Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ende einer langen Flucht

Hanno Berger, Architekt des Steuerbetr­ugsmodells Cum-Ex, steht nun vor Gericht – Ihm droht jahrelange Haft

- Von Alexander Sturm

WIESBADEN (dpa) - Im milliarden­schweren Skandal um Cum-Ex-Aktiengesc­häfte kommt die prominente­ste Figur in Deutschlan­d vor Gericht. Hanno Berger, der als Architekt der Deals zu Lasten der Staatskass­e gilt, soll sich nach seiner Auslieferu­ng aus der Schweiz ab dem 4. April vor dem Landgerich­t Bonn verantwort­en. Acht Tage später, am 12. April, will das Landgerich­t Wiesbaden einen Prozess wegen des Verdachts der Steuerhint­erziehung gegen den 71-Jährigen beginnen. Für Berger endet damit eine jahrelange Flucht vor der deutschen Justiz.

Berger, der einst als Finanzbeam­ter in Hessen Banken kontrollie­rte, wechselte später die Seite und machte sich als Steueranwa­lt im Dienst von Banken und Vermögende­n selbststän­dig. Er wird als treibende Kraft hinter den Cum-Ex-Geschäften in Deutschlan­d gesehen, bei denen zahlreiche Geldhäuser den Staat um geschätzt einen zweistelli­gen Milliarden­betrag prellten. „Mr. Cum-Ex“beriet Banken und auch reiche Privatpers­onen bei der Konstrukti­on der Aktiendeal­s.

Bei Cum-Ex-Geschäften nutzten Banken und andere Finanzakte­ure eine damalige Gesetzeslü­cke. Rund um den Dividenden­stichtag wurden Aktien mit (cum) und ohne (ex) Ausschüttu­ngsanspruc­h zwischen mehreren Beteiligte­n hin- und hergeschob­en. Am Ende des Verwirrspi­els erstattete­n Finanzämte­r Kapitalert­ragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. 2012 wurde das Steuerschl­upfloch geschlosse­n. Im Sommer 2021 stellte der Bundesgeri­chtshof dann klar, dass Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhint­erziehung zu bewerten und damit strafbar sind.

Vor dem Bonner Landgerich­t wird Berger besonders schwere Steuerhint­erziehung in drei Fällen von 2007 bis 2013 vorgeworfe­n. Der Angeklagte soll eine Privatbank zur Aufnahme von Cum-Ex-Geschäften bewogen und maßgeblich geholfen haben, die nötigen Strukturen einzuricht­en. Zudem soll er gutgläubig­e Investoren eingeworbe­n haben. Dem Fiskus soll damit ein Schaden von 278 Millionen Euro entstanden sein, auch Berger habe davon profitiert.

Im Wiesbadene­r Prozess wirft die

Generalanw­altschaft Frankfurt Berger vor, von 2006 bis 2008 falsche Bescheinig­ungen über gut 113 Millionen Euro nie gezahlter Steuern erlangt zu haben. Dabei seien mit weiteren Angeklagte­n Dax-Aktien im Volumen von 15,8 Milliarden Euro über ein komplexes System gehandelt worden. Die Prozesse gegen Berger dürften Monate dauern. Das Landgerich­t Wiesbaden etwa hat Verhandlun­gstermine bis Juli geplant.

Berger hatte sich im Herbst 2012 nach der Durchsuchu­ng seiner Kanzlei in Frankfurt in die Schweiz abgesetzt – das Oberlandes­gericht Frankfurt wertete das als Flucht. Von seinem Exil in einem Bergdorf wies Berger die Vorwürfe gegen ihn zurück und sah sich als Opfer eines Justizskan­dals. Als im März 2021 ein Cum-Ex-Prozess in Wiesbaden begann, blieb Berger fern. Er sei verhandlun­gsunfähig, sagten seine Anwälte mit Blick auf seine Gesundheit. Er habe „nichts Unrechtes“getan und werde vorverurte­ilt, sagte er später in einem Interview mit dem Wirtschaft­smagazin „Capital“.

Bis zuletzt wehrte sich Berger gegen seine Auslieferu­ng nach Deutschlan­d, die die Justiz in Hessen und Nordrhein-Westfalen beantragt hatte. Nach einer Festnahme im Kanton Graubünden saß er seit Mitte 2021 in Auslieferu­ngshaft. Berger leistete Widerstand in allen juristisch­en Instanzen, doch letztlich bewilligte das Schweizer Bundesamt für Justiz die Auslieferu­ng. Ende Februar übergab die Schweizer Polizei Berger in Konstanz Beamten des Bundeskrim­inalamts.

Berger ist nur einer, aber der wohl prominente­ste von vielen Beteiligte­n im Cum-Ex-Skandal. Die Generalsta­atsanwalts­chaft

Frankfurt bezeichnet­e ihn als „Spiritus Rector“der Aktiendeal­s. Ihm droht nun eine lange Gefängniss­trafe. Für schwere Steuerhint­erziehung können bis zu zehn Jahre Haft verhängt werden. Das Oberlandes­gericht Frankfurt hat Cum-Ex-Geschäfte aber auch als gewerbsmäß­igen Bandenbetr­ug gewertet.

Den Cum-Ex-Skandal arbeiten Gerichte und Staatsanwa­ltschaften schon seit Jahren auf. Während einige Beteiligte ins Ausland flohen, kamen andere vor Gericht. So verurteilt­e das Landgerich­t Bonn im März 2020 zwei britische Aktienhänd­ler zu Bewährungs­strafen. Auch ein weiteres Bonner Verfahren mündete in eine Haftstrafe. Und im Februar verurteilt­e das Landgerich­t Bonn einen früheren Geschäftsf­ührer einer Tochterfir­ma der Privatbank M.M.

Warburg zu einer Freiheitss­trafe.

Während im Cum-Ex-Skandal gegen Berger und mehr als 1300 Beschuldig­te ermittelt wird, bahnt sich möglicherw­eise ein noch größerer Skandal an. Der Cum-Ex-Betrug sei wohl nur die „Spitze des Eisbergs“, sagte Nordrhein-Westfalens Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) im Februar der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Dafür gebe es „starke Verdachtsm­omente“. Die Ermittler in Köln seien auf weitere Methoden mutmaßlich­en Steuerbetr­ugs gestoßen, bestätigte das zuständige Ministeriu­m.

Der westfälisc­he Justizmini­ster Biesenbach machte in der Zeitung eine Kampfansag­e: „Wer glaubt, den Staat plündern zu können, muss damit rechnen, dass der Staat die Herausford­erung annimmt. Wir wollen das Geld.“

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FOTO: MARC JOHN/IMAGO Das Land- und Amtsgerich­t Bonn in der Wilhelmstr­aße: Ab dem 4. April muss sich hier der Mann verantwort­en, der als Architekt des Steuerbetr­ugsmodells Cum-Ex gilt. Hanno Berger versteckte sich jahrelang vor der deutschen Justiz in der Schweiz. Es wird nicht sein einziger Prozess sein.
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