Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Überall wird Munition gehortet“
Philipp Schaaf galt beim Kommando Spezialkräfte als Vorbild – bis man bei ihm daheim vergrabene Waffen fand. Für die Bundeswehr war es ein Skandal, für Schaaf das Ende der Karriere in Uniform. In einem Buch schildert er, wie es so weit kam.
- Aus tiefster innerer Überzeugung sei er Soldat gewesen, sagt Philipp Schaaf. Sein Kompaniechef bezeichnete den Stabsfeldwebel des Kommandos Spezialkräfte als „Stütze der Kompanie“, er sei ein „äußerst loyaler, enorm fleißiger und leistungsbereiter“Mann. Das war 2018. Zweieinhalb Jahre später sitzt Schaaf im Landgericht Leipzig auf der Anklagebank. Die Polizei hatte in seinem Garten Waffen und Munition ausgegraben – der Fall wurde in Politik und Medien als Teil einer Serie rechtsextremer Vorfälle bei der Elitetruppe gesehen. Zu Unrecht, sagt Schaaf. Der heute 48Jährige hat ein Buch geschrieben („Inside KSK. Ein Ex-Kommandosoldat über das verborgene Innenleben der Eliteeinheit und ihre Skandale“) über seine Zeit beim KSK, die mit einer Bewährungsstrafe endete.
Das KSK gilt als Elitetruppe der Bundeswehr, allein die Aufnahmeprozedur ist nach der Beschreibung eines ehemaligen KSK-Kommandeurs „das Härteste, was man Menschen in einer Demokratie zumuten darf“. Was hat Sie daran gereizt?
Als junger Soldat habe ich geschworen, meinem Land treu zu dienen. Ich war aus tiefstem inneren Herzen Soldat. Da will man was erleben. In der regulären Truppe haben wir auch viele Erlebnisse und Auslandseinsätze gehabt. Aber was ich vom KSK gehört hatte, klang interessanter.
Sie waren beim KSK als Kommandosoldat und beim Gebirgstrupp, und zuletzt für die Planung von Ausbildungseinheiten zuständig. Wie muss man sich das vorstellen?
Ich war der Ausbildungsleiter für die Kompanie. Die einzelnen Ausbildungsvorhaben hatten teilweise einen Vorlauf von einem Jahr: Personal, Verpflegung, Unterbringung, Sicherheit, Trainingsablauf, Material. Dazu kommt: Bei der Bundeswehr herrscht Personalmangel und beim KSK besonders, weil zu wenige Soldaten das Eignungsverfahren bestehen. Deswegen habe ich das lange Zeit allein gemacht, als One-Man-Show.
Das erste Mal Ärger bekamen Sie nach der sogenannten Schweinekopfparty 2017. Ein Kompaniechef wurde aus dem KSK verabschiedet. Er sollte bei der Party einen Parcours absolvieren, dabei unter anderem mit einem Schweinekopf Weitwurf machen, als Preis wurde eine Frau für Sex eingeflogen, sie sprach hinterher von Hitlergrüßen und Rechtsrock. Sie beschreiben die Veranstaltung aus Sicht der Beteiligten als eine gelungene Party. Das bedarf der Erklärung.
Man muss den Kontext verstehen: Unsere Regierung schickt uns zu Einsätzen fernab der Heimat. Dort lebt man mehrere Monate die ganze Zeit auf engstem Raum zusammen. Es passieren Dinge, die einen prägen und verändern: In Afghanistan haben wir 2013 einen Kameraden verloren. Es hat mehrere Feuergefechte gegeben. Da bekommt man einen anderen Blick auf die Welt. Wenn man dann bei einer Party einen Schweinekopf durch die Gegend wirft, wirkt das auf Außenstehende vielleicht abscheulich. Wenn man schon mal in einem Gefecht stand, sieht man das in einem anderen Verhältnis.
Relevanter als der Schweinekopf für die Kritik waren Hitlergruß und der Rechtsrock.
Das hat sich in Bezug auf meine Person als null und nichtig erwiesen. Weil die Dame ...
... die für Sex auf die Party gebracht wurde und hinterher verschiedene Soldaten mit ihrer Zeugenaussage belastet hat ...
... später aussagte, dass ich definitiv nicht derjenige war, der irgendeinen Gruß gezeigt oder irgendwas gegrölt hat. Das habe ich schwarz auf weiß. Im Übrigen, das erzähle ich auch in meinem Buch, stand bei der Dame meines Wissens nach nie im Raum für Sex auf diese Party zu kommen. Striptease ja, erotische Unterhaltung sozusagen – Sex nein.
Drei Jahre später wurden im Garten Ihres Hauses in Sachsen Sprengstoff, Munition und eine alte Kalaschnikow gefunden. Wie kamen die dahin?
Die Bundeswehr hatte und hat mit einer gewissen Mangelwirtschaft zu tun. Das betrifft auch das KSK. Es gab immer zu wenig Material. Als Ausbilder hatte ich aber den Auftrag, die Leute optimal auf Auslandseinsätze vorzubereiten. Da hängen schließlich Leben dran. Bei Gefechtsübungen bleibt immer mal Material übrig. Das wird inoffiziell gesammelt, um es später bei späteren Übungen verwenden zu können. Das ist überall bei der Bundeswehr so, überall wird Munition gehortet.
Sie hatten kiloweise Sprengstoff, Zünder, 2800 Patronen für verschiedene Gewehr- und Pistolenkaliber zusammengetragen ...
... und da war ich kein Einzelfall. Das hat man ja später bei der sogenannten Munitionsamnestie festgestellt.
Der KSK-Kommandeur versprach Anfang 2020 Soldaten Straffreiheit, wenn sie zu Hause gehortete Munition und Waffen in der Kaserne abgeben. Sie haben sich stattdessen entschlossen, die Waffen, die zunächst in einem Keller in der Kaserne in Calw lagerten, über Hunderte Kilometer quer durch Deutschland zu verfrachten. Warum?
Das hängt mit der Schweinekopfparty zusammen. Es wurde ja in der Kompanie ermittelt, und es war möglich, dass irgendwann die Kaserne durchsucht wird. Deswegen dachte ich, da unten im Keller lagert das Material eher ungünstig. Es klingt sicher abwegig oder naiv, aber ich wollte Schaden von der Kompanie abwenden.
Das LKA Sachsen hat nicht nur die Munition aus Ihrem Garten ausgegraben, sondern auch Ihr Haus durchsucht. Es wurde ein Buch mit NS-Liedern gefunden, einschlägige Zeitschriften und Kleidung von Thor Steinar, die in der rechten Szene beliebt ist. Das ist erst einmal nichts Verbotenes. Der LKA-Beamte hat auch gesagt, sie hätten bei der Durchsuchung ein ganz normales Haus vorgefunden, diese Tatsache hat es aber nicht in den Fokus der Berichterstattung geschafft. Die Sachen lagen irgendwo in einer Schublade. Sammlerstücke. An den Zeitschriften hat mich das Soldatische interessiert, Informationen über Kriegsführung und Taktik. Nicht die Verherrlichung der Wehrmacht. Die Klamotten habe ich damals getragen, ja. Ich mochte Cargohosen, und die haben die hergestellt.
Wenn Sie wie ein Ermittler von außen auf die Fakten schauen, dann sehen Sie aber schon das Bild, das sich daraus ergibt?
Von außen, mag wohl sein. Hinterher hat sich das aber zum Glück aufgelöst. Ich bin wie oben erwähnt ein Sammler und hatte alle meine elektronischen Geräte über mehr als zehn Jahre aufgehoben. Meine ganzen Festplatten und Datenträger wurden ausgewertet, und man hat nichts Belastendes gefunden.
Sie waren Teil der Sicherheitskräfte, haben einen Eid auf die Verfassung abgelegt. Plötzlich waren Sie selbst Beschuldigter. Was hat das in Ihnen ausgelöst?
Das war sehr surreal. Mit den Leuten, die mir bei den Vernehmungen gegenüber saßen, habe ich jahrelang zusammengearbeitet, gemeinsam Ausbildungen gemacht. Auch in der Haft hat es eine Weile gedauert, bis ich realisiert habe, was das alles bedeutet.
Der Präsident des Militärischen Abschirmdienstes sagte 2020, dass es im KSK überdurchschnittlich viele rechtsextreme Verdachtsfälle gebe, das elitäre Selbstverständnis und die engen Beziehungsgeflechte würden ein Risiko darstellen. Können Sie nachvollziehen, dass eine abgeschottete Elitetruppe diese Skepsis hervorruft?
Die Kameraden, mit denen ich gedient habe, die haben alle einen Eid geschworen. Warum sollte man das machen, wenn man vollkommen konträr zu dem steht, was man geschworen hat und wofür der Dienst beim Militär steht? In meiner Welt passt das nicht zusammen.
Während Ihrer Zeit als KSK-Soldat waren Sie mehrfach in Auslandseinsätzen, vor allem in Afghanistan. Was ist Ihnen aus dem Land in Erinnerung geblieben?
Es ist ein karges Land, aber wenn man das mag, landschaftlich sehr reizvoll. Es ist schon eindrucksvoll, wie die Menschen dort überleben. In unwirtlicher Umgebung, wo man meint, da kann keiner leben, stehen auf einmal Kinder auf dem Weg und man wundert sich: Wo kommen die her?
Sie beschreiben im Buch die Gastfreundschaft der Afghanen – aber auch, dass man letztlich nie wusste, wo die Menschen genau stehen.
Wir wussten, dass wir uns nie zu 100 Prozent sicher fühlen konnten. Als wir einmal nach mehreren Stunden Fahrt durch ein Tal in einen Ort kamen, hat uns der örtliche Älteste gesagt, er erwarte uns schon seit Stunden. Einer seiner Späher hatte auf einem Berg gesessen und ihn über Satellitentelefon informiert. Man war immer unter Beobachtung. Was mich im Nachhinein traurig stimmt, ist, dass die 20 Jahre des Einsatzes dort letzten Endes für die Katz waren.
Was macht es mit einem, wenn man sich über Monate nie wirklich sicher fühlen kann?
Der eine verkraftet es besser als der andere. Mich haben die Einsätze, der Verlust von Kameraden, aber auch die Ermittlungen nach der Schweinekopfparty und später die Inhaftierung natürlich sehr belastet. Das Buch zu schreiben, hat für mich einen Abschluss geschaffen. Einen Haken dranzumachen. Ich bin jetzt Zivilist.
Sie arbeiten heute im privaten Sicherheitsbereich. Das kann alles heißen vom Parkplatzwachdienst bis zur privaten Söldnertruppe, die in Kriegsgebieten mitmischt. Was heißt es bei Ihnen?
Ich habe eine Privatsphäre, dabei möchte ich es belassen.
Sind Sie mit dem deutschen Staat im Reinen?
Ich habe Fehler gemacht und habe meine Strafe dafür bekommen. All das war keine leichte Zeit für mich, und dennoch: Ich bin mit meinem Leben vollkommen zufrieden und dankbar, in einem demokratischen und sicheren Rechtsstaat leben zu können.
Philipp Schaaf mit Fred Sellin: Inside KSK. Ein Ex-Kommandosoldat über das verborgene Innenleben der Eliteeinheit und ihre Skandale,