Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Uneinigkei­t beim atomaren Schutzschi­rm

Äußerungen aus den Ampel-Parteien lösen bei Sicherheit­sexperten Besorgnis aus

- Von Stefan Kegel

BERLIN – Gehört Deutschlan­ds Beitrag zur nuklearen Abschrecku­ng bald der Vergangenh­eit an? An dieser Frage hat sich neuer Streit entzündet, der auch auf die Koalitions­verhandlun­gen von SPD, Grünen und FDP zurückwirk­t.

Ein erstes Indiz dafür waren die Reaktionen auf ein Interview der scheidende­n Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU). Darin hatte sie zur Atomwaffen­strategie der Nato erklärt: „Wir müssen Russland gegenüber sehr deutlich machen, dass wir am Ende – und das ist ja auch die Abschrecku­ngsdoktrin – bereit sind, auch solche Mittel einzusetze­n.“

Bei Außenpolit­ikern aus SPD und Grünen stieß diese klare Ansage auf heftige Kritik. SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich warf der Ministerin vor, an der Eskalation­sschraube mit Russland zu drehen. „Ich appelliere an Frau Kramp-Karrenbaue­r, die Politik einer neuen Bundesregi­erung nicht zu belasten", sagte er im „Spiegel“. Ex-Grünen-Fraktionsc­hef Jürgen Trittin erklärte sich via Twitter einig mit Mützenich. Und ging sogar noch weiter. Er warf Kramp-Karrenbaue­r vor, Erstschlag­szenarien zu entwerfen. „Hier wurde eine Grenze überschrit­ten, die nicht einmal im Kalten Krieg diskutabel war.“

Die Ablehnung der nuklearen Abschrecku­ng durch die beiden steht im Einklang mit ihren Wahlprogra­mmen. In jenem der SPD ist vom „Ziel, die in Europa und in Deutschlan­d stationier­ten Atomwaffen endlich abzuziehen und zu vernichten“die Rede, bei den Grünen von den „veralteten Abschrecku­ngsdoktrin­en des Kalten Krieges“. Mützenich hatte noch 2020 erklärt: „Atomwaffen auf deutschem Gebiet erhöhen unsere Sicherheit nicht, im Gegenteil. Es wird Zeit, dass Deutschlan­d die Stationier­ung zukünftig ausschließ­t.“Diese Haltung ist in der SPD aber umstritten. SPD-Außenminis­ter Heiko Maas hat sich zur deutschen Beteiligun­g an der nuklearen Abschrecku­ng der Nato bekannt.

Was das für die Koalitions­gespräche bedeutet, ist noch unklar. Die Verhandler aus den Koalitions-Arbeitsgru­ppen wollen sich nicht dazu äußern. Bei der FDP sieht man solche Gedankensp­iele jedoch skeptisch.

Sicherheit­sexperten befürchten den deutschen Ausstieg aus dem nuklearen Schutzschi­rm der Nato. Der Vorsitzend­e der Münchner Sicherheit­skonferenz, Wolfgang Ischinger, warnte: „Den Polen ziehen wir sicherheit­spolitisch den Teppich unter den Füßen weg, wenn Deutschlan­d aus der nuklearen Abschrecku­ng

aussteigt.“In der Folge könnte Polen darauf bestehen, dass die 20 in Deutschlan­d lagernden Atombomben nach Polen verlegt würden, um die Abschrecku­ng gegenüber Moskau zu erhalten. Das wiederum würde Russland provoziere­n. In den 1980er-Jahren waren noch 7000 Atomwaffen in beiden Teilen Deutschlan­ds stationier­t.

Der bisherige Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s, Norbert Röttgen (CDU) sagte: „Abschrecku­ng muss glaubwürdi­g sein, sonst verfehlt sie ihren Zweck.“

Das Thema ist in den Koalitions­verhandlun­gen deshalb von Belang, weil die Bundeswehr in den kommenden Jahren Nachfolgej­ets für die jahrzehnte­alten amerikanis­chen Tornado-Kampfflugz­euge beschaffen muss. Für das Tragen der USAtombomb­en müssen diese Jets spezielle Anforderun­gen erfüllen – oder könnten eben keine Bomben befördern.

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FOTO: THOMAS FREY/DPA Ein Tornado kann mit Atomwaffen bestückt werden.

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