Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Alles Bio, oder was?

Warum es auch andere Wege zu einer zukunftsfä­higen Landwirtsc­haft gibt – Welche Probleme ein Verbot von Pestiziden verursacht

- Von Dominik Guggemos

BERLIN - Bio boomte im ersten Corona-Jahr, doch durch Krieg, Inflation und Welthunger rücken die Ertragsein­bußen in den Fokus. Wo der Ökolandbau Schwächen hat – gerade mit Blick auf die Artenvielf­alt.

Wenn man Agrarminis­ter Cem Özdemir fragt, ist die Sache klar: „Bio ist unser Leitbild für nachhaltig­e Landwirtsc­haft.“Es brauche jetzt mehr Bio, nicht weniger. Diese Haltung ist für einen Grünen-Politiker nicht ungewöhnli­ch. Schließlic­h ist Özdemirs Partei maßgeblich für ein äußerst ambitionie­rtes Ziel im Koalitions­vertrag der Ampel verantwort­lich: 30 Prozent Ökolandbau bis 2030. Das wäre eine Verdreifac­hung innerhalb von acht Jahren. BadenWürtt­emberg will den Anteil im Südwesten möglichst sogar bis zu 40 Prozent steigern. Hier wurden 2020 laut Statistika­mt 12,4 Prozent der landwirtsc­haftlichen Fläche nach Ökostandar­ds bearbeitet. Doch könnten der Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation und die dramatisch­e Hungersnot in der Welt das Erreichen dieser Ziele gefährden.

„Ökolandbau ist nicht für alles gut“, gibt Teja Tscharntke zu Bedenken. Der große Nachteil seien die Ertragsein­bußen beim Verzicht auf Dünger und Pflanzensc­hutzmittel­n: 20 Prozent weniger Ertrag über alle Kulturen hinweg, rechnet der Agrarökolo­ge der Universitä­t Göttingen vor. „Getreide ist ein besonders kritischer Punkt – beim Weizen sind es 50 Prozent.“Ist es das wert? Und könnte nachhaltig­e Landwirtsc­haft nicht auch ohne die strengen Bioregeln funktionie­ren?

„Wir werden auch in Zukunft eine Kombinatio­n aus konvention­ellem Anbau und ökologisch­er Landwirtsc­haft brauchen“, sagt etwa der agrarpolit­ische Sprecher der CSU im Bundestag, Artur Auernhamme­r. Und weiß damit einen auf den ersten Blick überrasche­nden Verbündete­n auf seiner Seite: Urs Niggli. Der Schweizer Agrarwisse­nschaftler ist ein Vordenker des Biolandbau­s. Er leitete 30 Jahre lang das Forschungs­institut für biologisch­en Landbau mit Sitz im Kanton Aargau und ist seit 2020 Direktor des Instituts agroecolog­y.science. Ein ausgewiese­ner Experte also, und der sagt: „Grundsätzl­ich muss man sich von dem Gedanken verabschie­den, dass der Ökolandbau ein Monopol auf nachhaltig­e Landwirtsc­haft hätte.“

Zugleich betont Niggli, dass konvention­elle Landwirte viel nachhaltig­er werden könnten – und müssten. „Sonst bekommen wir die Umweltprob­leme

nicht in den Griff.“Biobauern hätten exzellente Maßnahmen entwickelt, die zum Vorbild taugten: Zum Beispiel eine vielfältig­e Fruchtfolg­e auf den Äckern wie das Pflanzen

von Leguminose­n wie Erbsen, Bohnen oder Linsen, die den Boden natürliche­rweise mit Stickstoff versorgen. Weniger Tiere pro Fläche und weniger importiert­e Futtermitt­el

gehörten ebenfalls dazu. „Das sind Praktiken“, sagt Niggli, „die könnten eigentlich leicht von konvention­ellen Landwirten übernommen werden“.

Diese Praktiken zählen aber nicht unbedingt zum Markenkern von Bio, zumindest in der öffentlich­en Wahrnehmun­g. Stattdesse­n wird der Verzicht auf chemische Pflanzensc­hutzmittel

in den Mittelpunk­t gerückt. Genau dieser Fokus ist dem Göttinger Agrarökolo­gen Tscharntke ein Dorn im Auge. Der Ökolandbau verwende ja auch Pestizide, betont er. Nur eben solche, die als natürlich gelten. Dabei sei die Bodenbelas­tung mit verwendete­n Schwermeta­llen wie etwa Kupfer „eine sehr fragwürdig­e Angelegenh­eit“. Beim Obst- und Gemüseanba­u sowie bei Wein und Kartoffeln sei es häufig so, sagt Tscharntke, „dass fast genauso oft gespritzt wird wie bei konvention­ellen Produkten – 20- bis 30- mal“.

Die meisten Verbrauche­r hätten einen idyllische­n Ökobauernh­of vor Augen, vielleicht mit Hofladen und einem engagierte­n Besitzer, der alles für die Artenvielf­alt tue, sagt Tscharntke, aber „durch die zunehmende Nachfrage an Ökoprodukt­en ist das nicht generell der Fall“. In Ostdeutsch­land mit seinen Kollektive­n würden zum Teil 20 bis 30 Hektar große Flächen als Monokultur angebaut. Dabei seien kleine Felder, ein bis zwei Hektar, viel besser für die Biodiversi­tät.

Tscharntke betont: „Für die Artenvielf­alt ist ein konvention­elles Feld mit Hecken besser als ein Ökofeld ohne Hecken.“Dort würden sich fünf- bis zehnmal so viele Vögel aufhalten können. Zumal es ja auch die Ertragsein­bußen gibt, die Tscharntke mit einer Rechnung auf den Punkt bringt: „Ich kann auf zehn Hektar Fläche auf ökologisch­e Weise Weizen anbauen. Alternativ kann ich auf fünf Hektar konvention­ell anbauen und auf den anderen fünf Hektar Blühwiesen und Hecken.“Das Resultat? „Derselbe Ertrag an Weizen, aber ein Vielfaches an Biodiversi­tät.“

Der Schweizer Niggli hält dagegen, dass diese Rechnung zwar für die Artenvielf­alt korrekt sei, aber andere Umweltbela­stungen unberücksi­chtigt lasse. Die deutschen Pläne, auf 30 Prozent der Ackerfläch­en Ökolandbau zu betreiben, werden aus seiner Sicht „schwierig zu erreichen sein“. Das Ziel sei ehrgeizig und stamme aus einer Zeit, in der die Pandemie für außergewöh­nlich hohes Wachstum gesorgt habe, sagt Niggli. „Jetzt ist viel Luft raus.“

Trotzdem gehe das Ziel in die richtige Richtung. Doch Niggli warnt vor ideologisc­hen Scheuklapp­en auf dem Weg: „Unter Umständen gibt es weitere Entwicklun­gen in der konvention­ellen Landwirtsc­haft, die sogar einen besseren Ausweg aus dem Zielkonfli­kt zwischen Produktivi­tät und Ökologie mit sich bringen.“Das sei ein Dialog, den man führen müsse, anstatt sich profiliere­n zu wollen.

 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ?? Bis 2030 sollen in Deutschlan­d 30 Prozent der landwirtsc­haftlichen Flächen ökologisch bewirtscha­ftet werden, so das Ziel der Bundesregi­erung. Doch Inflation und die Auswirkung­en des Ukraine-Krieges gefährden diese Pläne.
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Bis 2030 sollen in Deutschlan­d 30 Prozent der landwirtsc­haftlichen Flächen ökologisch bewirtscha­ftet werden, so das Ziel der Bundesregi­erung. Doch Inflation und die Auswirkung­en des Ukraine-Krieges gefährden diese Pläne.

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