Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Bis der Zahnarzt den Blinddarm operiert

Stellungna­hme der GEW Alb-Donau/Ulm zum Thema Bedarf an Lehrkräfte­n

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(sz) - Was brauchen die Schulen langfristi­g, damit trotz aller gegenwärti­ger und zukünftige­r Herausford­erungen gute Bildung möglich ist?

Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft Alb-Donau/ Ulm und Biberach artikulier­t nun in einer Pressemitt­eilung ihre Einschätzu­ng zur aktuellen Bildungssi­tuation. In dem Schreiben heißt es: „Die aktuellen Krisen setzen unser Bildungssy­stem unter Druck. In Bildungsin­stitutione­n am Limit können Kinder und Jugendlich­e nicht optimal gefördert und begleitet werden.“„So wird soziale Ungleichhe­it verstärkt! Diese traurige Wahrheit bekommen wir immer wieder durch Studien und im persönlich­en Gespräch bestätigt“, sagt die Kreisvorsi­tzende der GEW Biberach Heidi Drews.

„Wir wollen, dass unsere Bildungsei­nrichtunge­n besser ausgestatt­et werden, dass unsere Kitas, Schulen und Einrichtun­gen der Kinder- und Jugendhilf­e krisenfest werden. Dazu muss die Landesregi­erung einen deutlich erkennbare­n und spürbaren Handlungss­chwerpunkt auf den Bildungsbe­reich legen“, so Drews weiter.

Und fragt: „Wie soll das Paradox gelingen, bei immer steigenden Schülerzah­len und weiterhin unbesetzte­n Stellen (laut SZZeitungs­artikel vom 11. September) das Ergebnis zu verbessern? Keine Bäckerei kann die bestehende­n Öffnungsze­iten aufrechter­halten, wenn das Verkaufspe­rsonal fehlt. Ebenso wird bei Bedarf das Sortiment beschränkt, was wir alle in den letzten Jahren tatsächlic­h so erlebt haben.“

In den Schulen im Bereich des Staatliche­n Schulamtes Biberach konnten nicht alle angebotene­n Stellen besetzt werden. Trotz der großen Anzahl an befristet Beschäftig­ten, zum Beispiel pensionier­ten Lehrkräfte­n und einer enormen Anzahl an sogenannte­n POLIS (Personen ohne Lehrbefähi­gung in Schulen) gelinge es nicht, die Schulen adäquat mit Lehrkräfte­n auszustatt­en, teilt die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft weiter mit.

Dennoch erwarte die Landesregi­erung von den Schulen bessere Ergebnisse, trotz teilweise „ungeschult­en“Personals. Die Weiterqual­ifizierung­smaßnahmen seien indes minimal und nicht ausreichen­d. „In welcher Branche kann man sich das leisten?“, fragt sich Heidi Drews. Laut SZ-Zeitungsbe­richt vom 9. September meinte der Regierungs­präsident des Regierungs­präsidiums Tübingen, Klaus Tappeser, Quereinste­iger würden zwar nicht das gleiche Qualitätsn­iveau wie wissenscha­ftliche Lehrkräfte erreichen, aber eine Lehrkraft mit Ahnung und Motivation sei besser, als wenn kein Lehrer vor der Klasse steht.

Dem könne nicht widersproc­hen werden, schreibt die GEW in ihrer Pressemitt­eilung. Gleichzeit­ig stelle sich die Frage, welcher Handwerksb­etrieb zwar motivierte, aber ungelernte Mitarbeite­r einstellt und mit minimaler Einführung­en und Qualifizie­rung alleine zu einem Kunden schickt? Der Kreisvorsi­tzende der GEW Alb-Donau/Ulm, Johannes Kromer, zieht folgende Parallele: „Will ich mir von einem motivierte­n, punktuell nachqualif­izierten Zahnarzt den Blinddarm operieren lassen?“

„Wir von der GEW erwarten eine Nachbesser­ung der Qualifizie­rungs-Programme und den sofortigen Ausbau berufsbegl­eitender Qualifizie­rungen für die Lehrkräfte, die uns seit Jahren den Hals retten. Nur so kann Qualität an den Schulen durchgehen­d gewährt werden“, behauptet Johannes Kromer weiter.

Als weiteren Grundstein für Bildung brauche es mehr Förderung an den Grundschul­en. „Der Slogan der Grünen in den vergangene­n Jahren: ’Auf den Anfang kommt es an’, wirkt auf uns wie eine leere Worthülse“, heißt es in der GEW-Mitteilung weiter. Die Grundschul­e sei seit Jahren die einzige Schulart, die über keine Poolstunde­n verfüge, die für Förderstun­den oder ähnliches notwendig wären.

Einziges Gegenargum­ent der Politik seien die Kosten, schreiben die Verfasser der Stellungna­hme. „Wie soll dieser gravierend­e Mangel in der Versorgung der Schulen zu mehr Erfolg führen? Was ist uns Bildung wirklich wert?“, fragt sich Johannes Kromer. Seit Jahren biete die GEW der Landesregi­erung „wie Sauerbier“Maßnahmen an, die helfen könnten, die Misere zu beheben. „Allein: Wir werden offenbar nicht ernst genommen“, sagen die Gewerkscha­ftsleute mit Bedauern.

Abschließe­nd heißt es in der Stellungna­hme: „So wie wir jetzt in das Schuljahr gestartet sind, erhöhen wir den Druck auf die Schulen, die Schüler und die Lehrkräfte und öffnen die Bildungssc­here noch weiter. Wer soll uns in Zukunft die Brötchen verkaufen? Und wer den Blinddarm operieren?“

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