Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Zalando hat es geschafft, Beiersdorf nicht
Deutsche Börse erweitert Dax um zehn Unternehmen – Wirecard-Skandal hat Neuordnung notwendig gemacht
BERLIN - Es hat dann doch nicht gereicht für Beiersdorf. Das Diagnostikunternehmen Qiagen hat den NiveaKonzern überholt und gehört jetzt zu den Mitgliedern des Deutschen Aktienindex (Dax), dem wichtigsten deutschen Börsenindex. Noch Ende Juli hatten das Hamburger Unternehmen vorn gelegen, doch für die größte Reform des Index seit dem Start 1988 reichte das nicht. Zu den Aufsteigern gehören einige recht junge Technologieunternehmen und die Städte Berlin und Essen.
Die Deutsche Börse hat den Dax radikal reformiert. Künftig gehören ihm 40 Unternehmen an. Bisher waren es 30. Dafür schrumpft der MDax der mittelgroßen, börsennotierten Firmen von 60 auf 50 Mitglieder. Wesentliches Kriterium ist die Marktkapitalisierung, der Wert, den die Menge der handelbaren Aktien eines Unternehmens an der Börse hat. Zum Stichtag listet die Deutsche Börse die notierten Unternehmen auf, die oberen 40 sind dann im Dax, die nächsten 50 im MDax. Berücksichtigt wird dabei der durchschnittliche Börsenwert der 20 Handelstage vor dem Stichtag – in diesem Fall praktisch der komplette August. Überprüft wird jeweils Anfang März und Anfang September.
Höchster Neueinsteiger ist Airbus. Der deutsch-französische Luftund Raumfahrtkonzern mit Sitz im niederländischen Leiden und großen Standorten in Toulouse und Hamburg sowie der Satelliten-Produktion in Immenstaad am Bodensee liegt hinter dem Gasehersteller Linde, dem Softwarekonzern SAP, dem Industriekonzern Siemens und dem Versicherer Allianz auf Platz fünf. Dass ein solches Schwergewicht bisher nicht im Dax vertreten war, verhinderte eine Regel, die jetzt ersatzlos gestrichen wurde: ein möglichst hoher Börsenumsatz. AirbusAktien wurden bisher vor allem an der Börse in Paris gehandelt und nur in geringer Menge in Frankfurt. Das ist künftig unwichtig.
Mit dem Onlinehändler und Technologieunternehmen Zalando, gegründet 2008, sowie dem Kochboxenversender Hellofresh, gegründet 2011, sind zwei vergleichsweise junge Unternehmen aus dem MDax aufgestiegen. Sie beweisen, dass es auch die beschworene und manchmal belächelte Start-up-Szene Berlins schafft, in die Spitze der deutschen börsennotierten Unternehmen vorzudringen.
Ebenfalls im neuen Dax vertreten sind der Duft- und Aromastoffhersteller Symrise, der Pharma- und Laborzulieferer Sartorius, die Porsche
Holding, die die Mehrheit am ebenfalls im Dax notierten VW-Konzern hält, der Chemikalienhändler Brenntag und eine weitere Abspaltung des Siemens-Konzerns: Siemens Healthineers. Im März hatte bereits Siemens Energy einen Platz im Dax bekommen. Dafür musste damals Beiersdorf weichen.
Mit Puma ist der zweite deutsche Sportartikelhersteller neben Adidas im Dax angekommen. Damit ist der kleine bayerische Ort Herzogenaurach mit seinen 24 000 Einwohnern nicht nur zweimal im Dax vertreten, sondern auch zweimal mit einem Sportartikelhersteller. Denn Adidas sitzt ebenfalls in Herzogenaurach.
Klarer Gewinner der Dax-Reform ist Berlin. Die Hauptstadt war bisher bereits mit dem Bestell-Essensvermittler Delivery Hero und dem Wohnungskonzern Deutsche Wohnen sowie Siemens im Index vertreten. Jetzt kommen Zalando und Hellofresh hinzu. Das reicht für Rang zwei. Nur München stellt mit Allianz, dem
Autobauer BMW, der Rückversicherung Münchener Rück, dem Turbinenhersteller MTU Aero Engines, Siemens und Siemens Energy mehr Unternehmen. Der Doppelsitz von Siemens zählt hier für beide Städte.
Auf Rang drei der wichtigsten Dax-Städte steigt Essen auf. Neben Brenntag, dem größten Chemikalienhändler der Welt, haben hier auch die Energiekonzerne Eon und RWE ihre Sitze. Mit Sartorius kommt Göttingen erstmals auf die Dax-Karte, mit Symrise auch das niedersächsische Holzminden.
Auslöser der Dax-Reform war der Fall Wirecard. Der Zahlungsabwickler konnte 2020 monatelang keinen Geschäftsbericht für 2019 vorlegen, meldete dann Insolvenz an, weil offenbar große Teile des Geschäfts erfunden waren. Derartige Fälle waren im Regelwerk bisher nicht vorgesehen. Die Deutsche Börse nutzte diesen Fall, um das Regelwerk gleich grundlegend zu überarbeiten.
Künftig müssen Dax-Unternehmen und ihre Anwärter alle Vierteljahre bis zu einem bestimmten Termin Geschäftsberichte vorlegen. Ist das nicht der Fall, werden die betreffenden Firmen aus dem Index ausgeschlossen. Und ein insolventes Unternehmen wird binnen zweier Handelstage ersetzt.
Für Wirecard rückte 2020 Delivery Hero in den Dax auf, als erstes Tech-Start-up aus Berlin. Kritik gab es, weil das Unternehmen seit seiner Gründung 2011 praktisch noch nie Gewinn geschrieben hatte. Künftig gilt, dass Firmen zwei Jahre lang operativ – vor Abschreibungen, Steuern und Zinsen – profitabel gewesen sein müssen, um in den Dax aufgenommen zu werden. Auch müssen mindestens zehn Prozent der Aktien frei handelbar sein, das Unternehmen zudem juristisch oder operativ in Deutschland sitzen. Die Regeln wurden bereits Ende 2020 beschlossen.
Für viele Anleger, die mit ETFs, standardisierten Fonds, die bestimmte Börsenindizes abbilden, Geld im Dax anlegen, wird sich kaum etwas ändern. Die Anbieter der ETFs werden Anteile der neuen Dax-Mitglieder kaufen und Anteile anderer Dax-Mitglieder verkaufen, um den Index genau abzubilden. Auch Anbieter aktiv gemanagter Fonds auf den Dax werden Aktien der Aufsteiger kaufen müssen, was die Kurse treiben könnte. Andererseits wird bereits seit Monaten über die neue Dax-Zusammensetzung spekuliert. Die aktuelle zeichnete sich bereits Ende August ab. Damals allerdings konnte Beiersdorf noch hoffen: Der Konzern stand auf Platz 40, Qiagen auf 41. Es kam dann anders.