Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Was junge Absolvente­n in der Krise brauchen

Die „Generation Lockdown“fühlt sich in der Phase der Berufsorie­ntierung verunsiche­rt

- Von Victoria Vosseberg

Die Corona-Pandemie hat bei viele Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n wichtige Lebensents­cheidungen beeinträch­tigt. Dazu gehört auch die berufliche Orientieru­ng. Die „Generation Lockdown“hat oft das Gefühl, mit ihrem „Corona-Abi“oder „Corona-Studium“nicht nur eine minderwert­ige Ausbildung zu erhalten, sondern auch eine entscheide­nde Lebensphas­e zu verpassen und so ihre Zukunft verbaut zu bekommen.

Unter den 16- bis 19-Jährigen sind 81 Prozent überzeugt, dass sich ihr Leben stark verschlech­tert hat, wie zuletzt eine repräsenta­tive Studie der pronova BKK zeigte.

Nach eigener Einschätzu­ng wurde jedem vierten 16- bis 29-Jährigen ein Studienpla­tz, ein neuer Job oder ein Praktikum durch die Folgen der Pandemie genommen, ohne dass sich dies nachholen lässt. Die Hälfte (51 Prozent) der Befragten geht davon aus, durch die Pandemie deutliche Nachteile im Berufslebe­n zu haben.

Die Schule oder Uni als sozialer Ort ist durch die Pandemie weggefalle­n. Der Kontakt zu anderen Gleichaltr­igen, aber auch zu Lehrkräfte­n fehlt, sodass die Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n sich sehr isoliert fühlen. „Jugend als Experiment­ierphase, in der man sich gemeinsam mit anderen ausprobier­t, existiert gerade nicht“, sagt Wilfried Schubarth, Professor für Erziehungs­und Sozialisat­ionstheori­e an der Universitä­t Potsdam. „Das beeinträch­tigt viele wichtige Lebensents­cheidungen, die erst verspätet nachgeholt werden können.“

Das betrifft auch die berufliche Orientieru­ng. Aus

Angst und Alternativ­losigkeit im Lockdown würden gerade viele ein Studium anstreben, was später jedoch zu erhöhten Abbrecherq­uoten führen könnte, sagt Erziehungs­wissenscha­ftler Schubarth. Die allgemeine Unsicherhe­it beherrscht auch die Erwartunge­n der Generation an den Arbeitsmar­kt. „Vor der Pandemie waren sich Bewerber der sogenannte­n Generation Z sehr bewusst darüber, dass man sich gerade im „War for Talent“um junge, gut ausgebilde­te Arbeitnehm­er befand, sodass sie sehr selbstbewu­sst aufgetrete­n sind und viel von den Arbeitgebe­rn fordern konnten“, sagt Recruiting­expertin Svenja Rausch von der Praktikums­und Stellenbör­se JobTeaser.

Dieses Selbstbewu­sstsein hat nun erst mal einen Dämpfer bekommen. Stattdesse­n stehen Arbeitspla­tzsicherhe­it und langfristi­ge Verträge ganz oben auf der Liste der Auswahlkri­terien

Wilfried Schubarth, Professor für Erziehungs- und Sozialisat­ionstheori­e an der Universitä­t Potsdam

bei möglichen Jobs und Arbeitgebe­rn. Stellen im öffentlich­en Dienst etwa sind daher gefragt.

„Zwar hat die Generation Z auch Lust auf Abenteuer und Leidenscha­ft, eben weil sie es gerade nicht ausleben kann“, sagt Svenja Rausch. „Doch zurzeit herrscht wenig Risikobere­itschaft und viel Angst vor.“Kleinere, weniger etablierte Unternehme­n oder Start-ups sind daher als Arbeitgebe­r im Moment weniger beliebt.

„Hochschule­n und Unternehme­n sind gut beraten, den jungen Schulund Hochschula­bsolventen Angebote zur Berufsorie­ntierung zu machen, auch in digitaler Form. Viele Studis kennen zum Beispiel den Career-Service ihrer Uni kaum oder gar nicht und nutzen dessen Möglichkei­ten zu wenig“, sagt Svenja Rausch.

Junge Bewerber finden außerdem die Inhalte von Stellenaus­schreibung­en oft schwer verständli­ch. Berufsbild­er bleiben vielfach unklar. Auch die Rekrutieru­ngsprozess­e erscheinen ihnen oft zu lang und unübersich­tlich. „Unternehme­n müssen sich jetzt um eine klare Karriereko­mmunikatio­n speziell an junge, noch unerfahren­e Bewerber kümmern. Sie müssen die Berufsfeld­er ihres Unternehme­ns genauer vorstellen, auch wenn Einstellun­gen erst wieder in einigen Monaten möglich sein sollten“, empfiehlt Rausch.

Für wenig motivierte und frustriert­e Jugendlich­e ist es zurzeit besonders schwierig. Sie bräuchten eigentlich enge sozialpäda­gogische Betreuung in einer persönlich­en Beziehung und Begegnung. „Durch die Pandemie wächst die soziale Ungleichhe­it bei Jugendlich­en, da Bildung wieder extrem vom Elternhaus abhängig ist“, sagt Wilfried Schubarth.

Lernrückst­ände werde es daher auch beim Sozialverh­alten und der Verankerun­g gesellscha­ftlicher Werte geben, vermutet Schubarth. „Schule ist eigentlich gescheiter­t, wenn es nur um Leistung geht, Jugendlich­e haben insbesonde­re jetzt ganz andere Sorgen als bloß das Aufholen

des Lernstoffs.“Diese Sorgen und Ängste ernst zu nehmen und den Jugendlich­en zuzuhören, ist jetzt besonders wichtig für Erwachsene und insbesonde­re Eltern. Erziehungs­wissenscha­ftler Schubarth empfiehlt Eltern, die Beziehung zu ihren Kindern jetzt zu stärken, indem sie als Ansprechpa­rtner offen bleiben, ihren Kindern zuhören, ohne gleich zu bewerten.

„Auch Gemeinscha­ftserlebni­sse im Rahmen des Möglichen zu schaffen, ist wichtig, seien es Naturspazi­ergänge, Spieleaben­de mit der Familie zu Hause oder eben virtuell mit Freunden.“

Das gilt auch im Job. „Die Generation Z sieht sich eigentlich als Macher und Weltretter, kann das aber jetzt nicht ausleben. Um ihr Gefühl der Freiheit und Selbstbest­immtheit wieder zu erlangen, brauchen sie Vorbilder, die ihnen Mut machen, dass es schon mal Krisen gegeben hat und danach trotzdem alles wieder gut wurde“, erklärt Expertin Svenja Rausch. (dpa)

„Jugend als Experiment­ierphase, in der man sich gemeinsam mit anderen ausprobier­t, existiert gerade nicht.“

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Wohin soll's beruflich gehen? Die Corona-Pandemie hat bei jungen Absolvente­n eher Unsicherhe­iten ausgelöst.

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