Schwäbische Zeitung (Laupheim)
In Ulm hat die Zukunft der Fabriken begonnen
Gebaut in „chinesischer Geschwindigkeit“: Dass eine Weltfirma wie Bosch Rexroth in diesen Zeiten viele Millionen in einen neuen Standort investiert, ist ungewöhnlich
ULM - Wer eine mögliche Zukunft der industriellen Produktion erleben will, der sollte das Kunden- und Innovationszentrum auf dem Eselsberg in Ulm besuchen. Allein der superscharfe („4-K“) Bildschirm in der „Fabrik der Zukunft“ist 15 Meter lang und vier Meter hoch. Darauf ist dann die digitale Erweiterung der ShowFabrik zu sehen, die vor der LEDWand ganz in echt funktioniert.
In der „Fabrik der Zukunft“versucht Rexroth (gehört zu 100 Prozent zu Bosch, Stuttgart) zu zeigen, was nach den „hart verketteten“, also extrem unflexiblen, Produktionsstätten der Gegenwart kommt. In der Modellfabrik sind nur die Wände, Decken und der Boden starr, wie es Rolf Najork, Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender bei Bosch Rexroth, ausdrückt. „Die Speerspitze der Innovation ist jetzt in Ulm.“
In Ulm seien jetzt nicht nur einzelne Anlagen der Industrie 4.0 zu sehen, sondern der ganze komplexe Produktionsprozess einer Fabrik. Bei derartigen super-modernen Anlagen gehe es nicht darum, die standardisierte Produktion von Losgrößen in Millionenhöhe zu revolutionieren. Vielmehr geht es um maximale Individualisierung, die auch eine geringe Stückzahl-Fertigung in Fabriken möglich macht.
Auf rund 500 Quadratmetern demonstriert Bosch Rexroth die Potenziale einer „modularen und hoch digitalisierten“ Fertigung. Es ist gleißend hell, selbst der Fußboden blinkt. Polierte Roboter, eine LEDWand und unzählige Bildschirme dominieren den Eindruck.
Im mit Holz aus dem Schwarzwald verkleideten Neubau kommen auf einem intelligenten Boden beispielsweise autonome Transportsysteme für die Intralogistik, selbst lernende Roboter zur Kommissionierung, oder auch automatische Produktionsassistenten mit einer sensorgestützten, virtuellen Schutzfunktion zum Einsatz.
Das Ganze lässt sich auch aus luftiger Höhe von einem Balkon innerhalb der Halle beobachten. Rexroth eröffne Fabrikbetreibern neue Perspektiven. Najork: „Ulm ist für uns ein enorm wichtiger Standort.“Viel früher, als es mit Prototypen möglich ist, wolle Bosch Rexroth im neuen Innovationszentrum herausfinden, was die Kunden wirklich wollen.
Neben der Fabrikautomation konzentriert sich Bosch Rexroth in Ulm auf die Elektrifizierung mobiler Arbeitsmaschinen wie Radlader oder Bagger. Eingesetzt werden sie beispielsweise in der Land- und Forstwirtschaft, auf Baustellen oder beim Güterumschlag in Häfen. Rexroth bewegt auch in ganz großem Stil: Etwa, wenn Ölbohrplattformen angehoben werden müssen.
Dafür wurden in den Standort Ulm seit 2019 20 Millionen Euro investiert. Standortleiter Thomas Fechner spricht von „chinesischer
Geschwindigkeit“, mit der Bosch Rexroth in Ulm habe operieren können. Ulm habe sich gegen mehrere Mitbewerber um die Ansiedlung durchgesetzt. Ulm mit seiner Projektentwicklungsgesellschaft PEG habe sich als „schneller, agiler und flexibler“als andere Städte herausgestellt, wie es Najork ausdrückt. Zudem liege Ulm geografisch günstig an zwei Autobahnen und die kommende schnelle Schienen-Anbindung an Stuttgart mit der Neubaustrecke sei ein zusätzlicher Vorteil.
200 Menschen haben nach den Worten des Standortleiters Fechner derzeit ihren Arbeitsplatz bei Rexroth in Ulm. Im kommenden Jahr sollen es 250 sein. Nahezu alle Arbeitsplätze haben einen Bezug zu Elektrifizierung, Digitalisierung und Software. Platz biete der Standort für 400
Menschen. Das liege an einer neuen Arbeitsform, die in Ulm gelebt werde: Alles ist hier auf Co-Working ausgelegt. Experten aus unterschiedlichen Geschäftsfeldern wie der Mobilhydraulik oder der elektrischen Antriebstechnik arbeiten in funktionsübergreifenden Teams mit Kunden zusammen. Zu erkennen an zahlreichen Sitzecken, Sofas und Bars mit Kaffeetheke. Auch die Zusammenarbeit
mit Start-ups innerhalb der Bosch-Gruppe und im Großraum Ulm soll intensiviert werden. Das Ziel: mehr Innovationen in kürzerer Zeit entwickeln. Dabei will Rexroth von der Wissenschaftsstadt profitieren, die ebenfalls ein Argument für die Standortwahl gewesen sei.
Marc Wucherer, Mitglied des Vorstands bei Bosch Rexroth, mit Verantwortung für Vertrieb, spricht von „guter Gesellschaft mit anderen innovationsfreudigen Unternehmen“und der Entstehung von Innovationscluster.
Zum Kunden- und Innovationszentrum mit mehr als 8500 Quadratmetern Gebäudefläche gehört auch der TechPark, ein rund 10 000 Quadratmeter großes Außengelände mit Werkstätten, Parkplätzen und einer Versuchsfläche für elektrisch angetriebene mobile Arbeitsmaschinen. Firmenintern der „Männerspielplatz“genannt. Hier lässt sich nach Herzenslust baggern – wenn man eine ernsthafte Kaufabsicht belegt.
Zudem finden hier Messen statt – wie dieser Tage eine für den Standort Elchingen relevante zum Thema Mobil-Hydraulik; aber womöglich im kommenden Jahr auch Konzerte unter freiem Himmel. Ulm bleibt dennoch im Vergleich zum Nachbarstandort eine kleine Nummer, zumindest, was die Köpfe angeht: Am Standort Elchingen entwickelt, produziert und vertreibt Rexroth mit 2260 Beschäftigten Axialkolbenmaschinen und Mobilelektronik.