Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Neandertaler aßen auch Vögel
Neue Funde zeigen, dass unsere ausgestorbenen Verwandten intelligenter waren, als bisher angenommen
BLAUBEUREN/SCHELKLINGEN Großwild wie Rentiere, Wildpferde oder Wollnashörner standen auf dem Speiseplan der Neandertaler, die vor mehr als 65 000 Jahren lebten. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Was bisher noch nicht bekannt war: Unsere Vorfahren verzehrten auch Vögel. Das wurde durch jüngste Knochenfunde aus der WelterbeHöhle „Hohle Fels“bei Schelklingen deutlich und wurde Öffentlichkeit nun als „Fund des Jahres“vorgestellt.
„Es vergeht kein Jahr, wo es keine neuen und aufschlussreichen Funde gibt“, so Professor Nicholas Conard von der Universität Tübingen. Der wissenschaftliche Direktor des Urgeschichtlichen Museums in Blaubeuren berichtet, es habe nun aufschlussreiche Funde in einer tieferen Sedimentschicht gegeben. Diese liegt unter der Schicht, in der die Überreste des modernen Menschen gefunden wird. Mit einer sogenannten Elektronen-Spin-Resonanz-Datierung wurde das Alter der Schicht auf 65 000 Jahre bestimmt.
Und genau hier in den Sedimenten der Grabungsstätte beim Hohle Fels wurden nun Vogelknochen mit Schlachtspuren gefunden, die von den Neandertalern stammen müssen. Bisher wurde es den Vorfahren des Menschen nicht zugetraut, flinke und wendige Kleintiere zu jagen. Die
Vogelknochen wurden vom Team von Nicholas Conard aus der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie untersucht und im Urmu als „Fund des Jahres“vorgestellt. Rund 1187 kleine bruchstückhafte
Knochen von Schneehühnern, Auerhühnern, Birkhühnern sowie von Gänsen und Schwänen wurden gefunden. Sechs von diesen Knochen weisen eindeutige Werkzeugspuren des Neandertalers auf, wie Conard und Keiko Kitagwa erläutern. „Das zeigt, dass Neandertaler auch systematisch Vögel gejagt und genutzt haben“, so Keiko Kitagawa. „Die meisten Spuren sprechen dafür, dass Gelenke auseinandergebrochen und
Fleisch vom Knochen gelöst wurde“, ergänzt Conard. Aber die Funde belegen zudem, dass die Neandertaler sich an die Umgebung anpassen konnten, ein größeres Nahrungsspektrum nutzten als bisher bekannt war und dass sie dafür entsprechende Jagdstrategien entwickelt haben mussten.
„Wahrscheinlich konnten schon die Neandertaler Vögel jagen, um sich neben dem Fleisch von Pferd, Rentier und anderem Großwild weitere Kalorien- und Nährstoffquellen zu erschließen“, so Nicholas Conard. Andernorts wurden sogar typische Schnitt- und Schabspuren gefunden, die nahelegen, dass Neandertaler sich auch mit Vogelfedern und Krallen schmückten. Stefanie Kölbl, die geschäftsführende Direktorin des urgeschichtlichen Museums in Blaubeuren, sagt: „Wir müssen uns vom verbreiteten Bild des muskelbepackten Neandertalers mit einseitiger Vorliebe für Mammutsteaks lösen: Hochintelligente Jagdstrategien, das Bedürfnis nach Schmuck und, wie wir wissen, das Bestatten von Toten – all das weist die Neandertaler als flexible und symbolisch begabte Menschen aus, die weit mehr im Sinn hatten als das blanke Überleben.“
Ausstellung der Exponate:
Die Exponate werden vom 2. August an bis zum 12. September als „Fund des Jahres“im urmu für die Öffentlichkeit ausgestellt. Das Urmu ist für Besucher von Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen von 10 bis 17 Uhr geöffnet.