Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ein Problem mit der Haltung
RAVENSBURG - Irgendwann wird es einer Yogalehrerin aus Baden-Württemberg zu viel. Dass Einzelne aus ihrem Umfeld verrückte Geschichten erzählen und zum Beispiel von „Echsenmenschen“sprechen, kennt sie schon. Seit Beginn der CoronaKrise nehmen die abstrusen Äußerungen aber explosionsartig zu, erzählt die Yogalehrerin Lisa Eggers. Ihr Name wurde für diesen Bericht geändert. Sie ist vorsichtig und will anonym bleiben. Für einen Shitstorm habe sie keine Zeit und keine Energie, sagt Eggers.
„Viele verharmlosen Corona oder behaupten, die Krankheit gibt es nicht“, sagt die Anfang 40-Jährige. Immer öfter bekommt sie Äußerungen über Verschwörungserzählungen von ihren Kollegen und Freunden aus der Yoga-Szene mit. Bald posten einige Beiträge über Impfmythen in FacebookGruppen. „Das ging teilweise in einen staatsgefährdenden Extremismus über“, sagt Eggers.
Yoga ist seit vielen Jahren im Trend. 3,4 Millionen Deutsche praktizieren Yoga – Tendenz steigend. Die Philosophie passt in die
Zeit: Stress, Schnelllebigkeit, Ansprüche im Beruf und privat
– dazwischen suchen Menschen nach Alternativen, um sich wohler zu fühlen. Studien, wie eine der Berliner Charité, belegen, dass Yoga Wirkungen hat und zum Beispiel bei Depressionen und Angststörungen hilft. Mittlerweile übernehmen auch Krankenkassen Kosten für Yogakurse.
Aber die Yoga-Szene ist heterogen und die Tradition von unterschiedlichsten Einflüssen geprägt. Ein Teil der Yogis verfolgt einen spirituellen Ansatz, steht der Esoterik nahe und vertraut der alternativen Medizin mehr als der universitären. Eine Gesundheitskrise, wie sie die Corona-Pandemie ist, kann da zu fragwürdigen Auslegungen führen – und rückt damit einen Teil der Gesellschaft in ein Zwielicht.
Gerade in der Krise gab es einen Boom in der Yoga-Szene. „Im Lockdown waren die Möglichkeiten, durch Bewegung etwas für die eigene Gesundheit zu tun, begrenzt“, sagt Jessica Fink vom Berufsverband der Yogalehrenden in
Deutschland (BDY). Viele starteten mit Yoga, auch weil man nicht viel dafür braucht und man es einfach von zu Hause aus praktizieren kann.
Wegen der Schutzmaßnahmen, die während der Pandemie ergriffen wurden, mussten die Yogastudios, wie auch alle anderen Sporträume, schließen. Einige boten Onlinekurse an, was aber weniger Umsatz bedeutete. „Yogalehrende fühlten sich benachteiligt, weil sie erst im vierten Öffnungsschritt berücksichtigt wurden“, sagt Fink vom BDY. Auch als die Studios wieder öffnen durften, war die Zahl der zugelassenen Teilnehmenden begrenzt. „Viele Studios sind im Gegensatz zu Fitnessstudios, für die die gleichen Abstandsregeln gelten, so klein, dass es sich oft nicht rentiert“, sagt Fink. Soloselbstständige ohne große Rücklagen habe das in Existenznotlage gebracht. „Viele Yogalehrende haben mit Corona ihren Job verloren.“
Im Frühjahr 2020 bildet sich die Bewegung „Querdenken 711“in Stuttgart. Bald hat sie Ableger im ganzen Land. Tausende Menschen gehen auf die Straße, um gegen die Corona-Beschränkungen zu demonstrieren. Bei der Gruppe, die mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtet wird, versammeln sich Menschen aus den verschiedensten sozialen Gruppen, manche demonstrieren gegen Corona-Maßnahmen, bei anderen gibt es Überschneidungen mit dem Milieu von Verschwörungsideologen. Unter ihnen sind auch Menschen aus der Yoga-Szene und Esoteriker, die Mantras singen.
„Die Esoterik geht von einem besonderen und höheren Erkenntnisanspruch aus“, sagt der Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen bei der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern, Matthias Pöhlmann. Man glaube, dass es sich um ein Wissen handele, das nur „Sensitiven und Erleuchteten“zugänglich sei. „Damit grenzt man sich gegenüber der Rationalität der Wissenschaften ab“, sagt Pöhlmann. Er nennt auch den umstrittenen Yogalehrer Heinz Grill. Er kommt ursprünglich aus Südbayern und lebt mittlerweile in Südtirol. Grill ist Esoteriker, hat mehrere Bücher geschrieben und glaubt, ein höheres Wissen zu haben. Heinz Grill postet auf seiner FacebookSeite
Eine Yogalehrerin aus Baden-Württemberg, die anonym bleiben will
in regelmäßigen Abständen Inhalte zu Impfmythen und verharmlost Corona. So unterstützt er zum Beispiel die Thesen des umstrittenen Infektionsepidemiologen Sucharit Bhakdi. Seine Behauptungen zu heftigen Immunreaktionen nach der Corona-Impfung sind widerlegt.
Matthias Pöhlmann beobachtet die Esoterik-Szene seit vielen Jahren. Im Oktober veröffentlicht er sein Buch „Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen“. War die Esoterik sonst eher unpolitisch, stellt Pöhlmann seit einigen Jahren eine Politisierung fest. „In Büchern werden Verschwörungserzählungen verbreitet, teilweise auch antisemitisches Gedankengut“, sagt Pöhlmann. „Während Corona ist die Vernetzung noch offensichtlicher geworden, als sie es vorher schon war.“
Das ist im August 2020 besonders deutlich zu beobachten, als nach einer aufgelösten Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen rund 400 Demonstranten, von denen mehrere Reichsflaggen bei sich tragen, die Absperrungen am Berliner Reichstagsgebäude überwinden und die Treppe besetzen. Auch Menschen aus der Esoteriker-Szene sind unter ihnen. Organisiert hat die Aktion, wie Medien berichten, die szenebekannte Heilpraktikerin Tamara Kirschbaum, die laut Matthias Pöhlmann auch dem Yogalehrer Heinz Grill nahesteht.
Esoterik und Rechtsextremismus – das mag auf den ersten Blick überraschend klingen. Für Pöhlmann ist es das nicht. „Das ist hier eine Querfrontstrategie“, sagt der Weltanschauungsexperte. Es würden sich Menschen verbünden, die sich mit halbwissenschaftlichen Dingen beschäftigen und sehr kritisch gegenüber den Medien, der Wissenschaft und der Politik eingestellt sind. „Es geht um das Grundproblem, dass viele Menschen eine innerliche Ablehnung haben, weil sie enttäuscht sind und den Sturz des Systems herbeisehnen.“Auch die Impfablehnung spiele dabei eine immer größere Rolle.
Was bedeutet das aber für die Yoga-Szene? Sind Yogis anfälliger für Verschwörungsmythen? Klar ist: Verschwörungserzählungen verbreiten sich verstärkt seit Beginn der Corona-Krise und zwar in allen gesellschaftlichen Gruppen. Auf unterschiedlichsten Kanälen werden Mythen geteilt und verbreitet.
Es gibt Naturwissenschaftler und Mediziner, die mit unbelegten Behauptungen auf sich aufmerksam machen. Corona zu verharmlosen ist also kein reines Yoga-Problem. Und noch viel wichtiger: Längst nicht alles Yogis sind esoterisch veranlagt oder denken so. Denn die Szene ist groß und von unterschiedlichsten Einflüssen geprägt. Jessica Fink, die Sprecherin beim BDY, geht von einer kleinen Minderheit aus, die Mythen verbreitet. Einen Grund sieht sie auch darin, dass Yogalehrende von der Pandemie besonders gebeutelt sind.
Um sich zu positionieren, gründet Yogalehrerin Lisa Eggers im August vergangenen Jahres gemeinsam mit anderen Lehrenden die Organisation „Shantifa“– ein Wortspiel aus dem Sanskrit-Begriff Shanti (deutsch: Frieden) und „antifaschistischer Aktion“. Die
Mitglieder dahinter bleiben anonym. Sie nennen sich die „Yogi:nis gegen Rechts“. „Am Anfang ging es vor allem darum, sich auszutauschen“, erzählt Eggers. Gemeinsam mit den anderen macht sie Videocalls, sie sind sich eine emotionale Stütze. Lisa Eggers merkt, dass sie nicht die Einzige ist, die sich im Umfeld von Menschen, die Verschwörungsmythen erzählen, unwohl fühlt. „Es gab auch andere, die sich vernünftig geäußert haben, aber die Verschwörungsgläubigen waren sehr laut“, sagt Eggers. Eine laute Minderheit also, die für die Mehrheit zum Problem wurde. Denn vor allem in modernen YogaStudios hat man allenfalls mal von den Verschwörungserzählungen gehört, aber selbst nichts damit zu tun.
Über ihre Facebook-Gruppe beginnt die „Shantifa“mit politischer Aufklärung und Bildung. Das Kernteam, bestehend aus 15 Menschen, recherchiert und postet zu Impffakten oder teilt Tipps, wie man falsche Quellen aufdeckt.
Im September 2020 distanziert sich auch der BDY, der 5000 Yogalehrende in Deutschland vertritt, öffentlich „von jeglicher Verharmlosung des Coronavirus sowie von Verschwörungsideen und Diffamierungen“. So schreibt es der Vorstand des Verbands in einem Statement. Und weiter: „Die Existenz des Virus kann nicht geleugnet werden.“Die Reaktionen aus der YogaSzene darauf waren gemischt, sagt BDY-Sprecherin Fink. „Die einen sagten, unser Statement sei falsch und Yogalehrer müssten kritischer sein.“Andere hätten sie unterstützt.
Zur gleichen Zeit startet die größte deutschsprachige Plattform für Online-Yoga-Kurse, YogaEasy, die Initiative „Yoga für Demokratie“gemeinsam mit bekannten Lehrerinnen und Lehrern. Angestoßen hatte den Aufruf die Geschäftsführerin der Plattform. „Wir sehen mit Besorgnis, dass unter Yogis Verschwörungsglauben kursiert“, heißt es auf der Homepage.
Die Mitglieder der „Shantifa“haben sich viele Gedanken dazu gemacht, warum gerade ihre Freundinnen und Freunde aus der YogaSzene an Verschwörungsideologien glauben. Lisa Eggers überlegt etwas, bevor sie antwortet. „Yoga führt dazu, dass man sich gut fühlt und darüber könnte eine Arroganz entstehen“, sagt die langjährige Yogalehrerin. „Nach dem Motto: Ich habe meine Gesundheit selbst gemacht und wenn ich nicht gesund bin, bin ich selbst schuld.“Das führe sogar so weit, dass man sich nicht mehr traue zu sagen, man sei krank. Eine andere Ursache sieht Lisa Eggers darin, dass sich viele aus der Szene wenig mit Politik beschäftigt haben. „Es gibt Yogaleute, unter denen ist es angesagt, wenn man sich nicht über Politik informiert“, sagt Eggers.
Mittlerweile habe sich die YogaSzene sortiert. Ob es eine Spaltung gab? Von diesem Wort will die „Shantifa“explizit Abstand nehmen. „Es gibt Menschen, die werfen uns vor, wir würden die Yoga-Szene spalten. Aber genau das tun wir nicht, wir grenzen ab und klären auf.“Für die Gruppe der „Shantifa“gehe es darum, „die Überheblichkeit zu beseitigen, weil Yoga eigentlich genau das Gegenteil ist von dem Egoismus, der bei vielen durch das Corona-Leugnen aufkommt“.
„Das ging teilweise in einen staatsgefährdenden Extremismus über.“