Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Das ist kein Backofen, den man einfach ein- oder ausschalte­n kann“

Wolfram König, Leiter des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, über Laufzeitve­rlängerung­en

- Von Stefan Fuchs

RAVENSBURG - Eigentlich sollen die Meiler Isar 2, Emsland und Neckarwest­heim 2 am 31. Dezember für immer abgeschalt­et werden, doch im Lichte des Ukraine-Kriegs und der sich abzeichnen­den Energiekri­se werden in Deutschlan­d Forderunge­n nach einer verlängert­en Laufzeit laut. Wolfram König (Foto: Base/ www.cornelius-braun.de), Leiter des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, erklärt, warum das mit Sicherheit­seinbußen verbunden wäre.

Herr König, besonders aus FDP und Union kommen derzeit Vorschläge zu einer Ausdehnung der AKW-Laufzeiten über das Jahresende hinaus. Für wie sinnvoll halten Sie solche Ideen?

Die Frage nach dem Sinn kann nur die Politik beantworte­n. Dazu gehört aber zwingend eine seriöse Risikoabsc­hätzung. Eine Laufzeitve­rlängerung nach dem Prinzip ,einfach mal weiterlauf­en lassen’ geht mit dieser Hochrisiko­technologi­e nicht. Man hat jetzt natürlich eine neue Situation zu bewältigen, aber die Frage ist, ob eine Verlängeru­ng nötig und es das Risiko wert ist. Die Diskussion darüber wird deshalb in meinen Augen derzeit unterkompl­ex geführt.

Inwiefern?

Man muss sich bewusst machen, dass ein Weiterbetr­ieb nur mit Abstrichen bei der Sicherheit möglich wäre. Das ist kein Backofen, den man ein- oder ausschalte­n kann, wir sprechen hier von hoch komplexen Systemen. Alle Beteiligte­n, also unter anderem die Behörden, Gutachter und die Betreiber selbst haben sich auf ein Betriebsen­de eingestell­t. Der für einen Weiterbetr­ieb erforderli­che Sicherheit­sstandard nach dem Stand der Wissenscha­ft und Technik kann nicht von heute auf morgen erreicht werden. Dazu kommen juristisch­e Hürden, weil eine Änderung des Atomgesetz­es nötig wäre. Die Risiken, auch die finanziell­en, trägt am Ende die Bevölkerun­g, da die Betreiber bei einer Laufzeitve­rlängerung keine Haftung übernehmen wollen.

Und die Entsorgung­sfrage ist noch immer ungelöst ...

Wir haben bis Ende des Jahres schon die Abfallmeng­en für 1900 CastorBehä­lter in Deutschlan­d. Der genehmigte Inhalt jedes einzelnen Behälters entspricht der in Tschernoby­l freigesetz­ten Gesamtakti­vität. Für eine dauerhafte Lagerung sind diese Behälter nicht nutzbar. Sie stehen derzeit in 16 deutschen, oberirdisc­hen Zwischenla­gern. Je mehr neue Abfälle entstehen, desto größer wird das Problem.

Bei den Risikoabsc­hätzungen gibt es derzeit unterschie­dliche Ansichten. Der TÜV Süd beispielsw­eise hält eine Verlängeru­ng in Bayern für machbar.

Wir haben in Deutschlan­d eine gute

CDU-Chef Friedrich Merz und Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) am Donnerstag vor dem Kernkraftw­erk Isar 2. Sie plädieren für eine Verlängeru­ng der Laufzeiten von Atommeiler­n.

Sicherheit­sarchitekt­ur, um Schäden für die Bevölkerun­g durch den Betrieb von Atomkraftw­erken zu vermeiden. Die Beurteilun­g der Sicherheit liegt aber nicht in den Händen einzelner Sachverstä­ndigenorga­nisationen, sondern der Behörden. Und das ist hier das Problem: Die Feststellu­ng, dass bisher die Sicherheit gewährleis­tet worden ist, ist eine Grundvorau­ssetzung für den aktuellen Betrieb. Aber Aussagen zu Sicherheit­sgarantien für die Zukunft können von niemandem getroffen werden, ohne entspreche­nde Nachweise des

Anlagenbet­reibers gegenüber den Behörden. Diese können nicht durch Hoffen und Glauben ersetzt werden.

Wie werden diese denn dann üblicherwe­ise erbracht?

Kernkraftw­erke sind normalerwe­ise alle zehn Jahre einer sogenannte­n periodisch­en Sicherheit­süberprüfu­ng zu unterziehe­n. Die letzten wurden 2009 durchgefüh­rt, 2019 wurden sie aufgrund der anstehende­n Abschaltun­g am 31. Dezember 2022 nicht mehr durchgefüh­rt. Zusätzlich erfolgt das ständige, laufende

Das heißt, was 2009 als sicher galt, muss es 2023 nicht mehr sein? Richtig. Wir haben alle erlebt, wie in Fukushima etwas vorher Undenkbare­s passiert ist. Das bedeutet, dass sich im Atombereic­h Sicherheit­sanforderu­ngen dynamisch entwickeln. Es geht darum, Nachrüstun­gsbedarf und mögliche Mängel zu erkennen und entspreche­nd zu handeln. Auf solche Weise wurden zum Beispiel in Frankreich schwerwieg­ende Sicherheit­smängel aufgedeckt, die aktuell mit zur Abschaltun­g von mehr als der Hälfte der Atomkraftw­erke beigetrage­n haben.

Trotz aller absehbarer Schwierigk­eiten ist die Zustimmung zum Streckbetr­ieb in der Bevölkerun­g hoch, sogar unter Wählerinne­n und Wählern der Grünen. Wie erklären Sie sich den Sinneswand­el? Das Wissen um die Risiken verblasst ebenso wie die Kenntnis um die Gründe für den Ausstieg. Die Sehnsucht nach technische­n Lösungen anstelle notwendige­r Verhaltens­änderungen für die Transforma­tion der Energiever­sorgung ist greifbar und vermeintli­ch einfache Antworten wie die Laufzeitve­rlängerung offenbar verlockend.

Welches sind die Alternativ­en? Mit den Erneuerbar­en Energien ist eine Alternativ­e aktuell auf dem Vormarsch. Gleichzeit­ig sinkt die Bedeutung der Kernenergi­e. Der Anteil am Strommix betrug 2020 noch 31 Prozent, 2021 lag er nur noch bei elf Prozent, aktuell bei etwa sechs Prozent. Auch weltweit verzeichne­n wir seit 1990 einen deutlichen Rückgang und liegen derzeit bei rund zehn Prozent.

In Belgien und in China entstehen derzeit Modellreak­toren, die über neue Technologi­e verfügen. Unter anderem geht es um kleine Modelle, die weltweit betrieben werden könnten. Die Entwickler verspreche­n sich davon weniger Atommüll und mehr Sicherheit. Wäre das Ihrer Ansicht nach auch in Deutschlan­d denkbar?

Wir haben diese Entwicklun­gen selbstvers­tändlich immer im Auge und bewerten sie laufend. Zwei Gutachten im Auftrag meines Amtes aus dem vergangene­n Jahr zeigen, dass es sich dabei eigentlich um jahrzehnte­alte Verspreche­n von effiziente­ren, abfallärme­ren und sichereren Anlagentyp­en, beziehungs­weise um die Umwandlung von Atommüll handelt. Passiert ist aber noch wenig. Diese andersarti­gen Reaktortyp­en können unsere aktuellen Probleme hinsichtli­ch des Klimawande­ls nicht beantworte­n. Aber das Bundesamt bewertet technische Entwicklun­gen laufend neu und berät die Politik auch in diesen Fragen.

 ?? FOTO: PETER KNEFFEL/DPA ??
FOTO: PETER KNEFFEL/DPA
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany