler-Stadion unweit des Camps „Homegroud“hielt er eine längere Ansprache an seine Mannschaft. „Auf geht’s, Männer!“, brüllte dann Löw vor der Einheit ohne die Reservisten Lukas Klostermann (Muskelverletzung) und Jonas Hofmann (Knieprobleme). „Er hat uns noch mal heiß gemacht und uns gesagt, dass wir langsam in den Wettkampfmodus kommen müssen“, sagte Joshua Kimmich bei MagentaTV und betonte: „Wir sind nicht hier, um Urlaub zu machen.“Vor dem vielleicht schon vorletzten Spiel unter Löw ist richtig „Druck auf dem Kessel“, wie Kai Havertz berichtete.
„Gut, dass das nächste Spiel so schnell wieder kommt“, hatte der Bundestrainer direkt nach dem 0:1 gegen Frankreich gesagt und versprochen: „Es ist nichts passiert. Wir können noch alles geradebiegen.“Können sie. Aber vor dem Duell mit Portugals Superstar Cristiano Ronaldo, dem nun aktuell besten EM-Torschützen aller Zeiten (elf Treffer), wird deutlich, wie eklatant die Angriffsschwäche der DFB-Auswahl ist. In den letzten sechs Turnierspielen (drei bei der WM 2018, zwei bei der EM 2016, eins bei der EM 2021) traf kein Stürmer. Die drei erzielten Törchen verteilen sich auf Mesut Özil, Marco Reus und Toni Kroos. Thomas
Müller ist sowieso ganz ohne EM-Tor. Gegen Portugal darf vorne nicht wieder die Null stehen. „Wir brauchen auf jeden Fall das eine oder andere Tor“, sagte Löw fast flehend. Nur Wille, Herz und Leidenschaft reichen nicht, um mit den Besten Europas mithalten zu können. Mehr Mut, mehr Risiko, mehr Entschlossenheit mahnte Kimmich an: „Wir müssen noch zielstrebiger nach vorne spielen.“Eventuell hilft ja die Beschwörung
einer Serie. Bei einer WM oder EM gab es seit 2006 vier Siege gegen die Portugiesen (11:2 Tore). „Wir hoffen, dass wir mit dem fünften Sieg einen draufsetzen können“, sagte Verteidiger Matthias Ginter,
der ein „Jetzt-erst-recht-Gefühl“ausgemacht hat.
Doch wer nun vom Bundestrainer Aktionismus erwartet, der wird enttäuscht werden. Löw bleibt wohl dabei, dass Kimmich Rechtsaußen spielt und nicht in die Mitte auf die Sechserposition rückt, sagte er am Freitagabend im „Hilton Hotel Tucherpark“: „Es wird nicht so viele taktische Änderungen in der Defensive geben. Taktische Änderungen haben nichts mit dem System zu tun. Das soll flexibel sein, fließend.“Kimmich selbst gab sich zurückhaltend: „Grundsätzlich kann ich auf vielen Positionen spielen – mal schauen, welche es dann wird.“
Immerhin geht es bei der Hitzeschlacht von Fröttmaning um das Erreichen des Achtelfinals (wenn die Portuiesen gewinnen, sind sie durch) beziehungsweise eine gute Ausgangsposition. Mehr als 30 Grad werden am frühen Abend erwartet. Wer macht wen nass? Für Löw – zumindest das ist gleich wie im Viertelfinale 2008 – heißt es schon: Alles oder Nichts.