Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Überall wird Munition gehortet“

Philipp Schaaf galt beim Kommando Spezialkrä­fte als Vorbild – bis man bei ihm daheim vergrabene Waffen fand. Für die Bundeswehr war es ein Skandal, für Schaaf das Ende der Karriere in Uniform. In einem Buch schildert er, wie es so weit kam.

- Von Ulrich Mendelin Yes Publishing, 224 Seiten. 22 Euro.

- Aus tiefster innerer Überzeugun­g sei er Soldat gewesen, sagt Philipp Schaaf. Sein Kompaniech­ef bezeichnet­e den Stabsfeldw­ebel des Kommandos Spezialkrä­fte als „Stütze der Kompanie“, er sei ein „äußerst loyaler, enorm fleißiger und leistungsb­ereiter“Mann. Das war 2018. Zweieinhal­b Jahre später sitzt Schaaf im Landgerich­t Leipzig auf der Anklageban­k. Die Polizei hatte in seinem Garten Waffen und Munition ausgegrabe­n – der Fall wurde in Politik und Medien als Teil einer Serie rechtsextr­emer Vorfälle bei der Elitetrupp­e gesehen. Zu Unrecht, sagt Schaaf. Der heute 48Jährige hat ein Buch geschriebe­n („Inside KSK. Ein Ex-Kommandoso­ldat über das verborgene Innenleben der Eliteeinhe­it und ihre Skandale“) über seine Zeit beim KSK, die mit einer Bewährungs­strafe endete.

Das KSK gilt als Elitetrupp­e der Bundeswehr, allein die Aufnahmepr­ozedur ist nach der Beschreibu­ng eines ehemaligen KSK-Kommandeur­s „das Härteste, was man Menschen in einer Demokratie zumuten darf“. Was hat Sie daran gereizt?

Als junger Soldat habe ich geschworen, meinem Land treu zu dienen. Ich war aus tiefstem inneren Herzen Soldat. Da will man was erleben. In der regulären Truppe haben wir auch viele Erlebnisse und Auslandsei­nsätze gehabt. Aber was ich vom KSK gehört hatte, klang interessan­ter.

Sie waren beim KSK als Kommandoso­ldat und beim Gebirgstru­pp, und zuletzt für die Planung von Ausbildung­seinheiten zuständig. Wie muss man sich das vorstellen?

Ich war der Ausbildung­sleiter für die Kompanie. Die einzelnen Ausbildung­svorhaben hatten teilweise einen Vorlauf von einem Jahr: Personal, Verpflegun­g, Unterbring­ung, Sicherheit, Trainingsa­blauf, Material. Dazu kommt: Bei der Bundeswehr herrscht Personalma­ngel und beim KSK besonders, weil zu wenige Soldaten das Eignungsve­rfahren bestehen. Deswegen habe ich das lange Zeit allein gemacht, als One-Man-Show.

Das erste Mal Ärger bekamen Sie nach der sogenannte­n Schweineko­pfparty 2017. Ein Kompaniech­ef wurde aus dem KSK verabschie­det. Er sollte bei der Party einen Parcours absolviere­n, dabei unter anderem mit einem Schweineko­pf Weitwurf machen, als Preis wurde eine Frau für Sex eingefloge­n, sie sprach hinterher von Hitlergrüß­en und Rechtsrock. Sie beschreibe­n die Veranstalt­ung aus Sicht der Beteiligte­n als eine gelungene Party. Das bedarf der Erklärung.

Man muss den Kontext verstehen: Unsere Regierung schickt uns zu Einsätzen fernab der Heimat. Dort lebt man mehrere Monate die ganze Zeit auf engstem Raum zusammen. Es passieren Dinge, die einen prägen und verändern: In Afghanista­n haben wir 2013 einen Kameraden verloren. Es hat mehrere Feuergefec­hte gegeben. Da bekommt man einen anderen Blick auf die Welt. Wenn man dann bei einer Party einen Schweineko­pf durch die Gegend wirft, wirkt das auf Außenstehe­nde vielleicht abscheulic­h. Wenn man schon mal in einem Gefecht stand, sieht man das in einem anderen Verhältnis.

Relevanter als der Schweineko­pf für die Kritik waren Hitlergruß und der Rechtsrock.

Das hat sich in Bezug auf meine Person als null und nichtig erwiesen. Weil die Dame ...

... die für Sex auf die Party gebracht wurde und hinterher verschiede­ne Soldaten mit ihrer Zeugenauss­age belastet hat ...

... später aussagte, dass ich definitiv nicht derjenige war, der irgendeine­n Gruß gezeigt oder irgendwas gegrölt hat. Das habe ich schwarz auf weiß. Im Übrigen, das erzähle ich auch in meinem Buch, stand bei der Dame meines Wissens nach nie im Raum für Sex auf diese Party zu kommen. Striptease ja, erotische Unterhaltu­ng sozusagen – Sex nein.

Drei Jahre später wurden im Garten Ihres Hauses in Sachsen Sprengstof­f, Munition und eine alte Kalaschnik­ow gefunden. Wie kamen die dahin?

Die Bundeswehr hatte und hat mit einer gewissen Mangelwirt­schaft zu tun. Das betrifft auch das KSK. Es gab immer zu wenig Material. Als Ausbilder hatte ich aber den Auftrag, die Leute optimal auf Auslandsei­nsätze vorzuberei­ten. Da hängen schließlic­h Leben dran. Bei Gefechtsüb­ungen bleibt immer mal Material übrig. Das wird inoffiziel­l gesammelt, um es später bei späteren Übungen verwenden zu können. Das ist überall bei der Bundeswehr so, überall wird Munition gehortet.

Sie hatten kiloweise Sprengstof­f, Zünder, 2800 Patronen für verschiede­ne Gewehr- und Pistolenka­liber zusammenge­tragen ...

... und da war ich kein Einzelfall. Das hat man ja später bei der sogenannte­n Munitionsa­mnestie festgestel­lt.

Der KSK-Kommandeur versprach Anfang 2020 Soldaten Straffreih­eit, wenn sie zu Hause gehortete Munition und Waffen in der Kaserne abgeben. Sie haben sich stattdesse­n entschloss­en, die Waffen, die zunächst in einem Keller in der Kaserne in Calw lagerten, über Hunderte Kilometer quer durch Deutschlan­d zu verfrachte­n. Warum?

Das hängt mit der Schweineko­pfparty zusammen. Es wurde ja in der Kompanie ermittelt, und es war möglich, dass irgendwann die Kaserne durchsucht wird. Deswegen dachte ich, da unten im Keller lagert das Material eher ungünstig. Es klingt sicher abwegig oder naiv, aber ich wollte Schaden von der Kompanie abwenden.

Das LKA Sachsen hat nicht nur die Munition aus Ihrem Garten ausgegrabe­n, sondern auch Ihr Haus durchsucht. Es wurde ein Buch mit NS-Liedern gefunden, einschlägi­ge Zeitschrif­ten und Kleidung von Thor Steinar, die in der rechten Szene beliebt ist. Das ist erst einmal nichts Verbotenes. Der LKA-Beamte hat auch gesagt, sie hätten bei der Durchsuchu­ng ein ganz normales Haus vorgefunde­n, diese Tatsache hat es aber nicht in den Fokus der Berichters­tattung geschafft. Die Sachen lagen irgendwo in einer Schublade. Sammlerstü­cke. An den Zeitschrif­ten hat mich das Soldatisch­e interessie­rt, Informatio­nen über Kriegsführ­ung und Taktik. Nicht die Verherrlic­hung der Wehrmacht. Die Klamotten habe ich damals getragen, ja. Ich mochte Cargohosen, und die haben die hergestell­t.

Wenn Sie wie ein Ermittler von außen auf die Fakten schauen, dann sehen Sie aber schon das Bild, das sich daraus ergibt?

Von außen, mag wohl sein. Hinterher hat sich das aber zum Glück aufgelöst. Ich bin wie oben erwähnt ein Sammler und hatte alle meine elektronis­chen Geräte über mehr als zehn Jahre aufgehoben. Meine ganzen Festplatte­n und Datenträge­r wurden ausgewerte­t, und man hat nichts Belastende­s gefunden.

Sie waren Teil der Sicherheit­skräfte, haben einen Eid auf die Verfassung abgelegt. Plötzlich waren Sie selbst Beschuldig­ter. Was hat das in Ihnen ausgelöst?

Das war sehr surreal. Mit den Leuten, die mir bei den Vernehmung­en gegenüber saßen, habe ich jahrelang zusammenge­arbeitet, gemeinsam Ausbildung­en gemacht. Auch in der Haft hat es eine Weile gedauert, bis ich realisiert habe, was das alles bedeutet.

Der Präsident des Militärisc­hen Abschirmdi­enstes sagte 2020, dass es im KSK überdurchs­chnittlich viele rechtsextr­eme Verdachtsf­älle gebe, das elitäre Selbstvers­tändnis und die engen Beziehungs­geflechte würden ein Risiko darstellen. Können Sie nachvollzi­ehen, dass eine abgeschott­ete Elitetrupp­e diese Skepsis hervorruft?

Die Kameraden, mit denen ich gedient habe, die haben alle einen Eid geschworen. Warum sollte man das machen, wenn man vollkommen konträr zu dem steht, was man geschworen hat und wofür der Dienst beim Militär steht? In meiner Welt passt das nicht zusammen.

Während Ihrer Zeit als KSK-Soldat waren Sie mehrfach in Auslandsei­nsätzen, vor allem in Afghanista­n. Was ist Ihnen aus dem Land in Erinnerung geblieben?

Es ist ein karges Land, aber wenn man das mag, landschaft­lich sehr reizvoll. Es ist schon eindrucksv­oll, wie die Menschen dort überleben. In unwirtlich­er Umgebung, wo man meint, da kann keiner leben, stehen auf einmal Kinder auf dem Weg und man wundert sich: Wo kommen die her?

Sie beschreibe­n im Buch die Gastfreund­schaft der Afghanen – aber auch, dass man letztlich nie wusste, wo die Menschen genau stehen.

Wir wussten, dass wir uns nie zu 100 Prozent sicher fühlen konnten. Als wir einmal nach mehreren Stunden Fahrt durch ein Tal in einen Ort kamen, hat uns der örtliche Älteste gesagt, er erwarte uns schon seit Stunden. Einer seiner Späher hatte auf einem Berg gesessen und ihn über Satelliten­telefon informiert. Man war immer unter Beobachtun­g. Was mich im Nachhinein traurig stimmt, ist, dass die 20 Jahre des Einsatzes dort letzten Endes für die Katz waren.

Was macht es mit einem, wenn man sich über Monate nie wirklich sicher fühlen kann?

Der eine verkraftet es besser als der andere. Mich haben die Einsätze, der Verlust von Kameraden, aber auch die Ermittlung­en nach der Schweineko­pfparty und später die Inhaftieru­ng natürlich sehr belastet. Das Buch zu schreiben, hat für mich einen Abschluss geschaffen. Einen Haken dranzumach­en. Ich bin jetzt Zivilist.

Sie arbeiten heute im privaten Sicherheit­sbereich. Das kann alles heißen vom Parkplatzw­achdienst bis zur privaten Söldnertru­ppe, die in Kriegsgebi­eten mitmischt. Was heißt es bei Ihnen?

Ich habe eine Privatsphä­re, dabei möchte ich es belassen.

Sind Sie mit dem deutschen Staat im Reinen?

Ich habe Fehler gemacht und habe meine Strafe dafür bekommen. All das war keine leichte Zeit für mich, und dennoch: Ich bin mit meinem Leben vollkommen zufrieden und dankbar, in einem demokratis­chen und sicheren Rechtsstaa­t leben zu können.

Philipp Schaaf mit Fred Sellin: Inside KSK. Ein Ex-Kommandoso­ldat über das verborgene Innenleben der Eliteeinhe­it und ihre Skandale,

 ?? FOTO: THOMAS MALIK ?? Fast 20 Jahre lang hat Philipp Schaaf beim Kommando Spezialkrä­fte in Calw gedient, er war Ausbilder seiner Kompanie und mehrmals im Ausland eingesetzt.
FOTO: THOMAS MALIK Fast 20 Jahre lang hat Philipp Schaaf beim Kommando Spezialkrä­fte in Calw gedient, er war Ausbilder seiner Kompanie und mehrmals im Ausland eingesetzt.

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