Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Süd-Länder wollen Afghanen aufnehmen
Bundeshilfe für Flüchtlingsunterbringung gefordert – Ex-Präsident Karsai trifft Taliban
STUTTGART/KABUL - Die Innenminister der Länder haben vom Bund ein Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan-Flüchtlinge wie Ortskräfte, Journalistinnen und Journalisten oder Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten gefordert. „Aufgrund der sicherheits- und außenpolitischen Verantwortung des Bundes sehen wir hier den Bund für ein Bundesaufnahmeprogramm in der Pflicht“, sagte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK), der baden-württembergische Ressortchef Thomas Strobl (CDU), am Mittwoch in Berlin nach einer Telefonkonferenz der IMK.
Baden-Württemberg selbst will zunächst bis zu 1100 bedrohte Ortskräfte und deren Verwandte aus Afghanistan aufnehmen. Die evakuierten Menschen würden nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt, sagte ein Sprecher des Justizministeriums. Auf BadenWürttemberg entfallen demnach 13 Prozent der Betroffenen, auf Bayern 15 Prozent. „Der Bund in seiner Verantwortung führt jedoch zuvor Sicherheitsüberprüfungen und einen Corona-Test durch“, sagte Strobl.
Die Bundeswehr flog am Mittwoch weitere Menschen aus der afghanischen Hauptstadt Kabul aus. Seit der Einrichtung der Luftbrücke seien mehr als 670 gefährdete Menschen in Sicherheit gebracht worden, so das Verteidigungsministerium am Abend. Nach dem am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossenen Mandatsentwurf sollen für die Luftbrücke bis zu 600 Soldaten bis spätestens Ende September im Einsatz sein.
Während die Lage rund um den von den Taliban abgesperrten Flughafen nach wie vor unübersichtlich war, blieb es im Rest der Hauptstadt Kabul am Mittwoch weitgehend ruhig. Dort trafen sich Vertreter der militant-islamistischen Taliban mit anderen politischen Kräften. So sprachen am Mittwoch Ex-Präsident Hamid Karsai und der Leiter des Hohen Rates für Nationale Versöhnung Abdullah Abdullah mit dem hochrangigen Taliban-Mitglied Anas Hakkani. Ein Mitarbeiter Karsais teilte mit, es sei um Pläne und weitere Treffen gegangen. Ein Sprecher der Taliban erklärte, man wolle andere politische Kräfte an der Macht beteiligen.
Auf EU-Ebene bahnt sich unterdessen ein Streit über den Umgang mit afghanischen Flüchtlingen an. Österreich sprach sich gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus. Aus Luxemburg kam scharfe Kritik an dieser Haltung. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sagte der „Schwäbischen Zeitung“, im Vordergrund stehe nun die Rettung der Deutschen, ihrer Helfer und bedrohter Frauen. „Gleichzeitig ist aber auch richtig, dass Deutschland nicht alle wird aufnehmen können. Vielmehr müssen wir vor Ort helfen“, so Ziemiak.
Experten wie der Migrationsforscher Steffen Angenendt gehen aber ohnehin nicht davon aus, dass ähnlich viele Menschen nach Deutschland zu fliehen versuchen wie 2015 während des Bürgerkriegs in Syrien: „Die Grenzen der Erstaufnahmeund Transitstaaten, die die Menschen durchwandern mussten, waren 2015 längst nicht so verschlossen wie heute.“