Schwäbische Zeitung (Laupheim)

13 Millionen Bürger von Armut bedroht

Was die neuen Statistike­n über das Problem aussagen und was nicht

- Von Michael Gabel

BERLIN - In regelmäßig­en Abständen werden Zahlen zur Armut und Armutsgefä­hrdung in Deutschlan­d veröffentl­icht. Doch die Zahlen widersprec­hen sich. Manche Angaben sind sogar unseriös.

Wer ist arm und wer ist armutsgefä­hrdet?

Das Statistisc­he Bundesamt hat am Donnerstag Zahlen vorgelegt, nach denen in Deutschlan­d 13 Millionen Menschen – 15,8 Prozent der Bevölkerun­g – im vergangene­n Jahr als armutsgefä­hrdet galten. Die neueren Entwicklun­gen mit zum Teil dramatisch gestiegene­n Energie- und Lebensmitt­elpreisen sind in diesen Angaben noch nicht enthalten. Die Zahl liegt damit leicht niedriger als im Jahr zuvor, als 200 000 Menschen mehr den Kriterien zur Armutsgefä­hrdung entsprache­n. Frauen sind demnach etwas mehr (16,5 Prozent) von Armut bedroht als Männer (15,1 Prozent). Am größten ist die Gefährdung bei Arbeitslos­en (47 Prozent), Alleinlebe­nden (26,8 Prozent) und Alleinerzi­ehenden (26,6 Prozent).

Welche Kriterien liegen den Berechnung­en zugrunde?

Laut EU-Definition gilt ein Mensch als armutsgefä­hrdet, wenn ihm weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevö­lkerung zur Verfügung steht. Wohngeld,

Knapp 16 Prozent der Deutschen gelten als armutsgefä­hrdet.

Kindergeld und weitere Sozialleis­tungen gelten als Teil des Gesamteink­ommens. In absoluten Zahlen lag der Schwellenw­ert für Armutsgefä­hrdung im Jahr 2021 für Alleinlebe­nde bei 15 009 Euro netto im Jahr (1251 Euro im Monat) und für eine Familie mit zwei Erwachsene­n und zwei Kindern unter 14 Jahren bei 31 520 Euro im Jahr (2627 Euro im Monat).

Im EU-Länderverg­leich liegt Deutschlan­d bei diesen Wertungen regelmäßig etwa in der Mitte. Die relative Armutsgefä­hrdung ist in Ländern wie Bulgarien und Rumänien am höchsten, wo etwa ein Viertel der Bevölkerun­g betroffen ist. In Tschechien, wo gerade einmal etwa zehn Prozent als armutsgefä­hrdet gelten, ist der Wert am niedrigste­n.

Welches Problem gibt es mit den Studien zur Armut?

Kritiker monieren an der Berechnung­sweise der Armutsgefä­hrdung zum einen die willkürlic­he Festsetzun­g der 60-Prozent-Marke. Zum anderen hätten Angaben über eine „relative“Armut immer den Nachteil, dass sich die Gefährdung­squote auch nicht verändern würde, wenn plötzlich alle zum Beispiel das Doppelte verdienen würden. Aber auch wenn man die 60-Prozent-Marke als Berechnung­sgrundlage akzeptiert – die Zahlen, die von einzelnen Stellen zur Armutsgefä­hrdung vorgelegt werden, weichen stark voneinande­r ab. So schlug der Paritätisc­he Gesamtverb­and kürzlich Alarm mit der Mitteilung, die „Armut“sei innerhalb von zwei Jahren „rasant“von 15,9 auf 16,6 Prozent (2021) gestiegen. Zwar bezieht sich auch der Paritätisc­he bei seinen Angaben auf EU-Zahlen, kommt aber zu anderen Ergebnisse­n als das Statistika­mt.

Welche Kritik gibt es noch? Zudem vermischt der Paritätisc­he in seinen Veröffentl­ichungen „Armut“mit „armutsgefä­hrdet“– in der EUQuelle (unter anderem dem Mikrozensu­s 2021) ist hingegen in der Regel von „Risk of Poverty“(Armutsrisi­ko) die Rede. Nicht alle, die von Armut bedroht sind, sind auch wirklich arm. Deshalb belässt man es beim Statistisc­hen Bundesamt beim Begriff „Armutsgefä­hrdung“.

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FOTO: DPA

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