Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Alles Bio, oder was?
Warum es auch andere Wege zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft gibt – Welche Probleme ein Verbot von Pestiziden verursacht
BERLIN - Bio boomte im ersten Corona-Jahr, doch durch Krieg, Inflation und Welthunger rücken die Ertragseinbußen in den Fokus. Wo der Ökolandbau Schwächen hat – gerade mit Blick auf die Artenvielfalt.
Wenn man Agrarminister Cem Özdemir fragt, ist die Sache klar: „Bio ist unser Leitbild für nachhaltige Landwirtschaft.“Es brauche jetzt mehr Bio, nicht weniger. Diese Haltung ist für einen Grünen-Politiker nicht ungewöhnlich. Schließlich ist Özdemirs Partei maßgeblich für ein äußerst ambitioniertes Ziel im Koalitionsvertrag der Ampel verantwortlich: 30 Prozent Ökolandbau bis 2030. Das wäre eine Verdreifachung innerhalb von acht Jahren. BadenWürttemberg will den Anteil im Südwesten möglichst sogar bis zu 40 Prozent steigern. Hier wurden 2020 laut Statistikamt 12,4 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche nach Ökostandards bearbeitet. Doch könnten der Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation und die dramatische Hungersnot in der Welt das Erreichen dieser Ziele gefährden.
„Ökolandbau ist nicht für alles gut“, gibt Teja Tscharntke zu Bedenken. Der große Nachteil seien die Ertragseinbußen beim Verzicht auf Dünger und Pflanzenschutzmitteln: 20 Prozent weniger Ertrag über alle Kulturen hinweg, rechnet der Agrarökologe der Universität Göttingen vor. „Getreide ist ein besonders kritischer Punkt – beim Weizen sind es 50 Prozent.“Ist es das wert? Und könnte nachhaltige Landwirtschaft nicht auch ohne die strengen Bioregeln funktionieren?
„Wir werden auch in Zukunft eine Kombination aus konventionellem Anbau und ökologischer Landwirtschaft brauchen“, sagt etwa der agrarpolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Artur Auernhammer. Und weiß damit einen auf den ersten Blick überraschenden Verbündeten auf seiner Seite: Urs Niggli. Der Schweizer Agrarwissenschaftler ist ein Vordenker des Biolandbaus. Er leitete 30 Jahre lang das Forschungsinstitut für biologischen Landbau mit Sitz im Kanton Aargau und ist seit 2020 Direktor des Instituts agroecology.science. Ein ausgewiesener Experte also, und der sagt: „Grundsätzlich muss man sich von dem Gedanken verabschieden, dass der Ökolandbau ein Monopol auf nachhaltige Landwirtschaft hätte.“
Zugleich betont Niggli, dass konventionelle Landwirte viel nachhaltiger werden könnten – und müssten. „Sonst bekommen wir die Umweltprobleme
nicht in den Griff.“Biobauern hätten exzellente Maßnahmen entwickelt, die zum Vorbild taugten: Zum Beispiel eine vielfältige Fruchtfolge auf den Äckern wie das Pflanzen
von Leguminosen wie Erbsen, Bohnen oder Linsen, die den Boden natürlicherweise mit Stickstoff versorgen. Weniger Tiere pro Fläche und weniger importierte Futtermittel
gehörten ebenfalls dazu. „Das sind Praktiken“, sagt Niggli, „die könnten eigentlich leicht von konventionellen Landwirten übernommen werden“.
Diese Praktiken zählen aber nicht unbedingt zum Markenkern von Bio, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Stattdessen wird der Verzicht auf chemische Pflanzenschutzmittel
in den Mittelpunkt gerückt. Genau dieser Fokus ist dem Göttinger Agrarökologen Tscharntke ein Dorn im Auge. Der Ökolandbau verwende ja auch Pestizide, betont er. Nur eben solche, die als natürlich gelten. Dabei sei die Bodenbelastung mit verwendeten Schwermetallen wie etwa Kupfer „eine sehr fragwürdige Angelegenheit“. Beim Obst- und Gemüseanbau sowie bei Wein und Kartoffeln sei es häufig so, sagt Tscharntke, „dass fast genauso oft gespritzt wird wie bei konventionellen Produkten – 20- bis 30- mal“.
Die meisten Verbraucher hätten einen idyllischen Ökobauernhof vor Augen, vielleicht mit Hofladen und einem engagierten Besitzer, der alles für die Artenvielfalt tue, sagt Tscharntke, aber „durch die zunehmende Nachfrage an Ökoprodukten ist das nicht generell der Fall“. In Ostdeutschland mit seinen Kollektiven würden zum Teil 20 bis 30 Hektar große Flächen als Monokultur angebaut. Dabei seien kleine Felder, ein bis zwei Hektar, viel besser für die Biodiversität.
Tscharntke betont: „Für die Artenvielfalt ist ein konventionelles Feld mit Hecken besser als ein Ökofeld ohne Hecken.“Dort würden sich fünf- bis zehnmal so viele Vögel aufhalten können. Zumal es ja auch die Ertragseinbußen gibt, die Tscharntke mit einer Rechnung auf den Punkt bringt: „Ich kann auf zehn Hektar Fläche auf ökologische Weise Weizen anbauen. Alternativ kann ich auf fünf Hektar konventionell anbauen und auf den anderen fünf Hektar Blühwiesen und Hecken.“Das Resultat? „Derselbe Ertrag an Weizen, aber ein Vielfaches an Biodiversität.“
Der Schweizer Niggli hält dagegen, dass diese Rechnung zwar für die Artenvielfalt korrekt sei, aber andere Umweltbelastungen unberücksichtigt lasse. Die deutschen Pläne, auf 30 Prozent der Ackerflächen Ökolandbau zu betreiben, werden aus seiner Sicht „schwierig zu erreichen sein“. Das Ziel sei ehrgeizig und stamme aus einer Zeit, in der die Pandemie für außergewöhnlich hohes Wachstum gesorgt habe, sagt Niggli. „Jetzt ist viel Luft raus.“
Trotzdem gehe das Ziel in die richtige Richtung. Doch Niggli warnt vor ideologischen Scheuklappen auf dem Weg: „Unter Umständen gibt es weitere Entwicklungen in der konventionellen Landwirtschaft, die sogar einen besseren Ausweg aus dem Zielkonflikt zwischen Produktivität und Ökologie mit sich bringen.“Das sei ein Dialog, den man führen müsse, anstatt sich profilieren zu wollen.