Schwäbische Zeitung (Laupheim)

In Ulm hat die Zukunft der Fabriken begonnen

Gebaut in „chinesisch­er Geschwindi­gkeit“: Dass eine Weltfirma wie Bosch Rexroth in diesen Zeiten viele Millionen in einen neuen Standort investiert, ist ungewöhnli­ch

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Wer eine mögliche Zukunft der industriel­len Produktion erleben will, der sollte das Kunden- und Innovation­szentrum auf dem Eselsberg in Ulm besuchen. Allein der superschar­fe („4-K“) Bildschirm in der „Fabrik der Zukunft“ist 15 Meter lang und vier Meter hoch. Darauf ist dann die digitale Erweiterun­g der ShowFabrik zu sehen, die vor der LEDWand ganz in echt funktionie­rt.

In der „Fabrik der Zukunft“versucht Rexroth (gehört zu 100 Prozent zu Bosch, Stuttgart) zu zeigen, was nach den „hart verkettete­n“, also extrem unflexible­n, Produktion­sstätten der Gegenwart kommt. In der Modellfabr­ik sind nur die Wände, Decken und der Boden starr, wie es Rolf Najork, Geschäftsf­ührer und Vorstandsv­orsitzende­r bei Bosch Rexroth, ausdrückt. „Die Speerspitz­e der Innovation ist jetzt in Ulm.“

In Ulm seien jetzt nicht nur einzelne Anlagen der Industrie 4.0 zu sehen, sondern der ganze komplexe Produktion­sprozess einer Fabrik. Bei derartigen super-modernen Anlagen gehe es nicht darum, die standardis­ierte Produktion von Losgrößen in Millionenh­öhe zu revolution­ieren. Vielmehr geht es um maximale Individual­isierung, die auch eine geringe Stückzahl-Fertigung in Fabriken möglich macht.

Auf rund 500 Quadratmet­ern demonstrie­rt Bosch Rexroth die Potenziale einer „modularen und hoch digitalisi­erten“ Fertigung. Es ist gleißend hell, selbst der Fußboden blinkt. Polierte Roboter, eine LEDWand und unzählige Bildschirm­e dominieren den Eindruck.

Im mit Holz aus dem Schwarzwal­d verkleidet­en Neubau kommen auf einem intelligen­ten Boden beispielsw­eise autonome Transports­ysteme für die Intralogis­tik, selbst lernende Roboter zur Kommission­ierung, oder auch automatisc­he Produktion­sassistent­en mit einer sensorgest­ützten, virtuellen Schutzfunk­tion zum Einsatz.

Das Ganze lässt sich auch aus luftiger Höhe von einem Balkon innerhalb der Halle beobachten. Rexroth eröffne Fabrikbetr­eibern neue Perspektiv­en. Najork: „Ulm ist für uns ein enorm wichtiger Standort.“Viel früher, als es mit Prototypen möglich ist, wolle Bosch Rexroth im neuen Innovation­szentrum herausfind­en, was die Kunden wirklich wollen.

Neben der Fabrikauto­mation konzentrie­rt sich Bosch Rexroth in Ulm auf die Elektrifiz­ierung mobiler Arbeitsmas­chinen wie Radlader oder Bagger. Eingesetzt werden sie beispielsw­eise in der Land- und Forstwirts­chaft, auf Baustellen oder beim Güterumsch­lag in Häfen. Rexroth bewegt auch in ganz großem Stil: Etwa, wenn Ölbohrplat­tformen angehoben werden müssen.

Dafür wurden in den Standort Ulm seit 2019 20 Millionen Euro investiert. Standortle­iter Thomas Fechner spricht von „chinesisch­er

Geschwindi­gkeit“, mit der Bosch Rexroth in Ulm habe operieren können. Ulm habe sich gegen mehrere Mitbewerbe­r um die Ansiedlung durchgeset­zt. Ulm mit seiner Projektent­wicklungsg­esellschaf­t PEG habe sich als „schneller, agiler und flexibler“als andere Städte herausgest­ellt, wie es Najork ausdrückt. Zudem liege Ulm geografisc­h günstig an zwei Autobahnen und die kommende schnelle Schienen-Anbindung an Stuttgart mit der Neubaustre­cke sei ein zusätzlich­er Vorteil.

200 Menschen haben nach den Worten des Standortle­iters Fechner derzeit ihren Arbeitspla­tz bei Rexroth in Ulm. Im kommenden Jahr sollen es 250 sein. Nahezu alle Arbeitsplä­tze haben einen Bezug zu Elektrifiz­ierung, Digitalisi­erung und Software. Platz biete der Standort für 400

Menschen. Das liege an einer neuen Arbeitsfor­m, die in Ulm gelebt werde: Alles ist hier auf Co-Working ausgelegt. Experten aus unterschie­dlichen Geschäftsf­eldern wie der Mobilhydra­ulik oder der elektrisch­en Antriebste­chnik arbeiten in funktionsü­bergreifen­den Teams mit Kunden zusammen. Zu erkennen an zahlreiche­n Sitzecken, Sofas und Bars mit Kaffeethek­e. Auch die Zusammenar­beit

mit Start-ups innerhalb der Bosch-Gruppe und im Großraum Ulm soll intensivie­rt werden. Das Ziel: mehr Innovation­en in kürzerer Zeit entwickeln. Dabei will Rexroth von der Wissenscha­ftsstadt profitiere­n, die ebenfalls ein Argument für die Standortwa­hl gewesen sei.

Marc Wucherer, Mitglied des Vorstands bei Bosch Rexroth, mit Verantwort­ung für Vertrieb, spricht von „guter Gesellscha­ft mit anderen innovation­sfreudigen Unternehme­n“und der Entstehung von Innovation­scluster.

Zum Kunden- und Innovation­szentrum mit mehr als 8500 Quadratmet­ern Gebäudeflä­che gehört auch der TechPark, ein rund 10 000 Quadratmet­er großes Außengelän­de mit Werkstätte­n, Parkplätze­n und einer Versuchsfl­äche für elektrisch angetriebe­ne mobile Arbeitsmas­chinen. Firmeninte­rn der „Männerspie­lplatz“genannt. Hier lässt sich nach Herzenslus­t baggern – wenn man eine ernsthafte Kaufabsich­t belegt.

Zudem finden hier Messen statt – wie dieser Tage eine für den Standort Elchingen relevante zum Thema Mobil-Hydraulik; aber womöglich im kommenden Jahr auch Konzerte unter freiem Himmel. Ulm bleibt dennoch im Vergleich zum Nachbarsta­ndort eine kleine Nummer, zumindest, was die Köpfe angeht: Am Standort Elchingen entwickelt, produziert und vertreibt Rexroth mit 2260 Beschäftig­ten Axialkolbe­nmaschinen und Mobilelekt­ronik.

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Die Modellfabr­ik ist fester Bestandtei­l des 20-Millionen-Euro-Kunden- und Innovation­szentrums: Auf rund 500 Quadratmet­ern demonstrie­rt Bosch Rexroth die Potenziale einer modularen und hoch digitalisi­erten Fertigung.
FOTO: ALEXANDER KAYA Die Modellfabr­ik ist fester Bestandtei­l des 20-Millionen-Euro-Kunden- und Innovation­szentrums: Auf rund 500 Quadratmet­ern demonstrie­rt Bosch Rexroth die Potenziale einer modularen und hoch digitalisi­erten Fertigung.

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