Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Die erste Frau
Iris Knobloch wird Präsidentin des Festivals von Cannes – Unumstritten ist sie nicht
CANNES - Dieses Jahr schaut sie sich alles noch ein bisschen von Außen an, im kommenden Jahr ist sie dann mittendrin: Iris Knobloch, Anfang Juli als erste Deutsche und als erste Frau Präsidentin des berühmten französischen Filmfestivals von Cannes werden wird. Die 59-jährige Juristin, die 1963 in München geboren wurde, hat zwar 17 Jahre lang die französische und dann die europäische Niederlassung der US-amerikanischen Warner Studios geleitet, sie saß im Verwaltungsrat von Accor und der Lazard Bank, und im Aufsichtsrat des Springer Konzerns – aber ihr Name ist der Öffentlichkeit noch immer unbekannt. Sie ist seit einem Vierteljahrhundert Stammgast des Festivals. Aber ihre in der Eile erfolgte Ernennung hat alle überrascht – auch sie selbst.
Wie kam es dazu? Alles begann im Sommer 2021. Es stellte sich heraus, dass die Tage von Pierre Lescure, dem jetzigen Präsidenten gezählt waren. Lescure ist der ehemalige Chef von Frankreichs erstem Bezahlfernsehsender Canal+ und ein weltläufiger Entertainer. Aber nach drei dreijährigen Amtszeiten in diesem prestigeträchtigen und mächtigen Ehrenamt wollte man im Élyseé-Palast etwas Neues. Emmanuel Macrons Kulturministerin Roselyne Bachelot skizzierte das Jobprofil folgendermaßen: „Angesichts der Herausforderungen, vor denen das Kino und damit Festival steht – die Pandemie, die Drohung durch Streamingplattformen, die #metoo-Debatte und die Ökologie – brauchten wir jemanden, der sich im internationalen Kontext wohlfühlt, perfekt Englisch spricht und der es gewohnt ist, zu regieren.“Die Ministerin fügte gegenüber „Le Monde“im April hinzu, dass so der Name von Iris Knobloch aufkam.
Auch die mächtige Chefin von Warner Europe suchte seit Juni 2021 eine neue Aufgabe. Nach 17 Jahren verließ sie ihre Position aus freien Stücken, um „I2PO“zu gründen, ein Fundraising-Unternehmen, das sich im Besitz einiger der reichsten Franzosen befindet, um in den Kultursektor zu investieren. Knobloch, die in New York, Los Angeles und London gelebt hat, und seit 2005 in Paris wohnt, hat beste Beziehungen: Zu ihren guten Bekannten zählen Starregisseure wie Christopher Nolan, Todd Phillips und Clint Eastwood.
Anfang Oktober 2021 wurde sie zur Kandidatur ermutigt. Der Cannes-Präsident wird gewählt. Im
„strategischen Komitee“des Festivals (es heißt wirklich so), das auch die Auswahl des jährlichen französischen Oscarkandidaten verantwortet, sitzen der Künstlerische Leiter und wahre Chef des Festivals, Thierry Frémaux, Serge Toubiana für die französische Filmvereinigung „Unifrance“und Véronique Cayla, ExChefin von ARTE, Ex-Kulturministerin, heute Präsidentin der Césars.
Die wichtigste Voraussetzung für Knobloch war, dass sie „Frémauxkompatibel“ist. Eine deutsche Frau an der Spitze des Flaggschiffs der französischen Kulturindustrie zu sehen, erschien vielen wie ein Sakrileg. Erst recht, weil diese deutsche Frau als sehr USA-freundlich gilt, und schließlich 17 Jahre die Europa-Niederlassung eines der mächtigsten Hollywood-Konzerne geleitet hat.
Aber Knobloch war auf Gegenwind gefasst und sie wusste sich in der Welt der Patriarchen durchzusetzen. Dort hatte sie schon Karriere gemacht. Das hatte sie auch von ihrer Mutter gelernt, Charlotte Knobloch, die als Kind bei bayerischen Bauern versteckt die Shoah überlebt hatte, und später dem deutschen Zentralrat der Juden vorstand und Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses wurde. Eine beispielhafte politische Karriere. Knobloch verbündete sich mit der Unifrance, dem Syndikat der französischen Filmkritiker, dem Bürgermeister von Cannes und dem französischen Regieverband. So wurde sie mit 18 zu 10 Stimmen gewählt. Es war das erste Mal, dass eine Cannes-Präsidentin nicht einstimmig gewählt wurde. Kritiker monierten weiter, jemand aus der Wirtschaft werde ernannt, weil das Festival ein Geschäft geworden ist.
Knoblochs Instinkt für den Mainstream und ihre Verbindungen zu Hollywood könnten aber ein großer Gewinn für Cannes werden, das darauf angewiesen ist, auch große amerikanische Filme und Stars einzuladen. Die erste Frau, die zur Präsidentin des Filmfestivals von Cannes ernannt wurde, ist verheiratet und kinderlos, eine leidenschaftliche Anhängerin des vereinten Europa und eine Liebhaberin der Berge. Sie versteht sich auf den glamourösen Auftritt auf dem roten Teppich und auf die Kunst der Öffentlichkeitsarbeit. „Eine eiserne Faust in einem Samthandschuh“, sagt Ministerin Bachelot. Und sie selbst ergänzt: „Ich habe mir klare Ziele gesetzt: insbesondere die Erneuerung der Führung des Verwaltungsrats und die Umwandlung in ein Exekutivorgan.“
Fürs Erste hält sich Knobloch an die Spielregeln, das heißt sie will vor ihrem offiziellen Amtsantritt am 1. Juli so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erregen und nur sechs Nächte bei der 75. Ausgsabe verbringen, um Lescure nicht in den Schatten zu stellen. Die Angelegenheit ist ohnehin schon kompliziert genug. Und wenn sie sich daran gewöhnen muss, die Komplizin von Thierry Frémaux zu sein, wird sie dies mit Taktgefühl tun. Wie Knobloch selbst sagt, muss „eine Partnerschaft aufgebaut werden“.