Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Das ist kein Backofen, den man einfach ein- oder ausschalten kann“
Wolfram König, Leiter des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, über Laufzeitverlängerungen
RAVENSBURG - Eigentlich sollen die Meiler Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 am 31. Dezember für immer abgeschaltet werden, doch im Lichte des Ukraine-Kriegs und der sich abzeichnenden Energiekrise werden in Deutschland Forderungen nach einer verlängerten Laufzeit laut. Wolfram König (Foto: Base/ www.cornelius-braun.de), Leiter des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, erklärt, warum das mit Sicherheitseinbußen verbunden wäre.
Herr König, besonders aus FDP und Union kommen derzeit Vorschläge zu einer Ausdehnung der AKW-Laufzeiten über das Jahresende hinaus. Für wie sinnvoll halten Sie solche Ideen?
Die Frage nach dem Sinn kann nur die Politik beantworten. Dazu gehört aber zwingend eine seriöse Risikoabschätzung. Eine Laufzeitverlängerung nach dem Prinzip ,einfach mal weiterlaufen lassen’ geht mit dieser Hochrisikotechnologie nicht. Man hat jetzt natürlich eine neue Situation zu bewältigen, aber die Frage ist, ob eine Verlängerung nötig und es das Risiko wert ist. Die Diskussion darüber wird deshalb in meinen Augen derzeit unterkomplex geführt.
Inwiefern?
Man muss sich bewusst machen, dass ein Weiterbetrieb nur mit Abstrichen bei der Sicherheit möglich wäre. Das ist kein Backofen, den man ein- oder ausschalten kann, wir sprechen hier von hoch komplexen Systemen. Alle Beteiligten, also unter anderem die Behörden, Gutachter und die Betreiber selbst haben sich auf ein Betriebsende eingestellt. Der für einen Weiterbetrieb erforderliche Sicherheitsstandard nach dem Stand der Wissenschaft und Technik kann nicht von heute auf morgen erreicht werden. Dazu kommen juristische Hürden, weil eine Änderung des Atomgesetzes nötig wäre. Die Risiken, auch die finanziellen, trägt am Ende die Bevölkerung, da die Betreiber bei einer Laufzeitverlängerung keine Haftung übernehmen wollen.
Und die Entsorgungsfrage ist noch immer ungelöst ...
Wir haben bis Ende des Jahres schon die Abfallmengen für 1900 CastorBehälter in Deutschland. Der genehmigte Inhalt jedes einzelnen Behälters entspricht der in Tschernobyl freigesetzten Gesamtaktivität. Für eine dauerhafte Lagerung sind diese Behälter nicht nutzbar. Sie stehen derzeit in 16 deutschen, oberirdischen Zwischenlagern. Je mehr neue Abfälle entstehen, desto größer wird das Problem.
Bei den Risikoabschätzungen gibt es derzeit unterschiedliche Ansichten. Der TÜV Süd beispielsweise hält eine Verlängerung in Bayern für machbar.
Wir haben in Deutschland eine gute
CDU-Chef Friedrich Merz und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Donnerstag vor dem Kernkraftwerk Isar 2. Sie plädieren für eine Verlängerung der Laufzeiten von Atommeilern.
Sicherheitsarchitektur, um Schäden für die Bevölkerung durch den Betrieb von Atomkraftwerken zu vermeiden. Die Beurteilung der Sicherheit liegt aber nicht in den Händen einzelner Sachverständigenorganisationen, sondern der Behörden. Und das ist hier das Problem: Die Feststellung, dass bisher die Sicherheit gewährleistet worden ist, ist eine Grundvoraussetzung für den aktuellen Betrieb. Aber Aussagen zu Sicherheitsgarantien für die Zukunft können von niemandem getroffen werden, ohne entsprechende Nachweise des
Anlagenbetreibers gegenüber den Behörden. Diese können nicht durch Hoffen und Glauben ersetzt werden.
Wie werden diese denn dann üblicherweise erbracht?
Kernkraftwerke sind normalerweise alle zehn Jahre einer sogenannten periodischen Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Die letzten wurden 2009 durchgeführt, 2019 wurden sie aufgrund der anstehenden Abschaltung am 31. Dezember 2022 nicht mehr durchgeführt. Zusätzlich erfolgt das ständige, laufende
Das heißt, was 2009 als sicher galt, muss es 2023 nicht mehr sein? Richtig. Wir haben alle erlebt, wie in Fukushima etwas vorher Undenkbares passiert ist. Das bedeutet, dass sich im Atombereich Sicherheitsanforderungen dynamisch entwickeln. Es geht darum, Nachrüstungsbedarf und mögliche Mängel zu erkennen und entsprechend zu handeln. Auf solche Weise wurden zum Beispiel in Frankreich schwerwiegende Sicherheitsmängel aufgedeckt, die aktuell mit zur Abschaltung von mehr als der Hälfte der Atomkraftwerke beigetragen haben.
Trotz aller absehbarer Schwierigkeiten ist die Zustimmung zum Streckbetrieb in der Bevölkerung hoch, sogar unter Wählerinnen und Wählern der Grünen. Wie erklären Sie sich den Sinneswandel? Das Wissen um die Risiken verblasst ebenso wie die Kenntnis um die Gründe für den Ausstieg. Die Sehnsucht nach technischen Lösungen anstelle notwendiger Verhaltensänderungen für die Transformation der Energieversorgung ist greifbar und vermeintlich einfache Antworten wie die Laufzeitverlängerung offenbar verlockend.
Welches sind die Alternativen? Mit den Erneuerbaren Energien ist eine Alternative aktuell auf dem Vormarsch. Gleichzeitig sinkt die Bedeutung der Kernenergie. Der Anteil am Strommix betrug 2020 noch 31 Prozent, 2021 lag er nur noch bei elf Prozent, aktuell bei etwa sechs Prozent. Auch weltweit verzeichnen wir seit 1990 einen deutlichen Rückgang und liegen derzeit bei rund zehn Prozent.
In Belgien und in China entstehen derzeit Modellreaktoren, die über neue Technologie verfügen. Unter anderem geht es um kleine Modelle, die weltweit betrieben werden könnten. Die Entwickler versprechen sich davon weniger Atommüll und mehr Sicherheit. Wäre das Ihrer Ansicht nach auch in Deutschland denkbar?
Wir haben diese Entwicklungen selbstverständlich immer im Auge und bewerten sie laufend. Zwei Gutachten im Auftrag meines Amtes aus dem vergangenen Jahr zeigen, dass es sich dabei eigentlich um jahrzehntealte Versprechen von effizienteren, abfallärmeren und sichereren Anlagentypen, beziehungsweise um die Umwandlung von Atommüll handelt. Passiert ist aber noch wenig. Diese andersartigen Reaktortypen können unsere aktuellen Probleme hinsichtlich des Klimawandels nicht beantworten. Aber das Bundesamt bewertet technische Entwicklungen laufend neu und berät die Politik auch in diesen Fragen.