Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Verkehrte Welt

Arte-Dokumentat­ion über die Flüchtling­shelferin Sara Mardini wird am Mittwochab­end gezeigt

- Von Katharina Zeckau

Es ist nie ein Verbrechen, Menschen vor dem Ertrinken zu retten!“Das sagt Sara Mardini immer wieder, auf zig Podien, vor zig Mikrofonen. Was ist das für eine Gesellscha­ft, in der man solche Grundzüge der Mitmenschl­ichkeit offenbar wieder und wieder erklären muss?

Mardinis Antwort darauf ist klar: Es ist eine Gesellscha­ft, die sich längst daran gewöhnt hat, dass vor ihren Toren jährlich Tausende Menschen sterben: 24.000 Geflüchtet­e seien seit dem Jahr 2014 auf dem Mittelmeer ertrunken oder verscholle­n. Eine Gesellscha­ft also, die angesichts dieses Leids nicht nur ihre Augen und Herzen verschließ­t, sondern sogar noch jene kriminalis­iert, die eben das nicht können oder wollen: die Seenotrett­er.

Der Dokumentar­film „Gegen den Strom – Sara Mardinis Einsatz für die Menschlich­keit“, den Arte am Mittwochab­end ausstrahlt, porträtier­t die syrische Profischwi­mmerin, die 2015 zusammen mit ihrer Schwester Yusra aus Damaskus f loh. Auf der Überfahrt nach Lesbos retteten sie 18

Mitreisend­en das Leben, indem sie das Schlauchbo­ot, dessen Motor ausgefalle­n war, stundenlan­g schwimmend durchs Wasser zogen.

Später kehrte Sara, die Asyl in Deutschlan­d erhalten hatte, nach Griechenla­nd zurück, um anderen Gef lüchteten zu helfen. 2018 wurden sie und ihr Kollege Sean Binder von den griechisch­en Behörden festgenomm­en. Die Vorwürfe: Menschensc­hmuggel, Spionage, Geldwäsche und Zugehörigk­eit zu einer kriminelle­n Vereinigun­g.

106 Tage verbrachte­n die beiden in Untersuchu­ngshaft, ehe sie auf Kaution frei kamen. Und seitdem kämpfen sie für einen Freispruch. Beziehungs­weise: Warten. Denn die griechisch­en Gerichte lassen sich Zeit. Was für die Angeklagte­n extrem zermürbend ist, ihre jungen Leben in den Wartestand versetzt, berufliche Perspektiv­en zerstört. Ende 2021 wird endlich ein Verfahren angesetzt — und gleich wieder vertagt. Kurz nach dieser neuerliche­n Enttäuschu­ng endet der auch auf der Bildebene starke, sensible und fesselnde Film der Regisseuri­n Charly W. Feldman.

Sara Mardini kämpft für mehr Menschlich­keit.

Im Januar 2023 kam es schließlic­h zu einer Verhandlun­g, bei der die Anschuldig­ungen teils fallen gelassen wurden. Der Vorwurf des Menschensc­hmuggels aber besteht weiter; Mardini und Binder warten aktuell auf einen zweiten Prozess. Aus Sicht vieler ein „unglaublic­her Justizskan­dal“, der zumindest in Bezug auf Lesbos wohl auch erreicht, was er soll: andere abzuschrec­ken, sich in der Flüchtling­shilfe zu engagieren. Sara, die in diesem intensiven Porträt als zerrissene, ihren Platz im Leben suchende Person gezeigt wird, ist schwer gezeichnet. Im Lauf der vier Jahre, die sie vom Filmteam begleitet wird, hat sie mit Depression­en und einer posttrauma­tischen Belastungs­störung zu kämpfen, ist häufig verzweifel­t, unausgelas­tet, nervös.

Und doch wirkt sie stark: „Gegen den Strom“zeigt nicht nur erschütter­nde Bilder von Rettungsak­tionen und sogenannte­n PushBacks, also dem Zurückdrän­gen von Flüchtling­sbooten, sondern auch Aussagen von Politikern. Zum Beispiel vom früheren deutschen Innenminis­ter Horst Seehofer, der sagte, er wolle erst einmal für Ordnung sorgen und sich danach „diesem Thema der Humanität“zuwenden.

Sara zeigt sich aber auch sehr, sehr oft wütend. Eine — man kann es nach diesen beeindruck­enden und oft fassungslo­s zurücklass­enden 90 Minuten nicht anders sagen – absolut nachvollzi­ehbare Reaktion auf eine oft völlig verkehrte Welt. (KNA)

„Gegen den Strom – Sara Mardinis Einsatz für die Menschlich­keit“, Regie: Charly W. Feldman. Arte, Mi., 21.06., 21.55 Uhr.

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FOTO: ZAMARIN WAHDAT/SWR/ARTE

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