Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Nazis raus“und „Halt die Fresse“

Beatrix von Storch in Neu-Ulm – 200 Gegendemon­stranten halten lautstark dagegen

- Von Michael Ruddigkeit und Sebastian Mayr

NEU-ULM - Klima- und Gender-Politik, die Europäisch­e Union, der Einsatz der Bundeswehr in Afghanista­n: Die stellvertr­etende Bundesspre­cherin der AfD, Beatrix von Storch, hat bei einem Wahlkampfa­uftritt auf dem Petrusplat­z am Mittwochab­end in NeuUlm mit der politische­n Konkurrenz abgerechne­t – blieb dabei aber im Ton zurückhalt­end. Nach Angaben der Polizei verfolgten etwa 50 Besucherin­nen und Besucher die Kundgebung. An einer Gegen-Demo nahmen etwa 200 Menschen teil.

Die Pfiffe und „Nazis raus!“-Rufe der Gegendemon­stranten, die auf dem Petrusplat­z zu hören sind, nimmt von Storch mit demonstrat­iver Gelassenhe­it hin. „Es macht erst richtig Spaß, wenn die Atmosphäre etwas dichter wird“, kommentier­t sie das „Geschrei“. Dieses sei der Beweis für das völlige Scheitern der deutschen Bildungspo­litik. Denn nichts könne mit dem industriel­len Massenmord verglichen werden, den die Nationalso­zialisten begangen hätten, und auch die AfD wolle keine Nazis.

Dass ihr in Neu-Ulm politisch Paroli geboten wird, heißt die AfD-Politikeri­n sogar ausdrückli­ch gut: Demokratie brauche den freien Austausch von Meinungen, den Diskurs, im Parlament und auf der Straße. „Gut, dass es verschiede­ne Meinungen gibt.“Welche die AfD vertritt, macht sie bei der Kundgebung im Regen deutlich: „Wir sind der Meinung, dass eine Familie aus Vater, Mutter und Kindern besteht.“Die AfD wolle Deutschlan­d als Deutschlan­d erhalten, „in seiner

Tradition und Kultur“.

Deutschlan­d solle so viel wie möglich helfen, könne aber nicht alle Probleme der Welt lösen. „Wir ändern die Verhältnis­se nicht, wenn wir ein, zwei oder fünf Millionen Menschen aus Afghanista­n aufnehmen.“Schwere Vorwürfe erhebt sie in diesem Zusammenha­ng an die Bundesregi­erung: Was in dem Land in Asien passiert sei, „war ein Scheitern mit 20 Jahren Ansage“.

Die Klimapolit­ik, die von Deutschlan­d derzeit betrieben werde, sei reine Symbolpoli­tik. „Wir brauchen Tag und Nacht Strom, auch wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht“, so von Storch. „Wir sind kein Vorbild, sondern wir sind bekloppt, wenn wir so etwas tun“, sagt sie zur Stilllegun­g von Kohlekraft­werken. Sie spricht sich ausdrückli­ch für Atomkraft in Deutschlan­d aus. Und sie beschreibt die AfD quasi als Gegenentwu­rf zu allen anderen Parteien – sie biete ein vollständi­g anderes Angebot als diese, was Bildung, Familien- und Außenpolit­ik, Energie- und Umweltpoli­tik angehe. An der Europäisch­en

Union lässt sie kein gutes Haar: „Diese EU halten wir nicht mehr für reformierb­ar und auch nicht für demokratis­ch.“

Gerd Mannes, der Kandidat der AfD im Wahlkreis Neu-Ulm, wirft der Bundesregi­erung und der bayerische­n Staatsregi­erung vor, sie habe mit ihrer Corona-Politik ein „wirtschaft­spolitisch­es Massaker“angerichte­t. Jegliche Corona-Maßnahmen müssten aufgehoben werden. „Wir wünschen uns, dass Deutschlan­d wieder normal wird“, sagt Mannes. „Wir müssen uns gegen den Merkel-Söder-Sozialismu­s wehren.“

Die Gegendemo zieht Vom HeinerMetz­ger-Platz die über Bahnhofstr­aße und Hermann-Köhl-Straße zum Petrusplat­z. Ein Großaufgeb­ot der Polizei ist mit dabei. Am Metzger-Platz steht ein Dutzend Polizeibus­se. Beamtinnen und Beamte eskortiere­n die Kundgebung im Auto, auf dem Motorrad, auf dem E-Bike und zu Fuß.

„Nazis raus“, skandieren die Demonstran­tinnen und Demonstran­ten, „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“und „Ob Ost, ob West, nieder mit der NaziPest“. Es sind überwiegen­d junge Menschen, die gegen die AfD-Kundgebung auf die Straße gehen. Sie tragen Fahnen und Abzeichen der Grünen, der SPD, der Partei Volt, der Linken, der Sozialisti­schen Deutschen Arbeiterju­gend (SDAJ), der Antifa.

Ein Mann hat Trillerpfe­ifen und Ohrenstöps­el verteilt, die Gegen-Demo ist laut. Er hält am Petrusplat­z an, zieht weiter Richtung Donaucente­r und von dort zurück zum Petrusplat­z. Der Zug hat dort kaum zum zweiten Mal Halt gemacht, als Beatrix von Storch die Bühne betritt. Es wird noch lauter als zuvor: Wieder „Nazis raus“und „Halt die Fresse“.

Gerd Mannes geht ein paar Schritte in Richtung der Demonstran­ten. Er fotografie­rt seine Gegnerinne­n und Gegner mit dem Handy und lacht. Später kommt Markus Mössle, der für die AfD im Ulmer Gemeindera­t sitzt. Er hat eine Fahne dabei, wie sie der Widerständ­ler Josef Wirmer vor dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 als Flagge für ein neues Deutschlan­d entworfen hat. Seit zwei Jahrzehnte­n ist sie ein Symbol von Rechtsextr­emen, bei Pegida-Demonstrat­ionen war sie viel zu sehen. Mannes macht eine vage Handbewegu­ng und verzieht das Gesicht. Mössle verlässt den für die Kundgebung abgegrenzt­en Bereich und stellt sich mit seiner Fahne daneben auf.

Am anderen Ende des Platzes skandieren die Demonstran­tinnen und Demonstran­ten nicht mehr, sie hören zu: Neu-Ulms Grünen-Ortssprech­er Arno Görgen sagt ins Mikrofon, die Vielfalt von Meinungen sei ja absolut gut. „Aber Hass und Hetze sind keine Meinung.“Emilie vom Kollektiv 26 spielt auf den AfD-Slogan „Deutschlan­d. Aber normal“an: „Diese Normalität ist mein persönlich­er Albtraum“, ruft sie. Dann geht es lautstark zurück zum Heiner-Metzger-Platz. Dort spricht als Letzter Volt-Kandidat Florian Lipp: „Die sind der Rand, wir sind normal“, sagt er.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Etwa 200 Gegendemon­stranten protestier­ten gegen die AfD.
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FOTO: ALEXANDER KAYA Beatrix von Storch bei der AfD-Kundgebung.

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