Schwäbische Zeitung (Laupheim)
WM-Sechster nach Abschiedsankündigung
Tony Martin zeigt im Zeitfahren nochmals seine Klasse – Karriereende in zwei Tagen
BRÜGGE (dpa) - Der Radsport-Sonntag von Tony Martin begann mit einer großen Ankündigung – und endete ohne die erhoffte WM-Sensation. Nur wenige Stunden, nachdem er sein Karriereende nach den Titelkämpfen in Flandern erklärt hatte, verpasste der 36-jährige Routinier die Medaille in seinem letzten WM-Einzelzeitfahren. „Ich denke, er ist eine RadsportLegende und ein Vorbild für andere im Zeitfahren“, sagte Teamkollege Max Walscheid nach Martins sechstem Platz nach 43,3 flachen Kilometern von Knokke-Heist nach Brügge. Wegen des machbaren Profils und seiner ansteigenden Form hatte sich der Champion von 2011, 2012, 2013 und 2016 noch mehr erhofft.
Doch die große Bühne zum Start der Jubiläums-WM im radsportverrückten Belgien gehörte anderen. Weltmeister wurde Titelverteidiger
Filippo Ganna aus Italien, ihm folgten die Lokalmatadoren Wout van Aert und Remco Evenepoel, die allesamt zu stark für das deutsche Duo waren.
„Auf der Startrampe überkamen mich die Emotionen, aber dann habe ich mich noch einmal sehr auf dieses Rennen fokussiert und alles in die Waagschale geworfen“, beschrieb Martin seinen vorletzten Wettbewerb als Profi. Das lange Rennen habe ihm alles abverlangt. „Ich habe es genossen, die Atmosphäre, die Zuschauer. Es war ein toller Tag, und ich bin stolz auf das, was ich geleistet habe.“34 Sekunden fehlten letztlich zum erhofften Edelmetall, das ihm nun nur noch am Mittwoch im Zeitfahr-Mixed gelingen kann. „Eine solch weitreichende Entscheidung fällt einem natürlich nicht leicht. Der Radsport hat den Großteil meines bisherigen Lebens geprägt. Mit Höhen und Tiefen, großen Erfolgen und Niederlagen, Stürzen und Comebacks“, sagte Martin.
Der „Panzerwagen“, wie Martin genannt wird, hat ein turbulentes Jahr mit vielen Stürzen hinter sich. Dass er seinen bis Ende 2022 fixierten Vertrag mit Jumbo-Visma nicht erfüllen wird, war Martin schon länger klar. Der Zeitpunkt der Verkündung sei bewusst gewählt gewesen. „Es sollte nicht nach einer Frustentscheidung aussehen, wenn er heute nicht das Ergebnis erzielt, das er sich erhofft“, hieß es vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR). Das Resultat war dann auch ohne Medaille in Ordnung.
Auf der Anreise nach Belgien hatte Martin jüngst geschildert, wie ihm der heftige Sturz von der diesjährigen Tour de France noch immer zu schaffen macht. Weil vorne drei Zähne locker sind, muss er auch Brot oder Äpfel noch immer mit Besteck essen. Dies seien „die letzten Baustellen, die ich dann nach Saisonende angehen werde“, kündigte der Cottbuser an. Nach Saisonende meint jetzt konkret: ab diesem Donnerstag.
Tony Martins Team und der BDR hoben die Verdienste des Routiniers am Sonntag besonders hervor. Der niederländische Rennstall versandte ein Video, Verbandspräsident Rudolf Scharping schrieb: „Tony Martin ist ein herausragendes Vorbild, weit über den Sport hinaus. Er hat sich um den deutschen Radsport mehr als verdient gemacht.“Vier WM-Titel, Etappensiege bei der Tour de France sowie das Gelbe Trikot und zehn deutsche Meistertitel sprechen „für eine beispiellose Karriere“.