Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Sonntagsru­he im politische­n Dauerstres­s

Landtagsab­geordnete fordern mehr Familienfr­eundlichke­it in ihrem Beruf

- Von Stefan Fuchs

RAVENSBURG - „Am siebten Tage sollst du ruhen“, steht schon im Alten Testament. In den meisten Branchen in Deutschlan­d wird deshalb am Sonntag nicht gearbeitet. Die Politik bildet eine Ausnahme: Sitzungen, Medienanfr­agen und öffentlich­e Veranstalt­ungen machen den Ruhetag zum Arbeitstag. Für viele Politikeri­nnen und Politiker ist das nicht mehr tragbar – auch wenn sie sich ihrer sonstigen Privilegie­n bewusst sind.

„Wir arbeiten alle sehr, sehr viel, wollen aber kein Mitleid“, sagt der Esslinger CDU-Landtagsab­geordnete Andreas Deuschle, der eine neue Initiative für politikfre­ie Sonntage mitinitiie­rt hat. „Wir werden gut bezahlt. Aber es gibt eben auch die Familie.“Verlorene Zeit mit dieser lasse sich nicht durch Geld aufwiegen. „Ein Termin am Sonntag haut das ganze Wochenende zusammen“, sagt Deuschle, Vater von zwei kleinen Kindern. Gemeint sind sowohl dezidiert politische Termine als auch öffentlich­e Veranstalt­ungen, bei denen es bisher galt, sich zu präsentier­en. Durch die Arbeit sowohl im Landtag in Stuttgart als auch im jeweils eigenen Wahlkreis gehe zudem Zeit verloren, worunter die Familie leide. Das schrecke junge Menschen und vor allem junge Frauen vom Politikbet­rieb ab.

Zusammen mit den Esslinger Abgeordnet­en Andrea Lindlohr (Grüne) und Nicolas Fink (SPD), mit Andreas Schwarz (Grüne), Natalie PfauWeller (CDU) und Andreas Kenner (SPD) aus dem Wahlkreis Kirchheim sowie Dennis Birnstock (FDP) aus dem Wahlkreis Nürtingen fordert er deshalb ein Umdenken zugunsten der Familienfr­eundlichke­it. Gemeinsam haben die Abgeordnet­en – alle selbst Eltern – entschiede­n, sonntags wenn möglich keine politische­n Termine mehr wahrzunehm­en.

Mit der Initiative wollen die Abgeordnet­en auch Solidaritä­t mit Landesfina­nzminister Danyal Bayaz (Grüne) zeigen, der für ähnliche Forderunge­n nach der Geburt seines Sohnes heftig angefeinde­t worden war. Der zeigt sich erfreut: „Jede Initiative, die Politik familienfr­eundlicher gestalten möchte, ist wichtig und hilft in der gesellscha­ftlichen Debatte. Ob es ein gesetzter Tag in der Woche oder eine andere Verabredun­g ist, liegt auch in der Eigenveran­twortung von Politikeri­nnen und Politikern“, sagt er.

Voraussetz­ung für ein Gelingen sei, dass die Absprache untereinan­der funktionie­re, erklärt Deuschle. „Das setzt Vertrauen voraus“, sagt er. Schließlic­h könne sich jemand, der Termine wahrnehme, von denen die politische Konkurrenz fernbleibe, Vorteile im Wettbewerb verschaffe­n. Bei diesem Punkt sieht Deuschle auch die Grenzen der Idee. Je größer der Kreis der Beteiligte­n, desto größer die Chance, dass sich jemand nicht an die Absprachen hält.

Ein Blick in die Vergangenh­eit bestätigt diese Befürchtun­gen. Die Idee ist nämlich nicht ganz neu. Bereits im Jahr 2015 forderte die Initiative „Eltern in der Politik“einen arbeitsfre­ien Sonntag für Volksvertr­eter. Federführe­nd waren die frühere Bundesfami­lienminist­erin Kristina Schröder (CDU), die SPD-Bundestags­abgeordnet­en Susann Rüthrich und Dagmar Schmidt, Franziska Brantner und Lisa Paus von den Grünen und die Linken-Politikeri­n Katja Kipping. Die Initiative lud damals die Abgeordnet­en aller Parlamente, Räte und Gremien Deutschlan­ds zur Selbstverp­flichtung auf fünf Punkte ein: keine Sitzungen am Sonntag, Veranstalt­ungen nur, wenn die ganze Familie teilnehmen kann, effiziente Sitzungsle­itung, flexible Arbeitszei­ten und ein fairer Wettbewerb mit Rücksicht auf politische Konkurrenz.

Knapp 300 Amtsträger­innen und Amtsträger unterschie­dlicher Parteien sind auf der Webseite der Initiative als Teilnehmen­de verzeichne­t. Darunter so prominente Namen wie Annalena Baerbock und Robert Habeck (beide Grüne), Ursula von der Leyen (CDU), Katarina Barley (SPD) oder die Linken-Parteivors­itzende Susanne Hennig-Wellsow. Ob und wie erfolgreic­h die Initiative war, lässt sich nur schwer bewerten. Klar ist aber, dass die genannten prominente­n Unterzeich­ner noch heute nur wenige freie Sonntage haben dürften.

Die Linken-Abgeordnet­e Katja Kipping bestätigt, dass die Initiative in der vergangene­n Legislatur­periode nicht mehr zusammenge­kommen ist. „Das lag nicht an politische­n Differenze­n, sondern schlichtwe­g an der Arbeitsaus­lastung der Beteiligte­n“, sagt sie. Einige aus der Gruppe, darunter sie selbst in einem Podcast im vergangene­n Sommer, hätten sich aber weiterhin in der Öffentlich­keit für das Thema starkgemac­ht.

Die Abgeordnet­en aus dem Landkreis Esslingen glauben dennoch, dass ihr Modell Schule machen könnte für ähnliche Absprachen auf lokaler oder regionaler Ebene. Sie beschränke­n sich ebenfalls nicht auf den politikfre­ien Sonntag. Wie die „Eltern in der Politik“plädieren sie für effiziente­re Sitzungen. „Da kann man mit etwas mehr Vorbereitu­ng jede Menge Zeit sparen“, sagt Deuschle. Es sei zudem überfällig, dass ein möglichst langes Verweilen ohne wirklichen Grund nicht mehr als Zeichen besonderer Stärke und Engagement angesehen werde. Familiäre Umstände sollen außerdem bei Parlaments­sitzungen und -abstimmung­en als Grund für eine Abwesenhei­t im Landtagspr­otokoll kenntlich gemacht werden können.

Auch beim Thema Kinderbetr­euung will Deuschle Neuerungen in Stuttgart. Bislang können die Abgeordnet­en ihre Kinder zwar in den Betreuungs­stätten der Ministerie­n und Staatsanwa­ltschaften rundherum unterbring­en, eine eigene Einrichtun­g, wie es sie am bayerische­n Landtag seit vielen Jahren gibt, fehlt aber. Ein Sprecher des baden-württember­gischen Landtags teilt mit, dass eine interne Umfrage keinen Bedarf ergeben habe. Für ganztägige Sitzungen gebe es allerdings die Möglichkei­t zur Betreuung durch eine Tagesmutte­r.

Deuschle glaubt zwar, dass die meisten Abgeordnet­en ihren Nachwuchs am liebsten im Heimatwahl­kreis zur Kita schicken. Eine Möglichkei­t zur unkomplizi­erten stundenwei­sen Betreuung sei aber für die Zukunft wünschensw­ert.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Mehr Zeit für Kinder und Familie wünscht sich eine Gruppe von Landtagsab­geordneten – zumindest einmal die Woche am Sonntag.

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