Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Matarazzo vermisst das Feuer
VfB-Trainer macht Defizite bei der Mentalität seines Teams aus – Mislintat bekennt sich
STUTTGART - Eine Fußballfloskel, der sich nicht zuletzt die Aktiven selber gerne bedienen lautet: Das nächste Spiel ist immer das wichtigste. Doch während solche Kommentare meist eher als Phrase zu verstehen sind, ist es beim VfB Stuttgart derzeit wirklich so. Kaum ein Spiel dürfte für den Verein als Gesamtheit und auch sportlich jüngst so wichtig gewesen sein wie die Partie gegen den VfL. Bochum am Sonntag (15.30/DAZN) – und das zu so einem frühen Zeitpunkt der Saison.
Nicht umsonst titulierte Trainer Pellegrino Matarazzo nach der 1:3Niederlage gegen Bayer Leverkusen die Partie gegen Aufsteiger Bochum bereits als „Schicksalsspiel“. Abwehrspieler Marc-Oliver Kempf ging sogar noch einen Schritt weiter, sagte: „Es geht darum, im besten Fall drei Punkte zu holen und das ganze in eine andere Richtung zu lenken, aus dem Negativstrudel herauszukommen.“Doch wie ist der vor der Sommerpause so frisch und unbedarft aufspielende VfB überhaupt in diesen reingekommen?
Nach dem furiosen 5:1 gegen die heillos unterlegenen Aufsteiger von Greuther Fürth zum Auftakt, holte die Brustringtruppe in vier Spielen nur noch einen Punkt und kassierte elf Gegentore. Viel zu viel für den avisierten ruhigen Saisonverlauf und erst recht für ein Team, das sein Heil nur allzu gern in den Offensive sucht. Gegen Leverkusen etwa lag der VfB bereits nach 20 Minuten mit 0:2 zurück (spielte danach noch eine Stunde in Überzahl). Auch gegen den SC Freiburg setzte es zwei Spieltage zuvor schnell drei Gegentreffer. Hatte das 1:1 in Frankfurt dazwischen noch etwas Mut gemacht und auch bei Matarazzo wenig für warnende Worte gesorgt, wurde der Trainer nun schon deutlicher. „Wir können mehr, wollen mehr, Wir brauchen eine andere Zielstrebigkeit, eine andere Präzision, ein anderes Mannschaftsgefüge auch in schwierigen Situationen.“Fakt ist, dem VfB fehlt es aktuell an Mentalität und Willen. „Man muss ab der 46. Minute das Gefühl haben, dass wir ein Tor schießen wollen, dass wir brennen. Das war nicht der Fall“, kritisierte selbst Matarazzo deutlich.
Inwiefern die sommerliche Personalpolitik und das Anheuern von ausschließlich Jungspunden, das Abgeben eines Mentalitätsspielers wie Gonzalo Castro (vereinslos) sowie der Abschied von Leistungsträgern wie Torhüter Gregor Kobel (Borussia Dortmund) oder Nicolás González (AC Florenz) dazu beigetragen haben, das Gefüge der ohnehin jungen Mannschaft zu verschieben, bleibt dahingestellt. Den Weg heraus aus der Situation müssen die Akteure um Matarazzo ohnehin nun durch mühevolle Kleinarbeit finden.
Zudem wäre ein sportlicher Ruhepol nach den abseitigen Aufregungen
überaus wichtig. Soll sich der angekündigte Abschied von Vorstandschef und Sportvorstand Thomas Hitzlsperger im Herbst 2022 nicht doch noch zum folgenreichen Wetterextrem über dem Wasen auswachsen. Jemand, dem nicht wenige die Nachfolge Hitzlspergers wünschen würden, hat seine Ambitionen nun hintenan gestellt – zumindest offiziell. Die Rede ist von Sven Mislintat. Dem Sportdirektor „ist völlig unwichtig, ob ich hier am Ende Sportvorstand bin oder Sportdirektor. Das ist sowas von egal“, sagte der 48-Jährige. „Es geht zuvorderst darum, einen Top-Job für diesen Club zu machen. Das wird – in welcher Position auch immer – mein Bestreben sein.“Wie der VfB die Nachfolge des 39Jährigen Hitz’ regelt, sei die „Entscheidung des Aufsichtsrats“, sagte Mislintat. „Gibt es nur einen Vorstandvorsitzenden? Gibt es nur einen Sportvorstand? Gibt es einen Vorstandsvorsitzenden und einen Sportvorstand? Gibt es einen Vorstandsvorsitzenden und Sportvorstand in Personalunion, wie es bisher war? Das gucken wir uns in Ruhe an.“
Mislintat selbst hat also kein Interesse am Vorstandsvorsitz. Dessen Besetzung hält er aber für das größere Thema als die des Sportvorstands. Die zentrale Frage sei: „Können wir die Philosophie und den Weg, den wir beschritten haben, so weitergehen?“An seiner „Einstellung zum und Identifikation mit dem Club“ändere sich durch Hitz’ Rückzug „null“, so Mislintat, dessen Vertrag bis 2023 gilt: „Ich möchte diesen Weg, den wir hier angefangen haben, gerne weitergehen.“Und dies nicht zuletzt wieder gepaart mit sportlichen Erfolgen.