Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Streit um polnischen Grenzwall zu Belarus

EVP-Chef Manfred Weber fordert EU-Finanzhilf­en – Seehofer sieht Handlungsb­edarf

- Von Claudia Kling

BERLIN - Noch in seinen letzten Amtstagen lässt den geschäftsf­ührenden Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) die Flüchtling­spolitik nicht los. Zum ersten Mal seit mehreren Jahren sind Anfang der Woche mehr als 1000 Zuwanderer täglich nach Deutschlan­d gekommen. Im Hintergrun­d des Migrations­geschehens steht der EU-Streit mit Belarus, dessen Machthaber Alexander Lukaschenk­o verdächtig­t wird, sich mittels Migranten an den Ländern der Europäisch­en Union zu rächen. Seine Strategie scheint aufzugehen, denn nun streiten Politiker EU-weit über die richtige Reaktion auf das Geschehen an der polnischbe­larussisch­en Grenze. Hier die wichtigste­n Hintergrün­de dazu.

Welche Entwicklun­g erwartet die deutsche Bundesregi­erung? Innenminis­ter Horst Seehofer geht davon aus, dass die Zahl der Flüchtling­e wieder stark ansteigen könnte. Wenn die Entwicklun­g anhalte, werde er mit SPD, Grünen und FDP sprechen, „was wir noch tun können, damit die Zahlen nicht explodiere­n“, sagte er bei Bild TV. Nach Angaben der Bundespoli­zei wurden in diesem Jahr, Stand Ende letzter Woche, an der deutsch-polnischen Grenze mehr als 6100 Menschen registrier­t, die unerlaubt nach Deutschlan­d eingereist sind und über Belarus gekommen waren. Da die meisten Pässe dabei hatten, konnte ihr Weg in die EU gut nachvollzo­gen werden. Mit Blick auf mehr als 1000 Zuwanderer täglich Anfang der Woche sagte Seehofer: „Wenn Sie das auf den Monat hochrechne­n, dann wissen Sie, dass da dringender Handlungsb­edarf besteht.“Um die Migranten an der Einreise nach Deutschlan­d zu hindern, wurde bereits der Grenzschut­z an der deutsch-polnischen Grenze verstärkt.

Wie wollen die EU und die EULänder auf die verstärkte Zuwanderun­g reagieren?

Da gibt es recht unterschie­dliche Vorstellun­gen. Polen setzt auf eine massive Grenzverst­ärkung – Stacheldra­ht und Sicherheit­skräfte – und will noch in diesem Jahr mit dem Bau einer 300 Kilometer langen befestigte­n Grenzanlag­e beginnen. Die soll 352 Millionen Euro kosten und mit moderner Technik wie Bewegungsm­eldern ausgestatt­et sein. Umstritten ist, wer diesen Grenzwall finanziere­n wird. Während EUKommissi­onschefin Ursula von der Leyen sich beim Gipfel vergangene Woche gegen neue Grenzmauer­n ausgesproc­hen hat, fordert EVP-Fraktionsc­hef Manfred Weber (CSU), die Polen in diesem Vorhaben finanziell zu unterstütz­en. Der polnische Regierungs­chef Mateusz Morawiecki bekräftigt­e am Donnerstag in Warschau der Nachrichte­nagentur PAP zufolge: Wenn es eine finanziell­e Unterstütz­ung aus Brüssel geben sollte, dann werde sein Land diese Mittel annehmen. „Wir sind jedoch nicht abhängig von der EU“, so Morawiecki.

Warum ist das Verhältnis zwischen Warschau und Brüssel derzeit so angespannt?

Die polnische Regierung wurde erst am Mittwoch vom Europäisch­en Gerichtsho­f zur Zahlung eines Zwangsgeld­es von einer Million Euro am Tag verurteilt, weil sich Polen weigert, Beschlüsse des höchsten europäisch­en Gerichts umzusetzen. Zudem kündigte von der Leyen an, CoronaHilf­en für das Land so lange zu blockieren, bis umstritten­e Justizrefo­rmen rückgängig gemacht sind. Mit Blick auf die Situation an der Grenze zu Belarus forderte die EU-Innenkommi­ssarin

EU-Flüchtling­spolitik im Praxis-Test

Ylva Johansson Polen in der Zeitung „Die Welt“auf, die Grenzgebie­te für die EU-Grenzschut­zagentur Frontex zu öffnen. Wegen des Ausnahmezu­stands, der dort gilt, dürfen auch Medien und Hilfsorgan­isationen nicht vor Ort sein. Es gebe keine Transparen­z darüber, was an der Grenze vor sich gehe, so Johansson.

Wie reagieren Politiker hierzuland­e auf die Vorgänge an der polnisch-belarussis­chen Grenze? Über Parteigren­zen hinweg sind sich Politiker einig, dass Lukaschenk­o die Migranten gezielt einsetzt, um seine außenpolit­ischen Ziele zu erreichen. Er locke die Menschen „mit falschen Versprechu­ngen gezielt in sein Land und degradiert sie zum Werkzeug seiner Politik“, beurteilt der stellvertr­etende Unionsfrak­tionsvorsi­tzende Thorsten Frei (CDU) die Lage. Er spricht sich zudem dafür aus, auch EU-Mittel für den Bau einer Grenzanlag­e in Polen einzusetze­n. „Wenn die EU so zentrale europäisch­e Errungensc­haften wie den Wegfall der Binnengren­zen auf Dauer bewahren will, tut sie gut daran, Polen beim Schutz der Außengrenz­en zu unterstütz­en“, sagte Frei der „Schwäbisch­en Zeitung“. Eine befestigte Grenze, sei „sicherlich kein Mittel der Wahl, sondern des äußersten Notfalls“.

Gibt es weitere Vorschläge?

Der Grünen-Vorsitzend­e Robert Habeck sprach sich vor Kurzem in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“dafür aus, Polen zu unterstütz­en, indem die Flüchtling­e aus Belarus auf Europa verteilt werden. Diesen Vorschlag nannte Seehofer „putzig“, da er dazu führen würde, dass Lukaschenk­o noch mehr Flüchtling­e über die Grenze schaffen werde, „um die Stabilität in Europa zu gefährden“. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtling­e und Integratio­n des Landes NordrheinW­estfalen, schlug vor, Kooperatio­nen mit Drittlände­rn wie etwa Moldawien, Ukraine oder Georgien zu prüfen. Diese Länder könnten vorübergeh­end bei der Versorgung der Migranten mithelfen und im Gegenzug noch enger an die EU herangefüh­rt werden, so Stamp. „Wenn die Migrantinn­en und Migranten merken, dass sie gar nicht in die EU kommen, wird das widerliche Spiel des belarussis­chen Diktators bald beendet sein“, sagte der FDP-Politiker der „Schwäbisch­en Zeitung“.

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