Schwäbische Zeitung (Laupheim)
13 Millionen Bürger von Armut bedroht
Was die neuen Statistiken über das Problem aussagen und was nicht
BERLIN - In regelmäßigen Abständen werden Zahlen zur Armut und Armutsgefährdung in Deutschland veröffentlicht. Doch die Zahlen widersprechen sich. Manche Angaben sind sogar unseriös.
Wer ist arm und wer ist armutsgefährdet?
Das Statistische Bundesamt hat am Donnerstag Zahlen vorgelegt, nach denen in Deutschland 13 Millionen Menschen – 15,8 Prozent der Bevölkerung – im vergangenen Jahr als armutsgefährdet galten. Die neueren Entwicklungen mit zum Teil dramatisch gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreisen sind in diesen Angaben noch nicht enthalten. Die Zahl liegt damit leicht niedriger als im Jahr zuvor, als 200 000 Menschen mehr den Kriterien zur Armutsgefährdung entsprachen. Frauen sind demnach etwas mehr (16,5 Prozent) von Armut bedroht als Männer (15,1 Prozent). Am größten ist die Gefährdung bei Arbeitslosen (47 Prozent), Alleinlebenden (26,8 Prozent) und Alleinerziehenden (26,6 Prozent).
Welche Kriterien liegen den Berechnungen zugrunde?
Laut EU-Definition gilt ein Mensch als armutsgefährdet, wenn ihm weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung steht. Wohngeld,
Knapp 16 Prozent der Deutschen gelten als armutsgefährdet.
Kindergeld und weitere Sozialleistungen gelten als Teil des Gesamteinkommens. In absoluten Zahlen lag der Schwellenwert für Armutsgefährdung im Jahr 2021 für Alleinlebende bei 15 009 Euro netto im Jahr (1251 Euro im Monat) und für eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren bei 31 520 Euro im Jahr (2627 Euro im Monat).
Im EU-Ländervergleich liegt Deutschland bei diesen Wertungen regelmäßig etwa in der Mitte. Die relative Armutsgefährdung ist in Ländern wie Bulgarien und Rumänien am höchsten, wo etwa ein Viertel der Bevölkerung betroffen ist. In Tschechien, wo gerade einmal etwa zehn Prozent als armutsgefährdet gelten, ist der Wert am niedrigsten.
Welches Problem gibt es mit den Studien zur Armut?
Kritiker monieren an der Berechnungsweise der Armutsgefährdung zum einen die willkürliche Festsetzung der 60-Prozent-Marke. Zum anderen hätten Angaben über eine „relative“Armut immer den Nachteil, dass sich die Gefährdungsquote auch nicht verändern würde, wenn plötzlich alle zum Beispiel das Doppelte verdienen würden. Aber auch wenn man die 60-Prozent-Marke als Berechnungsgrundlage akzeptiert – die Zahlen, die von einzelnen Stellen zur Armutsgefährdung vorgelegt werden, weichen stark voneinander ab. So schlug der Paritätische Gesamtverband kürzlich Alarm mit der Mitteilung, die „Armut“sei innerhalb von zwei Jahren „rasant“von 15,9 auf 16,6 Prozent (2021) gestiegen. Zwar bezieht sich auch der Paritätische bei seinen Angaben auf EU-Zahlen, kommt aber zu anderen Ergebnissen als das Statistikamt.
Welche Kritik gibt es noch? Zudem vermischt der Paritätische in seinen Veröffentlichungen „Armut“mit „armutsgefährdet“– in der EUQuelle (unter anderem dem Mikrozensus 2021) ist hingegen in der Regel von „Risk of Poverty“(Armutsrisiko) die Rede. Nicht alle, die von Armut bedroht sind, sind auch wirklich arm. Deshalb belässt man es beim Statistischen Bundesamt beim Begriff „Armutsgefährdung“.