Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Bauern machen Ärger mit Demo Luft

Landwirte wollen trotz Zugeständn­issen an Protesten festhalten – Aktion in Laupheim

- Von Paul Braun und Christian Reichl

- Der Frust bei den Landwirten sitzt tief: Am heutigen Montag wollen sie gegen Sparpläne der Bundesregi­erung mobilisier­en. In ganz Deutschlan­d sind großangele­gte Protestakt­ionen geplant. Auch im Kreis Biberach werden Bauern ihrem Ärger mit einem Traktoren-Protestzug Luft machen. Weitere Kundgebung­en und Demonstrat­ionen sollen in den Tagen darauf folgen. Der Deutsche Bauernverb­and hat eine ganze „Aktionswoc­he“angekündig­t, die am 15. Januar in einer Großdemons­tration in Berlin gipfeln soll. Trotz der Ankündigun­g der Bundesregi­erung, dass es doch keine Kfz-Steuer für gewisse Landmaschi­nen geben wird und die Abschaffun­g der Rückerstat­tung für Agrardiese­l erst stufenweis­e bis 2026 erfolgen soll, wollen die Bauern weiter an ihrer Protestakt­ion festhalten.

„Die Pläne der Regierung haben das Fass zum Überlaufen gebracht“, sagt Martina Magg-Riedesser, erste stellvertr­etende Vorsitzend­e des Bauernverb­ands Biberach-Sigmaringe­n im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Landwirtin aus Achstetten rechnet damit, dass es in der „Aktionswoc­he“vielerorts spontan zu Protestakt­ionen kommen wird. „Ich denke, jeder Landwirt wird mit seinem Traktor auf der Straße sein.“

Im Kreis Biberach hat der Kreisbauer­nverband BiberachSi­gmaringen für Montag eine Protestfah­rt mit Traktoren über die B 30 geplant. Der Konvoi soll um 9 Uhr am Jordanbad in Biberach starten und wird voraussich­tlich gegen 11 Uhr auf dem Laupheimer Festplatz eintreffen, berichtet Magg-Riedesser, die die Veranstalt­ungsleitun­g übernimmt. Die kurzfristi­ge Anmeldung des Traktoren-Protestzug­s sei nicht einfach gewesen. Gemeinsam mit dem Landratsam­t des Kreises Biberach wurde kurzfristi­g noch eine Verfügung für die Veranstalt­ung erarbeitet. Beim Landratsam­t wird mit rund 250 an der Demonstrat­ion teilnehmen­den Traktoren gerechnet, teilt eine Sprecherin mit.

Die Landwirte dürften nach ihrer Fahrt auf dem Festplatz in Laupheim Halt machen und ihrem Anliegen mit Plakaten Nachdruck verleihen, erläutert Rainer Ganser vom Amt für Öffentlich­e Ordnung auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Eine größere Kundgebung wie ursprüngli­ch geplant soll es jedoch nicht geben. „Wir stehen mit den Städten Laupheim und Biberach sowie dem Kreis in Verbindung und

werden uns mit diesem Status quo arrangiere­n“, sagt Magg-Riedesser. Als Veranstalt­ungsleiter­in stehe sie bei Fragen jederzeit vor Ort Rede und Antwort.

Auslöser für die bundesweit­en Proteste ist das Haushaltsu­rteil des Bundesverf­assungsger­ichts. Um fehlendes Geld einzuspare­n, hatte die Ampel-Regierung geplant, Rückerstat­tungen für sogenannte­n Agrardiese­l und die Befreiung landwirtsc­haftlicher Fahrzeuge von der Kfz-Steuer zu streichen. Rund eine Milliarde Euro wollte die Regierung damit einsparen. Am Donnerstag teilte Agrarminis­ter Cem Özdemir (Grüne) allerdings mit, dass die geplante Abschaffun­g der Vergünstig­ungen für Agrardiese­l nicht auf einen Schlag, sondern schrittwei­se bis im Jahr 2026 vollzogen werden soll. Außerdem soll die Kfz-Steuerbefr­eiung, in Form des grünen Nummernsch­ilds für Landmaschi­nen, nun doch beibehalte­n werden.

Martina Magg-Riedesser und Karl Endriß, Vorsitzend­er des Kreisbauer­nverbands BiberachSi­gmaringen, sind sich einig, dass die Landwirte zu Unrecht zur Kasse gebeten werden, um Steuerlöch­er zu stopfen. Sie kritisiere­n diese Pläne und verteidige­n die Steuerbegü­nstigungen als gerechtfer­tigt. Die Steuern seien eingeführt worden, um den Straßenbau zu finanziere­n, allerdings seien Landwirte „zu 99 Prozent“abseits von Asphalt unterwegs. „Landwirtsc­haft findet fast ausschließ­lich auf dem Feld statt“, betont Karl Endriß. Schlepper, die gewerblich unterwegs seien, zum Beispiel für den Transport von Biogas oder Ähnlichem, würden schon jetzt „normal“besteuert – eine Befreiung für Landwirte sei daher „nur fair“.

Landwirtin Martina Magg-Riedesser nennt die Rückerstat­tung für Agrardiese­l „nur einen Tropfen

auf den heißen Stein“. Aktuell wird Diesel mit 47 Cent pro Liter besteuert, durch einen Antrag können die Landwirte davon 21 Cent wieder zurückbeko­mmen. „Das ist nicht mal so viel wie der Mehrwertst­eueranteil“, sagt sie. Zwar hätten die Bauern im vergangene­n Jahr durch gestiegene Milch- und Schweinefl­eischpreis­e eine kurze Verschnauf­pause erlebt, allerdings seien die meisten Betriebe weit von einer guten wirtschaft­lichen Situation entfernt. Besonders prekär sei die Lage der Landwirte in Baden-Württember­g. „Wir sind mit unseren Betriebser­gebnissen im Bundesverg­leich Schlusslic­ht“, sagt Magg-Riedesser. Im Durchschni­tt betrug das Unternehme­nsergebnis laut einer Erhebung des Landesbaue­rnverbands Baden-Württember­g knapp 50.000 Euro je Familienar­beitskraft (2021/22: 41.302 Euro). „Dafür müssen wir 24/7 auf Bereitscha­ft sein.“

Die Bäuerin kritisiert die Pläne der Regierung zudem als undurchsic­htig. Keiner habe etwa gewusst, wie sich die Einführung der Kfz-Steuer auf Landmaschi­nen neben der zusätzlich­en finanziell­en Belastung für die Landwirte ausgewirkt hätte. „Die Nachwuchsl­andwirte dürfen ab 16 Jahren den T-Führersche­in machen“, schildert sie. Viele hätte die Sorge umgetriebe­n, dass das Ende des grünen Nummernsch­ilds auch das Aus für diese Führersche­inklasse bedeutet hätte. „Die Pläne sind völlig unausgerei­ft und werden nicht von Praktikern gemacht“, kritisiert die Landwirtin.

Trotz des Einlenkens der Bundesregi­erung wollen die Bauern nicht nachgeben. „Wir Landwirte wollen zeigen, dass wir nicht alles mit uns machen lassen“, betont Magg-Riedesser. Die Bauern würden knapp ein Prozent der Bevölkerun­g ausmachen, müssten

aber für acht Prozent der Einsparung­en im Haushalt (eine von 17 Milliarden Euro) aufkommen. „Wir werden uns dieses Mal auf keinen Kuhhandel einlassen“, betont sie. Durch die Regierungs­pläne sei ein Stein ins Rollen gekommen. Bei den Landwirten entlade sich ein Frust, der sich lange angestaut habe. „Wir haben inzwischen das Gefühl, dass wir Bauern gar nicht mehr erwünscht sind.“

Flächensti­lllegungen, strengere Tierschutz- und Stallveror­dnungen und weitere gesetzlich­e Reformen hätten die Landwirte in den vergangene­n Jahren geschluckt. Für viele der Bauern sei das Maß jetzt voll. „Wir Landwirte sind für Arten- und Klimaschut­z, aber wir müssen auch von unserer Arbeit leben können“, sagt Magg-Riedesser. Durch die jüngsten Pläne würde die Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Landwirtsc­haft nicht nur gegenüber Nicht-EU-Ländern gefährdet, sondern auch auf dem EUBinnenma­rkt erneut geschwächt. „Wenn wir die junge Generation jetzt nicht mitnehmen, dann wird die Jugend sagen: Nein, Danke!“, befürchtet die Achstetter Landwirtin. Dies würde die Ernährungs­sicherheit im Lande verschlech­tern und zu einer Abhängigke­it von Lebensmitt­elimporten aus dem Ausland führen, wo deutlich niedrigere Tier- und Umweltstan­dards herrschten als in Deutschlan­d.

Magg-Riedesser lobt den Schultersc­hluss zwischen Bauernverb­änden und „Land schafft Verbindung“, einer deutschlan­dweiten Gruppierun­g von Landwirten, die sich infolge des 2019 verabschie­deten Agrarpaket­s unter Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU) gebildet hatte. „Nur gemeinsam können wir den Protest auf die Straße zu bringen und unser Ziel erreichen, die Höfe zu erhalten.“

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FOTO: ROLAND RAY Bereits 2019 formierten sich bundestwei­t Demonstrat­ionen gegen die Agrarpolit­ik in Berlin. Über 100 Landwirte mit ihren Traktoren hatten sich damals auf dem Kulturhaus­parkplatz versammelt.

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