Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Lasst mir die Kuh in Ruh!“
Agrarforscher Wilhelm Windisch über Haferdrinks, pupsende Rinder und die Notwendigkeit der Milchwirtschaft
RAVENSBURG - Sie rülpsen und pupsen Methan und fressen Menschen Getreide weg. Naturschützer halten die Milchviehhaltung für unvereinbar mit einer nachhaltigen und klimaneutralen Landwirtschaft. Weshalb solche Vorwürfe zu kurz greifen und warum auf deutschen Wiesen auch künftig Kühe weiden müssen, erklärt der Agrarwissenschaftler Wilhelm Windisch im Interview mit Julia Brunner und Benjamin Wagener.
Mögen Sie Hafermilch?
Das kann man alles trinken. Ich habe keine Abneigungen gegen vegane Lebensmittel. Ganz im Gegenteil. Brot ist auch ein veganes Lebensmittel.
Ist Hafermilch aus gesundheitlicher Sicht besser als Kuhmilch? Zuerst einmal, es heißt nicht Hafermilch, sondern Haferdrink. Der Haferdrink ist von der Nahrung her etwas völlig anderes und hat ernährungsphysiologisch eine völlig andere Funktion. Zudem ist der Haferdrink ein stark verarbeitetes Endprodukt, das aus Kombination verschiedener Ausgangsprodukte erzeugt wird. Milch ist dagegen ein Ausgangsprodukt, aus dem man durch Weiterverarbeitung viele andere Sachen herstellen kann – zum Beispiel Käse, Quark und Joghurt.
Welche ernährungsphysiologische Funktion übernimmt der Haferdrink, welche die Milch?
Warum macht man Haferdrink? Weil man die Optik und die Sensorik der Milch nachahmen will, die man zum Beispiel für einen Kaffee braucht. Ernährungsphysiologisch nehmen Sie beim Haferdrink hauptsächlich Kohlenhydrate mit ein wenig Pflanzenöl zu sich. Bei tierischer Milch ist es im Wesentlichen der hohe Gehalt an Eiweiß und Mineralstoffen, der den Wert ausmacht. In beiden Fällen ist es ein einseitiges Lebensmittel, von dem man allein nicht leben kann.
Die Kuh, ihre Milch und ihr Fleisch sind sehr schlecht beleumundet. Kritiker werfen Wiederkäuern vor, dass sie mit ihrem Methan die Atmosphäre vergiften und dass sie Getreide fressen, aus dem Brot gebacken werden könnte.
Jetzt haben Sie alle Narrative bedient, die mit den Kühen oder Wiederkäuern verbunden sind. Die genannten Vorwürfe sind – gerade im Hinblick auf die Kuh – völlig überzogen. Zuerst einmal besteht der allergrößte Teil des Futters unserer Kühe aus Gras, Heu und Silage.
Alsoaus Pflanzen, die der Mensch nicht essen kann, oder?
Genau. In Deutschland werden zwei Drittel der gesamten Menge an Rindfleisch und Milch aus Gras, Heu und Silage gemacht. Das ist nach wie vor die Hauptnahrung der Wiederkäuer. Sie können eine Kuh nicht mit Getreide und Kraftfutter allein füttern. Das Tier kippt ihnen um, weil die Kuh als Wiederkäuer einen Vormagen hat, der in diesem Fall zusammenbricht.
Könnte man Kühe auch nur mit Gras und Heu füttern?
Ja natürlich. Zwei Drittel des Futters besteht jetzt schon nur aus Gras, Heu oder Silage. Wenn wir nun auf einen Teil der Milchleistung verzichten, dann brauchen wir überhaupt kein Kraftfutter. Dann könnte das gesamte Futter vom Grünland kommen. Das ist der große Wert eines Wiederkäuers. Die Kuh wird da völlig zu Unrecht in eine Ecke gestellt.
Kraftfutter braucht man nur, wenn man Tiere mit hohen Milchleistungen von mehr als etwa 6000 Litern im Jahr hält. Und selbst dann muss es nicht Getreide sein, weil es so viele Nebenprodukte bei der Verarbeitung von Lebensmitteln gibt. Kleie oder Zuckerrübenschnitzel, die bei der Zuckerherstellung übrig bleiben, sind für einen Wiederkäuer Kraftfutter – und für den Menschen nicht essbar. Wenn man ganz auf Kraftfutter verzichtet, geht die Milchleistung um ein Drittel zurück.
Wenn man eine Wiese hat und würde da Getreide anbauen, wie groß wäre die Menge an veganen Lebensmitteln im Vergleich zu den Milchprodukten, die man mit Kuhwirtschaft erzeugen könnte?
Ja, jetzt haben Sie wieder ein schönes Narrativ bedient. Nämlich den Irrglauben, dass man eine Wiese so einfach zu einem Getreidefeld machen kann. Das geht nicht.
Warum nicht?
30 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Deutschlands sind absolutes Grünland. Wenn man das zum Acker hätte umwandeln können, dann hätte man das schon vor Jahrhunderten gemacht, weil der Acker natürlich mehr Menschen ernährt. Ein Beispiel ist das Allgäu.
Das Allgäu?
Das, was als Getreidefeld nutzbar ist, wird bereits seit Jahrhunderten als Getreidefeld genutzt. Es gibt aber viele Nutzflächen, die kann man nicht als Acker nutzen, zum Beispiel weil es zu viel regnet, weil es nicht eben ist und der nächste Regen den Humus wegschwemmen würde, weil die Vegetationszeit zu kurz ist wie auf den Almen.
Kommt für diese 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche noch was anderes infrage außer Milchviehhaltung?
Da können nur Wiederkäuer gehalten werden, also hauptsächlich Milchkühe, aber auch Mastrinder, vielleicht auch ein paar Pferde. Auf jeden Fall sind es nur Nutztiere. Das ist eine sehr wichtige Botschaft. Das wissen viele Leute oft nicht. Ich kann nur sagen, lasst mir die Kuh in Ruh!
Was würde passieren, wenn man auf absolutem Grünland die Milchviehhaltung einstellt?
Dann würde Buschland oder Wald entstehen. Eine Alm ist in zwei Jahren verbuscht, das geht ganz schnell. Das dauert dann Jahrzehnte, wenn Sie es wieder zu Grasland machen wollen.
Wie schädlich sind die Exkremente der Kühe?
Nicht schädlich, sondern für die Düngung nützlich. Natürlich könnte ich auch Kleegras anpflanzen und das dann einmulchen, aber das wird dann schnell zersetzt und bringt Emissionen von Stickstoff ins Grundwasser. Deshalb gibt es das schöne Sprichwort: „Die Wiese füttert den Acker“. Die Kühe grasen am Grünland, fressen es, die Exkremente werden gesammelt und auf den Acker gebracht. In der Gülle ist sehr viel organische Substanz, die für den Humusaufbau notwendig ist. Viele tolle Getreidestandorte sind in Verbindung mit Wiederkäuern entstanden. Das ist eine einzigartige Symbiose.
Dann braucht auch ein gut funktionierender Biobauernhof Kühe?
Ja natürlich. Biolandwirtschaft, wenn sie ohne mineralischen Stickstoff düngen, funktioniert ohne Wiederkäuer nicht. Das wird Ihnen jeder Biobauer sagen.
Die Exkremente sind die eine Seite, das Methan, das Kühe in die Atmosphäre pupsen, die andere Seite. Warum geben Kühe überhaupt Methan ab?
Die Methanbildung ist mit der Vormagenfunktion, der Pansenfunktion eines Wiederkäuers, untrennbar verbunden. Die Bakterien, die das machen, müssen am Ende der Fermentationskette stehen. Sie stabilisieren die mikrobielle Fermentation. Damit sich kein Alkohol bildet, muss immer eine kleine Menge an Methan abgegeben werden. Damit ist Rindfleisch und Milch immer mit einer Methanbürde behaftet. Die Frage ist: Wie groß ist diese Menge und wie bedeutsam ist sie?
Wie bedeutsam?
Methan ist ein sehr wirksames Treibhausgas, 85-mal so stark wie CO2, dafür aber kurzlebig und hat eine Halbwertszeit von acht Jahren. CO2 kann dagegen nur durch Vegetation oder Ozeane entnommen werden. Wenn wir die Kuhhaltung mit Güllelagerung in Treibhausgase umrechnen, macht das in Deutschland 3,2 Prozent aus. Wenn wir alle Wiederkäuer schlachten, haben wir 3,2 Prozent weniger Treibhausgase. Das ist in kürzester Zeit von der Verbrennung von fossiler Energie wieder aufgefüllt.
Für Sie ist die Methanproblematik also vernachlässigbar?
Aufgrund der Geschwindigkeit des Abbaus wirken Maßnahmen gegen Methan sofort auf das Klima. Bei einem längeren Betrachtungshorizont spielt das allerdings keine Rolle. Da geht es um CO2. Wir müssen meiner Meinung nach beides machen, sowohl die Methan-Bürde von Milch und Rindfleisch minimieren, als auch so viele CO2-Senken wie möglich bilden und dass wir den CO2Verbrauch, zum Beispiel durch Schlepper, die wir beim Ackerbau für Getreide brauchen, vermeiden.
Wie soll das funktionieren?
Wir müssen mehr Grünland machen. Dafür brauche ich Wiederkäuer. Dabei müssen wir schauen, dass die Kühe möglichst wenig Methan emittieren. Das schaffen wir, wenn wir unproduktiven Futterverzehr vermeiden. Eine Kuhherde besteht nicht nur aus Milchkühen, die gerade Milch geben. Da haben Sie trockenstehende Kühe dabei und Jungtiere, die fressen und Methan abgeben. Ich muss schauen, dass ich viel Milch bekomme und wenig Futterverzehr habe, bei dem keine Milch erzeugt wird.
Wir können die aber doch nicht hungern lassen.
Nein, es geht um Tiergesundheit und ordentliche Stallhaltung. Die Tiere sollen nicht nur drei Kälber bekommen, sondern vier oder fünf wie früher. Die Kühe sollen gesund sein, sie sollen lang leben und lange Zeit Milch geben – eine hohe Milchleistung ist dabei sogar kontraproduktiv, sie muss runtergehen. Dann geht die Methanbelastung pro erzeugtem Liter Milch zurück. So könnten wir locker mindestens 30 Prozent Methan einsparen und Tierwohl, Umwelt und Nachhaltigkeit zusammenbringen.
Wenn die Kühe länger leben und Milch geben sollen, müssen sie doch trotzdem jedes Jahr ein Kalb bekommen.
Wenn Sie Milch machen, haben Sie immer Fleisch. Wir dürfen die Milch nicht gegen das Fleisch ausspielen. Dass das Rindfleisch so schlecht beleumundet ist, liegt daran, wie es in anderen Ländern erzeugt wird. In Spanien oder Portugal werden Felder bewässert und gedüngt, damit dort überhaupt Gras wächst. Das wird dann an die Kühe mit hohem Kraftfuttereinsatz verfüttert. Haben Sie schon mal jemanden im Allgäu gesehen, der das Grünland bewässert?
Aber setzen wir zurzeit nicht einen viel zu großen Schwerpunkt auf die Fleischproduktion?
Die heutige Tierproduktion ist viel zu intensiv. Das, was auf der Hälfe unserer Ackerflächen wächst, wird an Nutztiere verfüttert. Das ist viel zu viel. Wenn ich viele Lebensmittel verfüttere, baue ich Sachen an, die ich eigentlich gar nicht anbauen müsste. Stattdessen könnte ich Getreide anbauen und pflanzliche Lebensmittel daraus herstellen.
Wie würde die Landwirtschaft in diesem Fall aussehen?
Ich hätte insgesamt weniger Tiere, eine geringere Umweltwirkung, weniger Emissionen und das Angebot an Lebensmitteln tierischer Herkunft wäre deutlich reduziert. Wir würden weniger Fleisch essen. Was allerdings den Leuten klar sein muss: Es ist nicht so, dass alles gleichmäßig runtergeht. Die Wiederkäuerprodukte bleiben uns.
Wie sieht es bei Schweinefleisch und Geflügel aus?
Bei Kühen würden zwei Drittel der Produkte erhalten bleiben, weil die Kühe auch jetzt schon zu mindestens zwei Dritteln mit für den Menschen nicht essbarem Futter ernährt werden. Schweine bekommen derzeit überwiegend vom Menschen essbares Futter, Geflügel fast ausschließlich. Wir würden also ungefähr die Hälfte der Schweinefleischprodukte und mindestens 80 Prozent der Geflügelprodukte verlieren.
Was wäre die Folge?
Ein massiver Preisanstieg und eine Verknappung der tierischen Produkte. Da würden wir allerdings ein Problem mit den Konsumenten bekommen. Ich glaube nicht, dass es die Leute akzeptieren, wenn es plötzlich keine Eier mehr gibt oder die Eier auf einmal zehnmal so teuer sind. Auf der anderen Seite wäre es gut, weil der Preis steigt und der Bauer endlich mal den Wert der hochwertigen Lebensmittel als angemessenen Preis erhält. Wir würden mit der Massenproduktion aufhören.
Aber wir müssen doch Massen von Menschen ernähren.
Wir müssen da anders herangehen. Man meint immer, Landwirtschaft erzeugt Lebensmittel. Das tut sie nicht, sie erzeugt Biomasse – und bei dieser Biomasse müssen wir schauen, dass möglichst viel für den Menschen essbar ist. Das Essbare müssen wir direkt und ohne Umwege dem Menschen geben. Das viele nicht Essbare machen wir über die Verfütterung an Nutztiere zu Nahrung und geben es dann dem Menschen. Das heißt aber auch, dass die vegane Nahrung immer Priorität haben muss.
Aber bei der Produktion von veganer Nahrung entsteht auch für den Menschen nicht essbare Biomasse. Wenn Sie ein Kilogramm veganes Lebensmittel im Geschäft kaufen, erntet der Landwirt mindestens vier Kilogramm nicht essbare Biomasse zusätzlich. Wir könnten sie zu Biogas machen, aber wenn wir die vier Kilo über Nutztiere zu Lebensmitteln machen, bekommen wir zu einem Kilo veganem Lebensmittel noch mal ein Kilo Lebensmittel in Form von Milch und Fleisch dazu. Weder die heutige Tierproduktion noch die vegane Landwirtschaft sind nachhaltig. Wir müssen ein Gleichgewicht finden, das Kreislaufwirtschaft heißt und der Grundgedanke von Bio ist.