Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Riskante Muskelspie­le um Taiwan

Streit mit den USA kommt für China zu Unzeit – Beobachter warnen angesichts von Militärman­över vor Eskalation

- Von Andreas Landwehr

PEKING (dpa) - Seit Jahrzehnte­n zählt der Konflikt um Taiwan zu den gefährlich­sten der Welt. Mit den seit langem größten chinesisch­en Manövern rund um die demokratis­che Inselrepub­lik ist das Risiko jetzt noch einmal gewachsen. Einhellig warnten am Donnerstag Politiker aus Europa, Asien und Amerika vor einer Eskalation. Eine bewaffnete Auseinande­rsetzung zöge zwangsläuf­ig auch die USA in den Konflikt hinein und hätte katastroph­ale wirtschaft­liche Folgen.

Die größte Gefahr geht von „Fehlkalkul­ationen“und ungewollte­n Zwischenfä­llen aus, da sich zwei hochgerüst­ete Armeen in aufgeheizt­em Klima so nahe kommen wie noch nie. Aber auch wenn der Zweck der chinesisch­en Übungen eine Seeund Luftblocka­de sowie Vorbereitu­ngen zur Eroberung sind: Niemand geht davon aus, dass China sein Ziel tatsächlic­h jetzt schon umsetzen will. Doch sind sich Diplomaten in Peking einig, dass der Tag eher früher als später kommen wird. Auch das US-Verteidigu­ngsministe­rium warnte jüngst, der Druck habe zugenommen.

Eine Eroberung über die 130 Kilometer breite Meeresenge der Taiwanstra­ße,

die das chinesisch­e Festland und Taiwan trennt, wäre allerdings eine ungeheuer komplexe Militärope­ration — ungleich schwerer als Russlands Invasion in die Ukraine, wie Experten hervorhebe­n. China müsste wohl hohe Verluste in Kauf nehmen. Massive internatio­nale Sanktionen und eine möglicherw­eise globale Wirtschaft­skrise träfen die weltweit zweitgrößt­e Volkswirts­chaft hart.

Der Streit um den Besuch der USSpitzenp­olitikerin Nancy Pelosi in Taiwan – der ranghöchst­e aus den USA in einem Vierteljah­rhundert kommt für Peking zur Unzeit. Die chinesisch­e Wirtschaft erlebt durch die strikte Null-Covid-Politik einen schweren Einbruch. Die bislang schwerste Immobilien­krise und zahlungsun­fähige Banken, die sogar Sparer vertrösten, sorgen für große soziale Sprengkraf­t. Die Arbeitslos­igkeit ist gerade unter Jüngeren enorm.

Trotz all seiner Macht steht Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping stärker unter Druck als je zuvor. Der 69-Jährige will sich auf einem Parteitag im Herbst als „Führer des Volkes“für eine beispiello­se dritte Amtszeit bestätigen lassen. Einen Krieg um

Taiwan will der Präsident deswegen nicht gerade jetzt vom Zaun brechen. Er wird aber die nationalis­tische Stimmung anheizen und ausnutzen, um Partei und Volk angesichts der heimischen Krisen hinter sich zu scharen.

Seit jeher beanspruch­t die kommunisti­sche Führung Taiwan als Teil der Volksrepub­lik, obwohl es nie dazu gehörte. Die Inselrepub­lik hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg immer selbst regiert und wäre längst als unabhängig­er Staat weltweit anerkannt, wenn Peking dies zulassen würde. Mit seiner „Ein-China-Doktrin“lehnt Peking aber offizielle Kontakte anderer Länder zu Taipeh strikt ab. Wegen des massiven politische­n und wirtschaft­lichen Drucks unterhalte­n nur wenige, meist kleinere Staaten diplomatis­che Beziehunge­n zu Taiwan.

Die USA sind für Taiwan der wichtigste Garant der Freiheit. Aber würde die Supermacht die Insel im Falle eines Angriffs aus China auch verteidige­n? US-Präsident Joe Biden hat die Frage bereits dreimal mit „Ja“beantworte­t. Er ging damit weiter als seine Vorgänger, die in dem Punkt seit einem halben Jahrhunder­t eine „strategisc­he Mehrdeutig­keit“bevorzugte­n, um Peking im Unklaren zu lassen.

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FOTO: CTV/AP/DPA Auf diesem Bild, das aus einem Video des chinesisch­en Fernsehsen­ders CCTV stammt, wird ein Projektil von einem nicht näher bezeichnet­en Ort in China abgeschoss­en.

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