Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Neues Buch zeigt die NS-Geschichte Oberschwabens
Ludwig Zimmermann arbeitet die Zeit des Faschismus auf und blickt in ein dunkles Kapitel
RAVENSBURG - Was Jahrzehnte eher verdrängt als aufgearbeitet wurde – „Das Katholische Oberschwaben im Nationalsozialismus“, so der Titel des Buches des Lokalhistorikers Ludwig Zimmermann aus Mochenwangen, hat bei der Präsentation am Dienstagabend viel Publikum gefunden. Und passenderweise fand diese auch noch im Haus der Katholischen Kirche in Ravensburg statt.
Es ist kein leichtes Buch, mit zwei Kilo und 440 Seiten, und keine leichte Kost, „bei der einem immer wieder der Atem stockt“, wie Peter Eitel, Historiker und früherer Stadtarchivar, in seiner Vorstellung meinte. Den Laudator und den Autor einen nicht nur der Jahrgang (1938), sondern auch das Interesse an der Geschichte des Faschismus in Oberschwaben.
Beide schreiben beziehungsweise schrieben an einer umfassenden
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Ludwig Zimmermann aus Mochenwangen hat ein Buch über das Thema Nationalsozialismus in Oberschwaben veröffentlicht.
Aufarbeitung, jedoch mit unterschiedlicher Vorgehensweise: der Historiker Peter Eitel mit wissenschaftlicher Absicherung und Distanz, Ludwig Zimmermann, wie Eitel es sympathisch formulierte, „mit Leidenschaft, Betonung auf Leiden“.
Dessen Buch sei „mit Herzblut geschrieben“, oft mit Wut und Empörung. „Trüffelschweine“würden sie beide gleichermaßen gelegentlich genannt, weil sie an den Wurzeln suchten, weil das Gesuchte gut verdeckt sei. Da finde sich denn auch viel Neues in Ludwig Zimmermanns Beschreibung des oberschwäbischen Katholizismus „zwischen Begeisterung, Anpassung und Widerstand“, wie es im Untertitel heißt.
In bewundernswert umfänglichen Recherchen fand Zimmermann unbekannte Details über die Verfolgung des kirchlichen Widerstandes, nicht nur am Beispiel von Bischof Sproll, sondern vieler unbekannter Priester, der Besetzung von Klöstern wie Untermarchtal, in denen jede Empörung, jeder christliche Appell mundtot gemacht wurde.
Neu und bereichernd, so Peter Eitel, sind die Einblicke in viele oberschwäbische Dörfer wie Schwendi, Wolpertswende oder Mochenwangen, die zahlreichen Porträts von Nazi-Prominenz im kleinstädtischen Milieu, die „Persilscheine“, wie sie damals genannt wurden und die politische „Wiederverwendung“nach 1945.
Wie aber kommt einer, aufgewachsen im dörflich-katholischen Milieu dazu, über genau dieses Milieu, das ihn bis heute prägt, ein Buch über die düsteren Seiten zu schreiben? Sehr eindrücklich die Offenheit, mit der Ludwig Zimmermann erzählte, wie diese geschlossene Welt Risse bekam, wer ihm Vorbild war, den Mut zu finden, dieses heikle Thema trotz der vielen Hindernisse zu verfolgen.
1981 war der Beginn. Sie hatten in seiner Gemeinde, als das Kriegsrecht in Polen verhängt wurde, über 10 000 Pakete nach Polen geschickt. Dreimal besuchte er Auschwitz und stand vor der Todeswand, an der der polnische Franziskanerpater Maximilian Kolbe ermordet wurde, der sein Leben gegeben hatte anstelle eines polnischen Familienvaters. In Auschwitz stieß er auf den Namen des Gestapochefs Wilhelm Boger aus Friedrichshafen.
Zimmermann begann mit den ersten Recherchen in seiner Heimat. Und da blieb die Frage nicht aus, was seine Eltern in dieser Zeit getan hatten. Die Mutter führte, nach dem frühen Tod des Vaters, die Wirtschaft weiter. Da kamen in der Nacht, als die Synagogen brannten, nachdem sie die Synagoge in Bad Buchau in Brand gesetzt hatten, die SA-Männer aus Ochsenhausen in die Wirtschaft. Die Mutter roch das Feuer an ihren Uniformen und warf sie hinaus.
Einen prägenden Einfluss auf Ludwig Zimmermann hatte 1996 der damalige Bundespräsident Roman Herzog, der eine neue Erinnerungskultur forderte, „die den Opfern ihre Würde wiedergeben würde“. Und schließlich beeindruckten ihn, während der Zeit seiner Lehrerausbildung, Vorträge des Tübinger Politologen Theodor Eschenburg. Dessen Assistent war der jüngst in Ravensburg verstorbene Georg Wehling, einer der führenden Köpfe in einer Bildungsarbeit für demokratische Teilhabe. Auch der hatte großen Einfluss auf Ludwig Zimmermann und darauf, „dass ich immer die Rechten genau beobachtet habe“.
„Das Katholische Oberschwaben im Nationalsozialismus. Zwischen Begeisterung, Anpassung und Widerstand“, Eppe Verlag, 440 Seiten, 30 Euro, ist im Buchhandel erhältlich.
Das Buch