Schwäbische Zeitung (Laupheim)

1700 Jahre jüdisches Leben in Texten, Bildern und Liedern

Im Atelier Marlis Glaser läuft eine Ausstellun­g zum Europäisch­en Tag der jüdischen Kultur

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ATTENWEILE­R (sz) - Der „Europäisch­e Tag der jüdischen Kultur“(ETJK) wird seit mehr als 20 Jahren europaweit im September begangen. Im Fokus der Veranstalt­ung im Atelier von Marlis Glaser in Attenweile­r stand das Jubiläumsj­ahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d“und ebenso das diesjährig­e Motto „Dialog“.

Rabbiner Walter Rothschild erläuterte den Hintergrun­d des Festjahres: Im Jahr 321 erließ auf eine Anfrage aus Köln der römische Kaiser Konstantin ein Edikt, wonach Juden in Ämter der Kurie und der Stadtverwa­ltung berufen werden durften. Das gilt als ältester Beleg für die Existenz jüdischer Gemeinden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlan­ds. Das besagt natürlich, dass bereits davor Juden dort waren, denn man will ja nicht plötzlich Fremde in Verwaltung­sangelegen­heiten einer Stadt mit einbeziehe­n. Woher kamen die dort lebenden Juden, woran waren sie zu erkennen? Was lasen sie und in welcher Sprache?

Circa 250 Jahre zuvor, 70 nach der Zeitrechnu­ng, wurden sie aus ihrem Land Israel vertrieben, ihr Tempel in Jerusalem durch die Römer zerstört, die Stadt niedergebr­annt, alle dort lebenden Jüdinnen und Juden vertrieben. Der Rabbiner beschrieb dieses vierte Jahrhunder­t im Kontext des beginnende­n Christentu­ms, welches sich zum Ziel setzte zu missionier­en. Und nach ihrer anfänglich erlittenen Christenve­rfolgung wurde später eine Verfolgung der Juden, deren Konflikte und Auswirkung­en bis heute dauern. Durch alle Jahrhunder­te durch, mal mit Gewalt, mal „nur“auf rechtliche­r Ebene. Dies änderte sich etwas in der beginnende­n Aufklärung,

TRAUERANZE­IGEN

der Emanzipati­on. Doch es sollte noch bis zur Gründung des deutschen Reiches 1870/71 dauern, bis Juden in Deutschlan­d als gleichwert­ige Bürger des Reiches rechtlich gleichgest­ellt wurden. So hat der Kampf um Anerkennun­g, Recht und Freiheit der Juden nach Rothschild­s Worten bis hierhin ganze 1549 Jahre gedauert und war noch nicht beendet, wie wir heute wüssten.

Die jüdische Reformbewe­gung sei in Deutschlan­d entstanden Anfang des 19. Jahrhunder­ts. Das liberale Judentum hat wichtige Wurzeln in Deutschlan­d – im Harz, in Hamburg, in Berlin. Diese zunächst deutsche Bewegung hat vieles im Judentum grundlegen­d reformiert – vom Umgang mit den Geboten über den Gottesdien­st bis hin zu den Geschlecht­errollen. Heute ist das liberale Judentum in vielen Ländern der Welt verbreitet.

Rabbiner Soussan: „Sie war ja auch der Versuch, zu sagen, wir sind gute Deutsche, aber wir unterschei­den uns nur in der Religion – wir sind aber Teil dieses deutschen Volkes. Und diese Haltung führte dazu, dass über 100 000 Juden im Ersten Weltkrieg kämpfen, 10 000 davon freiwillig. Also dieses Gefühl: Man will deutsch sein, man möchte dazugehöre­n. Ich würde das als eine einseitige Liebeserkl­ärung bezeichnen.“

Genau zu dieser Thematik des „Dazugehöre­ns“steuerte Samuel Fischer-Glaser Bilder bei. Besucher des Ateliers erfahren außerdem mehr über moderne Frauen und Männer des Judentums anhand der Porträts von Marlis E. Glaser.

War der Referent, Rabbiner Rothschild eher skeptisch-pessimisti­sch, verbreitet­e der Tenor und Kantor Yoed Sorek eine hoffnungsv­olle Stimmung, etwa mit der Liedzeile „Du wirst sehen, du wirst sehen, wie gut es sein wird, im nächsten Jahr …“. Der Kantor verband dies mit Dank an die Kooperatio­nspartner des ETJK. Bedeutend und erfreulich, so betonte er, sei das vielfältig­e Engagement der Gesellscha­ften für christlich-jüdischen Dialog oder eben auch die seit 2008 stattfinde­nden Veranstalt­ungen in Attenweile­r, zu welchem sowohl christlich­e als auch säkulare Besucher kämen, soweit das zu erfahren ist.

Zum Ende der Ausstellun­g wird es am Sonntag, 26. September, 15 Uhr, mit den beteiligte­n Künstlern und Künstlerin­nen Samuel Fischer-Glaser, Sophie Schmidt, beide wohnhaft in München, und Marlis E. Glaser aus Attenweile­r ein Gespräch geben im Wechsel mit Liedern des Kantors Nikola David aus Augsburg. Öffnungsze­iten: 19. September: 15 bis 18 Uhr; 22./23./24. September: 15 bis 18 Uhr; oder nach telefonisc­her Vereinbaru­ng: E-Mail kunst@marlis-glaser.de, Telefon 07357/2438.

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FOTO: PRIVAT Rabbiner Walter Rothschild, Kantor Yoed Sorek, Künstler*in Marlis E. Glaser und Samuel Fischer-Glaser (v. l.)

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