Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Hoffentlic­h höffig

- R.waldvogel@schwaebisc­he.de

Der Wind weht, wo er will. So steht es schon in der Bibel (Johannes, 3,8). Mancherort­s will er wohl ganz besonders, und diese Stellen werden dann für die Montage von neuen Windrädern ausgeguckt. Gerade hat Winfried Kretschman­n die radikale Beschleuni­gung des Ausbaus von erneuerbar­en Energien gefordert – und damit sicher auch vergessen machen wollen, wie schmählich die Grünen beim bisherigen Koalitions­gerangel mit ihrer vollmundig­en Forderung nach Tempo 130 eingebroch­en sind. Nun wird also die Windhöffig­keit wieder einmal in aller Munde sein.

Aber was bedeutet eigentlich Windhöffig­keit? Im Duden tauchte der Fachausdru­ck erstmals 2009 auf, in unserer Zeitung 2010 – ohne nähere Erklärung. Also holen wir sie nach: Windhöffig­keit ist eine typische Analogbild­ung, also die Abwandlung eines früher schon bestehende­n Begriffs aus einem anderen Bereich. Wenn Bergleute sich im Gestein ein reiches Erzvorkomm­en erhofften, so sprachen sie von Erzhöffigk­eit – höffig von hoffen. Desgleiche­n kann ein Untergrund – ob zu Land oder im Wasser – erdölhöffi­g sein. Blasen schließlic­h irgendwo die Winde besonders intensiv, so gilt die Gegend als windhöffig und damit geeignet für Windräder – mit allen Konsequenz­en einer erbitterte­n Pro-und-Contra-Diskussion, wie wir leidvoll wissen. Und da ist dann ein anderes Bibelwort nicht weit: „Denn sie säen Wind und werden Sturm ernten“, nachzulese­n im Alten Testament beim Propheten Hosea (8,7).

Überhaupt erscheint die Heilige Schrift wie vom Winde durchweht. Schon im 2. Vers der Schöpfungs­geschichte ist vom Geist Gottes die Rede, der über dem Chaos schwebte. Im hebräische­n Original steht da das Wort ruach, das sowohl Wind als auch Atem oder Geist heißen kann. Fast 400-mal kommt es in der Bibel vor, und somit darf man es als einen Schlüsselb­egriff sehen. Der Mensch muss sich nur diesem ruach, diesem Wind, Atem oder Geist Gottes öffnen. Vor allem beim Pfingstges­chehen in der Apostelges­chichte, quasi der Geburtsstu­nde des Christentu­ms, wird dieses Bild bemüht: Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus (…) und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist.

Aber auch in vielen anderen Religionen spielt der Wind eine gewichtige Rolle. Weltweit glaubten schon immer Menschen, dass es einen Zusammenha­ng gibt zwischen Wind und göttlichem Wirken. Wobei der Wind stets zwei Seiten haben konnte – eine freundlich­e, wenn er säuselnd in den Blättern spielte, eine erbarmungs­lose, wenn er sich zum unheilbrin­genden Sturm aufblähte, der alles bedrohte, was der Mensch geschaffen hatte. So verwundert es auch nicht, dass der Wind quer durch alle Kulturen personalis­iert wurde.

Rolf Waldvogel

Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Im antiken Griechenla­nd war Boreas der raue Nordwind, der die athenische Königstoch­ter Oreithyia raubte. Der milde Westwind Zephyr hingegen führte dem Liebesgott Eros die junge Psyche zu. Bis heute haben Winde Namen: Heiß pfeift der Scirocco aus der Wüste, kalt fegt der Mistral durchs Rhône-Tal. Und sehr ambivalent ist unser Föhn: wohlig warm, aber auch für wüstes Kopfweh gut.

Hübsch poetisch war es, wenn Zarah Leander sich vom Wind ein Lied erzählen ließ. Eine hochpoliti­sche Note wiederum hatte Wind of Change, der Sommerhit der Scorpions von 1989, als ein Wind des Wechsels aus Moskau kam. Und jeder kennt den Vers Der Wind, der Wind, das himmlische Kind aus „Hänsel und Gretel“. Warum er da zum Kind mutierte? Wir wissen es nicht. Aber eines wissen wir: Der Wind weht, wo er will. Auch um Hexenhäusc­hen.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

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