Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Geburtsstation mit „Wohlfühlfaktor“
Ausgelegt für 3000 Babys pro Jahr – Ulmer Frauenklinik hat neue Kreißsäle
ULM - Nicht zuletzt durch die Schließungen der Geburtsstationen in Illertissen und Langenau kommen immer mehr Kinder in Ulm zur Welt. Im Jahr 2016 waren es erstmals 3000 und 2021 sogar 3373. Diese kamen in provisorischen Kreißsälen zur Welt, die in der früheren Urologie untergebracht waren. Ab kommenden Dienstag werden sie wieder in den „alten“Geburtsräumen zur Welt kommen. Doch von alt kann hier keine Rede sein, vier Millionen Euro stecken Land und Klinikum in die neuen Kreißsäle, die eine Atmosphäre der Geborgenheit mit höchstem medizinischen Niveau kombinieren sollen.
Die neue Geburtsstation spiegelt schon auf den ersten Blick wider, was früher von Ärzten eher belächelt wurde, wie es Professor Frank Reister, der Leiter der Geburtshilfe am Uniklinikum, ausdrückt. Es gehe darum, dass sich die Frauen hier wohlfühlen. Äußerlich erkennbar an einer Einrichtung mit ganz viel Birkenholz, die wenig mit der gefühlten Kälte einer Klinik zu tun hat. Die dominierenden Farben – grün, beige und braun – sind das Ergebnis einer studentischen Arbeit, die tief in das Thema Wirkung von Farben eingetaucht ist, erklärt Susanne Lehr, Hebamme und die Bereichsleitung der Geburtshilfe. Was noch fehlt an den Wänden, der Lieferkettenproblematik sei Dank, sind großformatige Naturmotive, die beruhigend wirken sollen.
Die Räume seien mit allem ausgestattet, was das Herz einer Gebärdenden begehren könne. Zum Konzept der Frauenklinik gehören die „Hebammen-geleiteten Kreißsäle“. Und sollen alles hergeben, was es an bewährten, geburtshilflichen Konzepten gibt. Andere Dinge, die sich nicht bewährten, wie das Geburtsrad wurden abgeschafft. Ein „Gefühl der Schwerelosigkeit“, wie es das Gerät bei der Geburt vermitteln soll, sei nicht gefragt. „Gebärende wollen Kontakt zum Boden“, sagt Lehr.
Die Gebärpositionen reichen von der Wassergeburt über Bälle, Matten, klassische Betten bis hin zu Hockern. Wie bisher, nur ist jetzt alles auf dem neuesten Stand der Technik. Etwa ein Gebärhocker mit integriertem Sitz für den Partner. Wie Reister betont, sei der „Wohlfühlfaktor“kein Luxus. Es gebe Studien, wie wichtig das sei.
Wenn die Frau während der Geburt Gefühle von Geborgenheit und Vertrauen verinnerlicht, verlaufen die Geburten einfacher. Die Folge: Folgeerkrankungen für Mütter und deren Kinder seien seltener. Reister: „Im Kreißsaal werden Grundlagen für das spätere Leben gelegt.“Gerade der Stärkung des „Bonding“, dem lebenslangen Band zwischen Baby und Mutter, komme eine große Bedeutung bei der Geburt und seinen Umständen zu.
Auch Toiletten in den Kreißsälen waren bislang kein Standard in Ulm, auch das hat sich geändert. Fünf Kreißsäle gibt es jetzt am Uniklinikum, einer mehr als zuvor. Ein neuer Überwachungsraum könne aber auch mit geringen Umbauten als Kreißsaal genutzt werden. Von einer Überlastung der Geburtsstation in der Vergangenheit will Reister nicht reden. Vielmehr würden pro Jahr etwa 500 Frauen in andere Kliniken vorsorglich verlegt, um eine Überlastung zu vermeiden. Frauen in den Wehen etwa würden niemals verlegt. Vielmehr gehe es bei Verlegungen um Planbares, wie etwa Kaiserschnitte. Wunschkaiserschnitte, also derartige Geburten ohne jegliche medizinische Notwendigkeit, würden fast keine Rolle in Ulm spielen. Der Wert liege in Ulm deutlich unter dem europäischen Schnitt von 1,5 Prozent der Geburten.
Wohlfühlfaktor und Vertrauen für die Frauen werde aber nicht nur durch gemütliche Geburtsräume geschaffen. Neben der bestmöglichen Routine-Versorgung lege die neue Geburtsstation auch Wert auf eine „Top Notch“, wie es Reister ausdrückt, also spitzenmäßige Versorgung von Frauen mit Risikoschwangerschaften oder Komplikationen bei der Geburt. „Auch das schafft Vertrauen.“
Das Uniklinikum stehe als einzige Geburtsklinik der höchsten Versorgungsstufe für Spitzenmedizin auch bei der Versorgung von frühgeborenen Babys. So können jetzt etwa
Frühgeborene direkt nach der Geburt bei der Mutter an der intakten Nabelschnur versorgt werden. Ohne abgenabelt zu werden, denn darin liege gerade bei Frühchen oft ein Risiko. „Gerade in der Durchblutungssituation vom Hirn“, sagt Reister. Wenn die Abnabelung bei schwierigen Fällen hinausgezögert werden kann, manchmal sogar 30 Minuten, bis Spezialisten die Erstversorgung des Frühchens erledigt haben, könne das die Chancen des Frühchens enorm verbessern.
Ein Masterplan sieht vor, in Zukunft das gesamte Universitätsklinikum auf dem Eselsberg anzusiedeln. Doch das, so Professor Janni, der Ärztliche Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, sei Zukunftsmusik. Seine Klinik, die derzeit 260 Menschen beschäftigt, sei in diesem Planungshorizont wohl die letzte, die umziehen werde. Das werde wohl noch eher Jahrzehnte denn Jahre dauern. In der alten Urologie, wo die Übergangskreißsäle lagen, werde ein Kreißsaal für corona-infizierte Schwangere erhalten.